26. Dezember 2019

Riga Klein-Klein: Neuwahlen, Volksabstimmung, Präsidentenveto

Nils Ušakovs hat es vielleicht geahnt: als der langjährige Rigaer Bürgermeister sich im Mai 2019 (erfolgreich) ins Europaparlament wählen ließ, hinterließ er die berühmten "großen Fußstapfen". Ušakovs Wählerschaft erstreckte sich über breite Schichten der Gesellschaft - eine Tatsache, die nicht in demselben Maße für seine Partei, die "Saskaņa" gilt (die sich neuerdings gern mit dem Eitikett "sozialdemokratische Partei" versieht).

Wer kommt nach Mr. U.?

Am 6. Dezember 2019 entschied Juris Pūce, als Minister für Umweltschutz und Regionalentwicklung auch zuständig für die Gemeindeaufsicht, dem lettischen Parlament die Auflösung des Rigaer Stadtrats vorzuschlagen. Im Parlament muss allerdings noch ein “Rīgas domes atlaišanas likums” beschlossen werden (ein Gesetz, dass die Modalitäten einer solchen Auflösung regelt).

Gestritten wurde zuletzt im Stadtrat vor allem über die Abfallentsorgung der Stadt, die einer Neuregelung bedarf. So argumentiert auch der gegenwärtig amtierende Bürgermeister Burovs: durch Auflösung und Neuwahlen würde nur eine schnelle und dringliche Lösung in diesem Bereich behindert. "Der Stadtrat ist demokratisch gewählt. Die Gesetzesvorlage zur Entlassung ist völlig unzureichend begründet," meint auch Saskaņa-Abgeordneter Vjačeslavs Dombrovskis.

Ehemalige Amtsträger: Ušakovs verschwand nach Brüssel, Stellvertreter
Ameriks musste erst wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten und
folgte dann seinem Chef auf einen Sessel im Europaparlament
Sehr schnell nach Puce's Entscheidung wurde spekuliert, Neuwahlen könnten schon am 29. Februar 2020 stattfinden - aber nun kommen die Feinheiten der lettischen Gesetzgebung zur Geltung (lsm). Nach gültigem Gesetz gilt für den Fall, dass der Stadtrat aufgelöst wird und bis zum regulären Wahltermin noch weniger als 15 Monate bleiben, dann können die gewählten Verwaltungsspitzen dennoch bis zum Wahltermin einfach weiterregieren. Um also eine Neuwahl überhaupt möglich zu machen, muss ein neues Gesetz her. Stadtratswahlen gab es zuletzt am 3. Juni 2017, also müsste eigentlich erst im Juni 2021 wieder gewählt werden - mit gegenwärtig unsicherer Mehrheit und schwer absehbarer Beschlußfähigkeit. Nach Ušakovs Umzug nach Brüssel gab es ein kurzes Zwischenspiel mit Dainis Turlais als Amtskettenträger. Im August wurde dann Oļegs Burovs gewählt, der die Partei "Gods kalpot Rīgai" ("Ehre Riga zu dienen") vertritt. Die Partei hat inzwischen Burovs für den Fall von Neuwahlen auch als Spitzenkandidat bestätigt.

Präsident, Volk und Verfassung

Aber auch das lettische Parlament kann in dieser Sache nicht allein entscheiden. Zwar wurde am 19. Dezember in erster Lesung eine entsprechende Änderung im Parlament beschlossen (Diena) - aber gegen deren Inkraftsetzung erhoben mehr als 1/3 der Abgeordneten Einspruch beim Präsidenten. Laut lettischer Verfassung muss Präsident Egils Levits in diesem Fall ein Gesetz für 2 Monate "auf Eis" legen - er setzt offiziell dessen Veröffentlichung für zwei Monate aus.

Damit eröffnet sich nun eine weitere Möglichkeit: falls sich 1/10 aller Wahlberechtigten dafür aussprechen, muss über dieses neue Gesetz sogar per Volksabstimmung entschieden werden - das wären momentan 154 868 notwendige Unterschriften. Selbst die Botschaften im Ausland und die militärischen Einheiten sind nun gehalten, Möglichkeiten zur Unterschriftensammlung für eine solche Volksabstimmung bereitzuhalten. (cvk) Beginnend mit Anfang Januar muss nun also erst mal zwei Monate lang abgewartet werden, ob genügend Unterschriften zusammenkommen. Bis zum 23.2. sind jetzt die Ämter allein schon damit beschäftigt, den technischen Rahmen für eine Unterschriftensammlung bereitzustellen. Falls es Neuwahlen des Rigaer Stadtrats geben wird - dann wohl nicht früher als Mai 2020. 

Wird denn das neue Gesetz besser werden als das bisher gültige? Auch dazu gibt es sehr verschiedene Ansichten. Auch die neuen Regelungen wären sehr trickreich: dann könnte im Fall, dass ein Stadtrat aufgelöst wird, nach einer notwendigen Neuwahl der neue Stadtrat sowohl die Zeit bis zum eigentlich regulären Wahltermin, wie auch die gesamte nächste Amtszeit weitermachen - im Falle einer Neuwahl 2020 stünden dann die nächsten Wahlen erst wieder im Jahr 2025 an.
Es könnte also sein, dass auch das lettische Verfassungsgericht in dieser Sache noch angerufen wird. Ex-Regierungschef Māris Kučinskis (ZZS) warnte bereits vor ernsthaften Folgen für die lettische Gesetzgebung, wenn dann dieses eilig beschlossene neue Gesetz sich als nicht verfassungsgemäß herausstellen sollte (LA).
Zunächst mal meldete, wie erwähnt, Präsident Levits seine Bedenken an, die vorgesehenen Gesetzesänderungen könnten eine Amtszeit des Stadtrats von mehr als fünf Jahren ergeben (lsm).

Und, als ob es nicht schon der Irrwege genug wäre: als juristische Grundlage für eine Auflösung des Stadtrates benannte Minister Puce das angebliche Unvermögen der Stadt, die Abfallentsorgung neu zu regeln. Am 16. Januar wird aber das Ergebnisses einer dementsprechenden Ausschreibung bekannt werden. Sollte sich dann also doch plötzlich eine Lösung auftun - wären die Gründe zur Auflösung des Stadtrats vielleicht auch wieder hinfällig.(LA)

Also kein Wunder, wenn es allen in Riga momentan schwerfällt zu erklären, wer nun eigentlich zur Jahreswende 2019/ 20 im Rathaus das Sagen hat.

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