2. Juni 2020

Kühe auf der Weide, Früchte auf dem Feld

Nein, Kühe stehen in Lettland noch nicht unter Naturschutz. Und aus deutscher Perspektive stand in den vergangenen Jahren manches, was von der lettischen Landwirtschaft zu sehen und zu lesen war, eher unter dem Stigma der Unwirtschaftlichkeit. Da gibt es einerseits diejenigen, die eifrig und erfolgreich EU-Subventionen nutzen und mit Krediten Großanlagen bauen, aber auch noch die anderen, die mit einem kleinen Selbstversorgerhof einfach möglichst weitab der Städte leben wollen.

Die Diskussion um klimafreundlicheres Wirtschaften gibt es indessen nicht nur in Deutschland. In Lettland hat nun Andrejs Briedis die Diskussion aufgenommen, seit kurzem neuer Vorsitzender der lettischen Naturschutzstiftung (Latvijas Dabas Fonds). "Unsere Landschaften brauchen Kühe auf der Weide", meint er in einem Interview mit der Zeitung "Latvijas Avize". Als Bio-Imker kennt Briedis auch die Honigproduktion rund um das Naturreservat Teiči - was ja auch einen Teil der landwirtschaftlichen Produktion darstellt.

"Attālināti", mit Abstand, von zu Hause arbeiten - einer der
häufig gebrauchten Begriffe zu Corona-Zeiten - hier aufs
Korn genommen vom Karikaturist Ēriks Ošs.
Während aber Briedis sich mehr Naturwiesen, weniger Pestizid- und Kunstdüngergebrauch wünscht, und die EU-Direktzahlungen nicht mehr nur an die Hektarzahl geknüpft haben möchte, denken andere bereits an die Preisselbeerernte dieses Jahres. "Wenn wir keine Gastarbeiter bekommen können, wird die Ernte auf den Feldern verrotten!" - Erstaunlich genug, die Klagen lettischer Beerenfarmen klingen identisch wie die Erdbeer- und Spargelanbauer*innen in Deutschland. Durch die im Zuge der Corona-Krise erfolgten Grenzschließungen haben auch lettische Bauern offenbar Mühe, auf dem eigenen Markt genug Arbeitskräfte zu finden. "Bei uns können die Leute immerhin so um die 1000 Euro pro Monat verdienen", versprechen die Arbeitgeber.

Bauern zahlen nach Ernteleistung - je mehr Beeren geerntet werden, desto größer der Verdienst. Aber das allein dürfte ja keine Überraschung sein. Von Regierungsseite wird jetzt überlegt, auch für Landarbeiter*innen die Einreisebestimmungen wieder zu erleichtern. Gundega Sauškina, Mitinhaberlin bei "VeryBerry SIA", einem lettischen Saft- und Sirup-Hersteller, sieht darin aber kein Ausbeutung von schlechter Gestellten in den Nachbarländern. "Unsere Einheimischen sind zu faul", meint sie (LA).

"Wir mögen saubere und echte Beziehungen. Ohne Lügen und Heuchelei. Wir lieben es, wenn Freunde überraschend vorbeikommen" - so steht es auf der "VeryBerry"-Webseite unter "unsere Werte", sogar auf Deutsch. "VeryBerry" liefert auch nach Deutschland - ob es die Säfte bei "Starbucks" sind, das Müsli bei "Seedheart" in Hamburg, als Smoothie bei Kastingers in Österreich, oder sogar "Nespresso-Kapseln" - überall ist "VeryBerry" drin. Die Firma erfreute sich noch vor kurzem einer Verdopplung des Absatzes (Dienas bizness). Ein Erfolg also, der offenbar auf billigen Leiharbeiter*innen aus anderen Ländern beruht - zumindest in der Hochsaison. Von Ape (einer Grenzstadt zu Estland) aus in die ganze Welt: es wird inzwischen auch nach Litauen, Estland, Tschechien, Spanien, Belgien, Großbritannien und in die USA exportiert. Und um die stark gestiegene Nachfrage befriedigen zu können, werden bei "VeryBerry" inzwischen Beeren zugekauft, nicht mehr nur selbst erzeugt. Und das, obwohl der Verkauf in Schulen und Restaurants ja zur Zeit erheblich einbrechen musste.

"VerryBerry"-Eigenwerbung
Vorerst bleibt also die Sorge, genug Arbeitskräfte für die anstehende Ernte zu bekommen. "Manche der Hiesigen verschwinden einfach, wenn sie den Wochenlohn erst einmal bekommen haben," berichtet Sauškina, "manche arbeiten auch noch auf dem eigenen Hof. Aber andere verjubeln ihren Wochenlohn auch so freudig, dass sie am nächsten Montag dann nicht mehr auftauchen. Aber die Beeren warten nicht!"

Einzelne Helfer*innen habe sie auch aus Riga, meint Sauškina. "Jedes Jahr kommen zwei Medizinstudentinnen und ein Lehrerin, die arbeiten sehr fleissig." Unterschiedliche Arbeitsmoral scheint eines ihrer Lieblingsthemen zu sein. Aus Kasachstan habe sie schon Arbeiter*innen gehabt, nun wolle sie es mit Leuten aus Usbekistan versuchen. Aber weniger Bürokratie soll es bitte sein, so ihr Wunsch: "Da haben schon mal beim Nachbarn Ukrainer die Erdbeeren gepflückt, danach bei mir die Heidelbeeren."
"Der Vorteil bei Gastarbeitern", so meint sie, "die hören auf die Anweisungen. Die Hiesigen beschweren sich bei jeder Kleinigkeit." Aber gute Erfahrungen habe sie auch mit denjenigen Lett*innen gemacht, die schon in Großbritannien gearbeitet haben. "Die sind nur für ein paar freie Tage nach Hause gefahren, und hingen dann hier in Lettland fest. Nun sind sie unter meinen besten!"

Während also die einen noch auf Verbesserungen für die traditionelle lettische Landwirtschaft warten, stellen andere das neue "Superfood" her - für Veganer und andere Naturfreund*innen.

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