12. März 2023

Lernen, oder gehen

Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs in der Ukraine änderte das lettische Parlament (Saeima) im vergangenen Jahr das Einwanderungsgesetz: die neuen Bestimmungen sehen vor dass Personen, die Bürger oder Nichtbürger Lettlands waren und die Staatsbürgerschaft Russlands oder Weißrusslands angenommen haben, bis September 2023 ein Dokument zum Nachweis der Kenntnis der Landessprache Lettlisch vorweisen können müssen. Als Frist wurde der 1. September gesetzt.

Um weiterhin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu behalten, müssen Einwohner Lettlands mit einem russischen oder belarussischen Pass bei der Direktion für Staatsbürgerschafts- und Migrationsangelegenheiten (Pilsonības un migrācijas lietu pārvaldē PLMP) einen Nachweis über Kenntnisse der Landessprache mindestens auf dem Niveau A2 (unterste Stufe, Grundkenntnisse) vorlegen. Die Sprachtests werden vom "Staatlichen Zentrum für Bildungsinhalte" (Valsts izglītības satura centra VISC) organisiert. 

Als das Gesetz verabschiedet wurde, ging man noch davon aus, dass etwa 22.300 Menschen von der neuen Regelung betroffen sein werden. Wer über 75 Jahre alt ist von der Sprachprüfung ausgenommen. Dies berücksichtigend, dazu einige andere Ausnahmen, werden etwa 18.000 Menschen diese Lettisch-Prüfung ablegen müssen, wenn sie weiter mit unbegrenzter Aufenthaltserlaubnis in Lettland leben wollen. "Wir sind uns bewußt, dass das für uns eine riesige Herausforderung wird," meint Liene Voroņenko, Leiterin des VISC, gegenüber der Zeitschrift "IR". In lettischen Zeitungen werden schon Anfragen etwa dieser Art laut: "Meine Frau ist russische Staatsbürgerin - wenn sie die Sprachprüfung nicht besteht, wird sie dann deportiert oder muss ich mich scheiden lassen?" (LA

Eine von 10.439 Bürgerinnen und Bürgern unterstütze Eingabe an das lettische Parlament, die neuen Sprachregelungen wieder aufzuheben, wurde am 2. Februar mit Mehrheit abgelehnt (siehe auch: manabalss.lv). "Wir sind loyal gegenüber dem Staat Lettland", betonte Olga Petkeviča, eine der Initiatorinnen. Der Gebrauch der russischen Sprache sei einfach ein Mittel zur gegenseitigen Kommunikation, keine Loyalitätserklärung gegenüber Russland oder Putin.

Viele werden sich also zu einer Sprachprüfung anmelden müssen - und dafür auch selbst zahlen. Die zu entrichtende Geführ wird auf 52 Euro beziffert. Immerhin werden kostenfreie Lehrmaterialien bereitgestellt, die genauen Anforderungen für Level A2 sind im Internet einsehbar. Gleichzeitig wird von bereits jetzt existierenden langen Warteschlangen berichtet. Die Anmeldung ist seit dem 1. Februar möglich (siehe VISC), aber Termine werden vom zuständigen PLMÜ oft nur langfristig vergeben. PMLP-Mitarbeiterin Madara Puķe zufolge sind 48 zusätzliche Mitarbeiter und zusätzliche Finanzmittal von 2,3 Millionen Euro nötig, um die Änderungen des Einwanderungsgesetzes umzusetzen.(IR)

Warum haben überhaupt Menschen die russische Staatsbürgerschaft angenommen? "Ja, einige mögen vielleicht auch irgendwann einmal für Putin gestimmt haben", gibt auch Aktivistin Petkeviča zu, "aber was für eine Bedrohung der Staatssicherheit soll heute von alten Leuten ausgehen?"
Die Zeitschrift "IR" zitiert das Beispiel der Irēna Birjukovska aus Daugavpils. Damit ihre Tochter arbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen konnte, beschloss sie, sich um ihr Enkelkind zu kümmern. Zu dieser Zeit hatte sie sich auch von ihrem Mann scheiden lassen. „Ich muss die Wohnung bezahlen, aber es gab keine Arbeit, und die Rente war noch in weiter Ferne“, skizziert sie ihre finanzielle Situation. Dies veranlasste ihn, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Durch einen solchen Schritt könnte die Rente (aus Russland) ab dem 55. Lebensjahr bezogen werden. Das ist nun 10 Jahre her. "Ich bin allein, habe keine Arbeit, da sind die Chancen für eine Aufenthaltserlaubnis wohl nicht besonders hoch ..." (IR)

Von Innenminister Māris Kučinskis (AS) waren inzwischen Andeutungen in der Presse zu lesen, die strengen Regelungen vielleicht etwas zu lockern, schon allein wegen begrenzter Kapazität an Arbeitskräften bei der PMLP. Er deutete an, die Behörden könnten vielleicht jeden Einzelfall gesondert behandeln, anstatt stur am 1.September den Schlußstrich zu ziehen (tvnet)

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