18. März 2023

Dienen, oder wegbleiben

Im vergangenen Jahr machte sich zuerst der damalige lettische Verteidigungsminister Pabriks die Idee zu eigen: Lettland soll die allgemeine Wehrpflicht wieder einführen. Zwar sei die Entscheidung des zuständigen Ministeriums richtig gewesen, 2007 sich vom allgemeinen Wehrdienst zu verabschieden und den lettischen Beitrag zur NATO mit einer Berufsarmee aufzubauen, meinte Pabriks damals auf seiner Webseite. Nun aber habe der russischen Angriffskrieg in der Ukraine gezeigt, dass sich Lettland nicht nur auf eine kleine Berufsarmee verlassen könne - es solle nun wieder für alle ein Dienst zur Staatsverteidigung ("Valsts aizsardzības dienests VAD) geschaffen werden. 

Nun ja, Pabriks scheiterte bei den Parlamentswahlen mit seiner Partei knapp an der 5%-Hürde. Aber auch die neue Regierung plant offenbar, bis 2027 den allgemeinen Wehrdienst wieder einzuführen. Daraus entsteht nun eine sehr interessante Frage: wenn ALLE Wehrdienst leisten sollen, gilt das denn auch für Lettinnen und Letten die im Ausland leben? 

Vor 2027 soll niemand zwangsverpflichtet werden. Danach soll der Dienst für Frauen auf freiwilliger Basis angeboten werden, auch ein Zivildienst wird eingerichtet. Lettland hat inzwischen Struktur gebracht in die sogenannten lettischen "Diaspora-Gemeinden" im Ausland: 2018 wurde ein eigenes "Diaspora-Gesetz" verabschiedet, das 2019 in Kraft trat. Dort wird unter anderem die Sicherstellung des Schulzugangs für Kinder von Auslandslett/innen für den Fall sichergestellt, dass sie nach Lettland ziehen. Allerdings: von Militärdienst war dort keine Rede. 

Das soll nun anders werden. Pläne der Regierung, auch Kinder von Lettinnen und Letten, die im Ausland leben, zum Militärdienst zu verpflichten, erregen sehr unterschiedliche Reaktionen, so auch in der Radiosendung "Globālais latvietis" ("der globale Lette"). Jānis Eglīts, Mitarbeiter im lettischen Verteidigungsministerium, erläuterte in der Sendung das Ziel der Regierung, alle Bürgerinnen und Bürger Lettlands auf eine umfassende Landesverteidigung vorzubereiten. Er kündigte an, dass schon im nächsten Jahr der Unterricht in Landesverteidigung an den lettischen Schulen obligatorisch werden wird. Ob Ähnliches auch für die Lettinnen und Letten im Ausland (sogen. "Diaspora") gelten soll, darüber müsse man aber noch mit den betreffenden Gruppierungen reden. 

Eine dieser Gruppierungen vertritt Laima Ozola aus Irland. "IMLO Lat-Ireland" ist für den Aufbau des Portals www.baltic-ireland.ie verantwortlich, das seit 2007 existiert und wo man sich für etwa 60.000 in Irland lebenden Lettinnen und Letten zuständig fühlt. Dort wird auch über eine Debatte im lettischen Parlament zum neuen Gesetz berichtet. Da werden Befürchtungen laut, Einzuberufende könnten auf die Staatsbürgerschaft verzichten, um der Einberufung zu entgehen. Sogar von "Feiglingen" sei im lettischen Parlament die Rede gewesen: "wem die Steuern oder die Studiengebühren zu hoch, oder die Miete zu teuer, der kann ja die Staatsbürgerschaft zurückgeben". Laima Ozola berichtet von Plänen, auch in Irland einen dreitägigen Kurs zur Landesverteidigung auszurichten, allerdings sei deren Finanzierung noch unklar.

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Militärdienst in Lettland in Zukunft auf eine von drei Arten geleistet werden kann: entweder 11 Monate in den regulären Streitkräften der Nationalarmee oder der Einheit der "Zemessardze" (Nationalgarde, bisher eine reine Freiwilligeneinheit), oder fünf Jahre Dienst bei der "Zemessardze", inklusive nicht weniger als 21 Tage individuelle Ausbildung und nicht mehr als sieben Tage kollektive Ausbildung pro Jahr. Als Drittes bleibt den Universitäts- und Hochschulstudenten noch die Möglichkeit, innerhalb von fünf Jahren eine Gesamtdienstzeit von nicht weniger als 180 Tagen als Studium zum Offizier der Reserve zu absolvieren.

"Wenn ich richtig nachgezählt habe, gilt also ein Einberufunsdatum ab 2017 für alle 2009 und später Geborenen", meint Linda Ozola. "Die Meinungsäußerungen unter den in Irland lebenden Letten sind allerdings bisher sehr unterschiedlich," berichtet sie. "Einige sagten, sie würden dann, als Inhaber doppelter Staatsbürgerschaft, auf die lettische Staatsbürgerschaft verzichten". Und sie wirbt auch für Verständnis für diejenigen Menschen lettischer Staatsbürgerschaft, die nun schon länger in Irland leben, oder sogar dort aufgewachsen sind. „Irland ist kein NATO-Land, hier gibt es keine Armee, und wenn ein junger Mensch hier geboren und aufgewachsen ist, fühlt er sich hier nicht bedroht wie in Lettland, daher ist es klar, dass es für junge Menschen schwierig ist, Motivation dafür zu finden dem Nationalen Verteidigungsdienst beizutreten. Es gibt Bürger, potenzielle Rekruten, die selbst erst ein paar Mal in Lettland waren. Sie sprechen Englisch, sie kommen aus Irland, sie verstehen vielleicht nicht, was Nationaler Verteidigungsdienst bedeutet", erklärte sie. (lsm)

Jānis Skrebels wiederum, Vertreter der 2020 in Norwegen gegründeten lettischen Jugendorganisation "EJ - Eiropas jaunieši" ("Jugendliche Europas"), äußert sein Unverständnis demgegenüber, dass der lettische Staat beim Militärdienst nach Geschlecht sortiert. Außerdem sei da eben eine große Unsicherheit was nun zu erwarten sei sowie das Gefühl, dass sich die ganze Diskussion eben nur um die in Lettland lebenden Letten und Lettinnen drehe, denn denen werde der Erhalt des Studien- oder Arbeitsplatzes auch nach dem Militärdienst garantiert - was mit den Auslandsletten in diesem Fall passieren soll, sei dagegen unklar. 

Öffentliche Protestaktionen gegen die Einführung einer allgemeinen Wehrdienstpflicht gab es in Lettland bisher nur wenige. Bei einer Demonstration am lettischen Freiheitsdenkmal versammelten sich (bei heftigem Schneetreiben) am 4. März nur wenig mehr als 10 Personen (lsm / TVnet) Dabei wurden als Gründe gegen den Militärdienst u.a. auch eine angebliche Zwangsverpflichtung zur Impfung bei der Armee genannt. 

Ab dem 1. Juli 2023 werden die ersten 300 jungen Erwachsenen auf freiwilliger Basis in Lettland ihren Militärdienst beginnen.

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