22. März 2023

Draudzene, Partnere, Sieva, Biedre

Nein, Riga ist nicht Hollywood. Aber Lettland hat eine Kinoindustrie, und die höchste Auszeichnung eines jeden Jahres ist die Verleihung des "Lielais Kristaps" (des "großen Christopherus", sozusagen). Am 26. Februar wurden die Auszeichnungen für die besten lettischen Filme des Jahres 2022 verliehen (lsm). Gleich fünf Preise, darunter den für den besten Spielfilm und die beste männliche Hauptrolle, räumte dabei der Film "Janvāris" ("Januar") von Viesturs Kairišs ab, ein Film über die Ereignisse des Januar 1991 in Lettland, für dessen Produktion sogar die Barrikaden in der Altstadt Rigas nachgebaut wurden (Trailer / Kinoraksti). Der Film wurde auch von Seiten Lettlands für einen Oskar nominiert (Trailer engl).

Ähnlich großes Aufsehen gab es aber um den Preis der besten weiblichen Hauptrolle. Die junge Schauspielerin Marija Luīze Meļķe ist 25 Jahre alt, geboren in Cēsis, und die Hauptrolle im Film "Neona pavasaris" ("Der Neon-Frühling", Regie Matīss Kaža / Trailer / Premiere) war ihr Debut als Kinoschauspielerin. Sie wurde als beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet - und bekam nach der Preisverleihung von einigen eine Art "Heldenstatus" verliehen" - von anderen kamen sie Morddrohungen. (jauns) Was war geschehen? 

Im Film spielt Marija Luize die Studentin Laine, die in die unterirdische Ravewelt von Riga eintaucht und sich dort in die Raverin Gunda verliebt. "Ich habe versucht, einfach die menschliche Lebenserfahrung als Grundlage zu nehmen für das, was ich spiele" sagte die Schauspielerin bei der Preisverleihung - um dann aber auf offener Bühne zu verkünden, dass sie den Preis nicht annehmen werde (lsm). "Ich empfinde es einfach als unehrlich, nun allen zu danken und nicht zu sagen dass es in Lettland wirklich an der Zeit ist, endlich das Gesetz für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften zu beschließen," sagte sie zur Begründung. "Im Film spiele ich ein Mädchen, dessen Rechte in der Realität aber von unserem Staat nicht verteidigt werden. Solange in Lettland dieses Gesetz für Lebenspartnerschaften nicht angenommen ist, kann ich diesen Preis nicht annehmen." (jauns). 

Es gab Lob für diese Entscheidung, Beifall im Saal, aber auch Kritik. Auf der einen Seite werde Geld vom Staat zur Finanzierung des Filmes genommen, aber wenn es dann ein Dankeschön gibt weigerten sie sich es anzunehmen, hieß es. Auch in den "sozialen Netzwerken" erregte die Aktion einen Sturm von Reaktionen. Meļķe selbst ist nicht Mitglied irgendeiner lettischen LGBT-Community. (IR) Auch die Eltern von Marija Luīze meldeten sich öffentlich zu Wort und unterstützten das Anliegen ihrer Tochter - sie habe sich schön öfters für Gerechtigkeit und Menschlichkeit eingesetzt.

Als Kinoschauspielerin war es die erste Rolle für die junge Schauspielerin. Seit einigen Jahren nimmt sie mit eigenen Gedichten auch an Lesungen und Performances teil, 2022 erschien ihr erster Gedichtband „Nerealizēto potenciālu klubs“ ("Klub des nicht realisierten Potentials"). "Ein ungewöhnliches Buch mit mehreren brillianten Gedichten", so urteilte Dichterkollege und Literaturkritiker Kārlis Vērdiņš (Punktum). Marija Luize moderiert außerdem die Sendung „Bron-hīts“ im "Radio NABA“, arbeitet in der Redaktion der Literaturzeitschrift „Žoklis“ und 2020 erhielt das Stück „Netikumīgie“ ("Die Unmoralischen") des „Dirty Deal Teatro“ mit Marija Luīze Meļķe als Textautorin und Schauspielerin bei der alljährlichen "Spēlmaņu nakts" den Preis für das Jugendtheaterstück des Jahres. 

Verschiedene Varianten eines Gesetzes zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften ("Dzīvesbiedru likums") werden schon seit Jahren immer wieder im lettischen Parlament diskutiert. Seit 2006 ist aber in der lettischen Verfassung (§110) der Satz eingefügt, dass nur eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau als "Ehe" bezeichnet werden kann. Dennoch gab es inzwischen Gerichtsentscheidungen, die zum Beispiel einer Frau Recht gaben, die nach der Geburt ihres Kindes dagegen klagte, dass ihre Partnerin keinen Urlaub beim Arbeitsgeber beantragen konnte. Die Familie, gleich welcher Art sie zusammengestellt sei, sei auch zu schützen, und das sei nicht nur vom Eingehen einer Ehe abhängig, so urteilte das Gericht. (lsm) Diese Rechtssprechung wird auch von der lettischen Seniorenvereinigung ("Latvijas Senioru kopienu apvienība" LSKA) unterstützt. Es sei auch bei alten Menschen nicht selten, dass verschiedene in einem Haushalt familienartig zusammenleben, ohne dass notwendigerweise immer der Ehepartner dabei sei (lsm)
Außerdem haben auch bereits einige gleichgeschlechtliche Paare bei Gericht ihre Anerkennung als Familie beantragt (teilweise erfolgreich).

"Am Morgen nach dieser Preisverleihung hatte ich unglaublich viele Nachrichten auf dem Handy", sagt Kaspars Zālītis von der Organisation "Dzīvesbiedri" ("Lebenspartner"), die sich für ein entsprechendes Gesetz einsetzt. "Wenn uns schon die Mehrheit der Politiker nicht unterstützt, dann stärkt es uns doch den Rücken wenn wir sehen, dass es Menschen in der Gesellschaft gibt die das öffentlich tun". (lsm)
Zuletzt wurde im Oktober 2020 auch mit Unterstützung von "Dzīvesbiedri" eine Unterschriftenaktion zugunsten eines solchen Gesetzes gestartet. Der Entwurf nannte sich
"Par visu ģimeņu tiesisko aizsardzību" (für Rechtschutz aller Familien); innerhalb von wenigen Tagen waren bereits Tausende Unterschriften gesammelt, am Ende wurden 23.595 gezählt. Die Initiative hatte auch darauf hingewiesen, dass in Lettland im Jahr 2019 39% aller neugeborenen Kinder (7.209) außerhalb einer "traditionellen" Ehe (so wie es die Verfassung gerne vorschreiben möchte) geboren wurden.
Die juristische Kommission des lettischen Parlaments (Saeima) hatte im Dezember 2022 beschlossen, die Arbeit an einem Gesetz zu Lebenspartnerschaften (lett. "Civilā savienība", siehe auch "Begründung zum Gesetzentwurf"), das bereits in zwei Lesungen im Parlament beraten worden war,  nicht fortzusetzen - somit kam es auch nicht mehr zu einer Abstimmung im Parlament dazu.

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