Drei Personen hat Regisseur Chris Kraus ("Poll") in seinem neuen Film "Blumen von gestern" in den Vordergrund dieser Geschichte gestellt: nicht die Holocaust-Betroffenen oder Überlebenden, auch nicht die Täter. Die drei Hauptpersonen, Zazie (Adèle Haenel), Totila Blumen (Lars Eidinger) und "Balti" (Jan Josef Liefers) sind allesamt in der Holocaust-Forschung tätig. Als der bisherige Leiter stirbt, bricht zunächst ein unbarmherziger Konkurrenzkampf um die Nachfolge aus, dessen Ergebnis vorgezeichnet scheint: Balthasar sieht sich als den besser Geeigneten, vor allem den, der seine Emotionen besser im Griff hat. Totila ("Toto") wird zudem noch mit der Betreuung einer neuen Praktikantin beauftragt, was er vor allem als Herabsetzung versteht. Und er wird beeinflußt von der unsicheren Vereinbarungen mit seiner Frau, mit der er ein gewagtes Abenteuer eingegangen ist: weil er nicht in der Lage ist sie sexuell zu befriedigen, werden vorübergehende Liebhaber ausgesucht. Und zudem steht noch ein wichtiger Fachkongress bevor, zu der Holocaust-Überlebende geladen werden sollen - und der Umgang mit ihnen gestaltet sich keineswegs als vorhersehbar.
In den ersten Szenen des Films könnten manche Zuschauer ungeduldig werden: wirklich sympatisch kommt hier niemand rüber. Toto und Balti schlagen sich gegenseitig blutig, die Praktikantin kommt mit allerhand Vorurteilen in Deutschland an, die Wissenschaftler-kolleginnen und kollegen wirken wie verblüffte Statisten in einem Krankenhaus, wo sich die "Ärzte" selber zum Pflegefall machen.
Da wirkt der Sarkasmus der Jüdin Frau Rubinstein fast erhellend im Nebel der persönlichen Eitelkeiten und Unsicherheiten. "Zeigen Sie mal ein Foto von ihrer Frau", fragt sie Toto ganz unvermittelt, und überrascht ihn außer diesem unvermittelten Hieb in sein persönliche Schwachstelle auch noch mit bestem Befehlsdeutsch: "Hinsetzen, los zack!" Und Toto setzt sich unbeholfen mitten auf den Tisch. Eine Szene, die aus vielen persönlichen Gesprächen mit Holocaust-Überlebenden entstanden ist, meint Regisseur Chris Kraus. Dessen Stärke, nicht nur Ideen in Bilder umzusetzen (das ist, zugegeben, einfach der Beruf jedes Regisseurs), sondern auch messerscharfe Dialoge zu schreiben, die aus guter Beobachtungsgabe tatsächlicher zwischenmenschlicher Verhältnisse entstehen, wird in diesem Film mehrfach deutlich. Und Juden sind nun mal auch nur Menschen - selbst wenn sie einmal knapp dem Tode entkommen sind, laufen sie eben nicht ständig wie wutentbrannte, zerknirschte Rächer herum. Holocaust-Forscher Toto überrascht dies, wie so vielen Deutschen mindestens eine gewisse Unbeholfenheit zu eigen ist, im Umgang mit Juden. Ob diese alte Dame nun über ihn Witze macht, einfach nur schlechter Laune ist, oder nicht mehr ganz bei Sinnen - er kann es nicht einordnen. Sicherheitshalber schiebt er hinterher: "Ein Holocaustforscher mit Humor, das ist wie ein Popo ohne Loch", rutscht es Toto heraus, der an dieser Stelle zum ersten Mal einen Begriff von Zazie übernimmt.
Nicht nur dass in diesem Film ein Mops vorkommt, hat manche Kritiker dieses Films schon an Loriot erinnert. Allerdings kommt es Jan Josef Liefers über lange Strecken des Films weniger zu Gute - wo die Tonlage sich langsam im sarkastischen, dunklen Humor einpendelt, steigt für manche Zuschauer vielleicht allzu sehr die bekannte Rolle des "Börne" (aus dem Münster-Tatort) vor dem geistigen Auge auf. Das passt in diesem Fall aber schlecht, denn Liefers wirkt in dieser Filmrolle eher wie ein Spiegel dieses Schwarzen Humors, nicht wie sein Verursacher: muss er sich doch damit abfinden, erst zusammengeschlagen zu werden, eine Zeitlang mit einer häßlichen Spange herumlaufen zu müssen, als Möchtegern-Chef des Instituts unbeliebte Entscheidungen durchsetzen zu müssen und dann sich auch noch die Freundin ausspannen zu lassen. Liefers findet dabei, spätestens in der Szene wo Kongreß-Sponsor und Holocaust-Opfer zusammenkommen, durchaus gute Ausdrucksformen - nun gut, der Zuschauer mit Vorprägung ist eben selber Schuld.
Star ist hier eher Lars Eidinger - wer immer sich an diesen Film erinnert nachdem er ihn gesehen hat, wird sich auch an ihn erinnern. Wie er alle Gefühlsvarianten meistert, von aufbrausender Zerstörungswut bis zu neugieriger Spannung auf überraschende weibliche Anziehungskraft, ist durch ihn hervorragend verkörpert. Wer hier "Schwächen in der Figurenzeichnung" meint erkennen zu müssen (siehe "Westfalenpest"), hat wohl noch nie Wissenschaftscliquen intern erlebt, oder meint vielleicht, Professoren und Doktoren müsse man grundsätzlich nur anbeten. Wissenschaft darf persönliche Hintergründe haben, und damit muss man sogar umgehen lernen - das weiß inzwischen nicht nur Chris Kraus. Oder, wie es Jüdin Rubenstein im Film treffend sagt: "Man ist kein guter Mensch, nur weil man in einer guten Institution arbeitet." - Und auch Adèle Haenel wächst in diesem Film in etwas hinein, was sie zu mehr macht als einem deutschen Vorurteil einer Französin (also nicht etwa so wie Nathalie Licard bei Harald Schmidt, um wieder einmal den Weg Richtung Humor zu nehmen). Diese "Zazie" hat zudem das Glück, dass Regie und Drehbuch sie noch mitten im Film als Praktikantin kündigen und zu einer ziemlich unabhängigen Frau werden lassen - nicht nur zwischen zwei Männern, sondern auf dem Weg, ihre Bedürfnisse zu erforschen und ihren Sinn des Lebens zu finden.
Was bleibt am Schluß? Ein Kurzbesuch in Riga (nicht viel mehr als Flughafen, Hotel und ein altes Haus, das zurecht gemacht wie ein ehemaliges Gymnasium wirken soll), dazu neue Abgründe und persönlicher Ballast bei Toto, den auch Zazie nicht mehr so einfach beseitigen kann. Im Film findet eigentlich niemand sein Glück - und das ist gut so. Blumen für niemand eben - außer für diejenigen, die zufällig so heißen.
Webseite zum Film / Kinofinder
Filmkritiken:
SWR / Frankfurter Neue Presse / Westfalenpost / Rhein-Neckar-Zeitung / Berliner Morgenpost / Lippische Landeszeitung / Südtirol-News / Weserkurier / ORF / Badische Zeitung / Spiegel-online / Frankenpost / Trailer-ruhr.de / Berliner Zeitung / Focus / Critic.de / Mannheimer Morgen / Rheinische Post / EPD /
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