21. Februar 2012

Abgestimmt - und was nun?

Klares Ergebnis, aber auch klare Defizite
Wie schon zu erwarten war, ist das Ergebnis der Volksabstimmung vom 18.Februar nicht besonders spannend. Zwar gab es auf der einen Seite offenbar wirklich jene, die Angst zu haben vorgaben, in Lettland würde nur noch Russisch gesprochen werden. Und auf der anderen Seite die anderen, die meinen allein schon die Abstimmung, an der ja nur Staatsbürger/innen teilnehmen konnten, sei wieder ein Beweis für die Benachteiligung der Russen in Lettland.
Die große orthodoxe Kirche in Riga glänzt seit kurzem
mit neu vergoldeter Kuppel - für die christlich-orthodoxen
Gläubigen war das orthodoxe Weihnachten auch in
diesem Jahr ein normaler Arbeitstag
Allerdings gibt es einige Anzeichen dafür, dass die Integration der russisch-stämmigen in Lettland bisher noch nicht gelungen ist. Dort, wo die einen das Aufeinanderzugehen für vernachlässigbar halten ("ich habe ja im Alltag keine Probleme"), dienen die gegenwärtigen Umstände immer noch als Nährboden für Extremisten auf beiden Seiten.
Ich möchte mich diesen an dieser Stelle keinesfalls anschließen. Zunächst gibt es ein paar Beobachtungen mitzuteilen, nach dem Motto: vorher, nachher. Wer noch unsicher ist, welche Bedeutung das Abstimmungsergebnis für Lettland haben könnte, der könnte sich ja vielleicht an verschiedenen Stellungnahmen dazu orientieren, wie sie erst jetzt, nach Bekanntgabe des Ergebnisses, klar wurden.

Was nun, Herr Ušakovs?
Noch kurz nach den Parlamentswahlen des vergangenen Oktober sahen einige in Ušakovs den Prototyp des lettischen Russen, der als erster eine Brücke zu schlagen in der Lage sein könnte zwischen Letten und Russen der jungen, modern und weltoffen eingestellten Generationen. Dazu galt es einigen Ballast wegzuräumen, der von den bisher die Szene beherrschenden Demagogen auf beiden Seiten (lettische wie russische Nationalisten) hinterlassen wurde. Dazu gehört das Eingeständnis, dass Lettland zweimal widerrechtlich sowjetisch besetzt und der Sowjetunion gewaltsam einverleibt wurde, aber genauso das Eingeständnis, zu konkreten Schritten der Integration in die lettische Gesellschaft bereit zu sein, und nicht allein schon das Lettisch-Lernen und Lettisch-Sprechen als "Schritte zur Assimilation" zu verdammen. Zu all dem schien die Führung der Partei "Saskaņa" und auch Ušakovs (der selbst Lettisch genauso fließend wie Russisch beherrscht) bereit zu sein - Regierungschef Dombrovskis schlug die Koalitionsmöglichkeiten aus, und Neu-Parteigründer und Ex-Präsident Zatlers musste sein zwischenzeitliches Eingehen auf eine Möglichkeit mit den ungeliebten "Russen-Freunden" zu kooperieren mit heftiger Kritik aus dem Lager seiner Anhänger bezahlen.
Rein werbetechnisch erschien in den Tagen der Volks-
abstimmung im öffentlichen Raum in Riga die Frage
der offiziellen lettischen Facebook-Seite wichtiger zu sein
als aktuelle politische Fragen
Dann kam Ex-Nationalbolschewist Lindermans mit seiner Idee eines Referendums zur Einführung von Russisch als zweiter Amtssprache und nutzte die Empörung im Lager der "Saskaņa"-Anhänger über die ausgeschlagene Regierungsbeteiligung. Heute tun Parteichef Jānis Urbanovičs und Spitzenkandidat Nils Ušakovs so, als wäre nicht nur dieses Referendum von ihnen persönlich initiiert worden, sondern als stünden sie auch kurz vor der Einleitung neuer Referenden - wie etwa zur Entlassung der Regierung (Pressestatement vom 19.2.).Und nicht nur das: Ušakovs behauptet auch, alle 273.347 "Ja"-Stimmen beim Referendum seien auch gleichzeitig so aufzufassen, dass diese damit "die gesamte Regierungspolitik der vergangenen 22 Jahre" für verfehlt erklären wollten (delfi.lv). Pardon, Herr Ušakovs, ich behaupte das Gegenteil: hätten sich die lettisch-orientierten Politiker auch nur ein wenig mehr bemüht, die Meinung und die Bedürfnisse dieser 273.347 Menschen mehr zu berücksichtigen, sie hätten in diesen 22 Jahren FAST JEDE Initiative unterstützt die in Richtung ihrer Interessen gegangen wäre! Geboten wurde ihnen aber nur "Schwarz-weiss": entweder pro-Russisch, oder pro-Lettisch. Ganz (zweite Amtssprache) oder gar nicht (zwangsweise Lettisch sprechen bei jeder Behörde, jedem Arzt, jedem Notfall). Andere, differenzierte Vorschläge gingen bisher unter, auch deshalb, weil sich im lettischen Lager die Einsicht noch nicht durchgesetzt hat, dass der Versuch der Ausgrenzung der russisch-stämmigen in Lettland längst keinen Sinn mehr macht. Das gilt auch für die andere Seite: das trügerische Aufrechterhalten der Hoffnung für die übrigen 200.000 Menschen, die noch keine ernsthaften Versuche zur Erlangung der lettischen Staatsbürgerschaft gemacht haben, sie bekämen in nicht allzu ferner Zeit auf wundersame Weise diese Staatsbürgerschaft geschenkt, ist unredlich.

Volksabstimmungen als Anschlag auf die Demokratie?
Eine andere Folge des Referendums ist es nun, dass Vorschläge zur Einschränkung des demokratischen Rechts der Initiierung eines Volksbegehrens / Referendums öffentlich diskutiert werden. So tritt etwa Arnis Cimdars, Chef der staatlichen Wahlkommission, für einen Vorschlag ein, unterschiedlich viele Unterschriften je nach Zielsetzung einer Initiative zur Ansetzung eines Referendums vorzusehen (DIENA 21.2.). Politiker wie Dzintars Ābiķis und Ainars Latkovskis, Vertreter der Regierungspartei "Vienotība", treten für eine Erhöhung der notwendigen Anzahl Unterschriften von derzeit 10.000 auf 100.000 ein - eine Verzehnfachung. Und auch Präsident Andris Bērziņš äußerte sich in der lettischen Fernsehsendung "Panorama" dahingehend, er sehe weitaus "modernere" Regelungen zur Durchführung von Volksabstimmungen bei den Nachbarn in Litauen und Estland.
Andere Überlegungen gehen in Richtung von Änderungen der lettischen Verfassung. Dadurch soll erschwert werden, "Grundbausteine des lettischen Staates" leicht verändern zu können.

Unterdessen wenden sich Repräsentanten derjenigen Gemeinden und Regionen, in denen sich bei der Volksabstimmung eine Mehrheit der Bürger für die Anerkennung von Russisch als Amtssprache ausgesprochen hatten, mit dem Vorschlag an die Regierung, Russisch als "Regionalsprache" anzuerkennen, also in bestimmten Regionen besondere Regelungen einzuführen. Die Liste der Vorschläge beispielsweise von Žanna Kulakova, Vorsitzender des Stadtrats von Daugavpils, reicht von der Finanzierung zusätzlicher Lettisch-Kurse, der Anerkennung des orthodoxen Weihnachten als lettischer Feiertag, bis hin zur Abschaffung von Geldstrafen im Falle der Nichtbeherrschung des Lettischen (TVnet/ LETA). In Daugavpils hatten sich 85,18% der Abstimmungsberechtigten, im Grenzbezirk Zilupe 90,25%, im Bezirk Daugavpils 65,79%, im Bezirk Krāslava 61,39%, in Rēzekne 60,29%, im Bezirk Ludza 59,69% und im Bezirk Dagda 52,52% FÜR Russisch als zweite Amtssprache ausgesprochen.

1 Kommentar:

kloty hat gesagt…

Natürlich kann Estland sagen, dass dort so was nicht möglich ist, denn Volksabstimmungen sind in Estland auch nicht vorgesehen. Kann nichts "moderneres" daran erkennen.