29. September 2022

Präsidiale Ratschläge

Am 1. Oktober 2022 stehen Parlamentswahlen in Lettland an - und es ist gar nicht so einfach, bei den 19 verschiedenen Listen den Überblick zu behalten. Die Zeitschrift "IR" hielt wohl die ehemaligen lettischen Präsidentinnen und Präsidenten für kompetent genug um hier Ratschläge zu geben. Guntis Ulmanis war gesundheitlich etwas angeschlagen, die übrigen zögerten nicht ihre eigenen Prioritäten zu offenbaren. Das Ergebnis hier kurz zusammengefasst.

Vaira Vīķe-Freiberga, zwischen 1999 und 2007 im Amt und inzwischen fast 85 Jahre alt, hat recht radikale Tipps auf Lager. Sie meint, sie würde gleich alle Kandidaten oder Kandidatinnen auf dem Wahlzettel durchstreichen, die keine höhere Ausbildung vorweisen können. Außerdem sollten Lettinnen und Letten, bei allen Mängeln des politischen Systems in Lettland, doch bitte mal nach Belarus schauen und sich fragen, ob sie lieber dort leben möchten. 

Nachfolger Valdis Zatlers wurde, abgesehen von Gerüchten warum er ins Amt gewählt worden sein könnte, dadurch bekannt, dass er 2011 gleich das ganze Parlament auflöste - weil er an konsequenter Bekämpfung von Korruption zweifelte. Er würde niemanden wählen, sagt er heute, der nur zur Selbstbestätigung in die Politik gegangen ist. Ebenso käme niemand in Frage, der die gegenwärtige Politik Russlands befürworte. Die meiste Macht läge gegenwärtig bei den Juristen der lettischen Beamtenschaft, meint Zatlers - unter Politikern könne man sich ja durchaus innerhalb einer halben Stunde einigen, aber bevor das auch mit den Juristen so weit sei, vergehe schnell ein halbes Jahr. Dem entsprechend stellt Zatlers für Lettland sogar schon eine Tendenz der "Überregulierung" fest - ob wir ihn zur Fortbildung mal nach Deutschland schicken sollen? 

Andris Bērziņš, der Mann mit dem Namen den noch 100 andere Letten haben könnten, war 2011 bis 2015 Präsident Lettlands. Er sieht die aktuellen lettischen Wahlen nur als Vorstufe zu den Europawahlen 2024 - denn wichtige Fragen wie Energieversorgung und Sicherheit könnten nur auf europäischer Ebene gelöst werden. Für Lettland seien da aber noch die richtigen Leute zu finden, die diesen Zusammenhang auch verstehen. Und es brauche auch engere Zusammenarbeit mit den baltischen Nachbarn, mit Polen und mit Finnland. 

Raimonds Vejonis, im Oblast Pskow in Russland geboren, war mehrfacher Minister in verschiedenen Regierungen, bevor er 2015 bis 2019 ins Präsidentenamt gehoben wurde. Sein Blick auf die wichtigen Fragen des Wahlvorgangs erscheint typisch lettisch: schauen wir uns doch den Mensch mal an, der da gewählt werden will. Hat er Schulden, welchen Beruf übt er aus? Abgeordnete sollten gut ausgebildet sein, dazu ein breites Spektrum guter menschlicher Eigenschaften, meint Vejonis. Dazu stellt er alles unter das Rahmenthema Sicherheit: gesicherte ökonomische Entwicklung, Energie- und Gesundheitsversorgung. Und ob die bisherigen Abgeordneten genug dafür getan hätten werde sich vor allem daran zeigen, ob auch junge Erstwähler/innen Motivation finden sich jetzt zu beteiligen. 

Der gegenwärtige präsidiale Amtsinhaber Egils Levits stellt eine euro-atlantische Orientierung allem voran. Aber auch die Stärkung der lettischen Identität sei wichtig, meint der gelernte Jurist und Ex-Richter. Was die Verwaltungsstrukturen angeht, meint Levits, habe Lettland "vertikale Strukturen des 19. Jahrhunderts" aufzuweisen - in der modernen Welt jedoch gäbe es viele interdisziplinäre Aufgabenstellungen. Um wert zu sein gewählt zu werden müssten sich die Parteien auch für die Landesverteiding einsetzen - zudem sei dieser Dienst auch eine prima "Bürgerschule". Bei der anstehenden Wahl stehe die Entscheidung an zwischen Vernunft oder Populismus, meint Levits. Aber auch hier färbt die kriegerische Gesamtsituation durch. (IR)

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