Nachdem es Anfang Januar wie überall in Europa viel Schnee gab, ist es derzeit in Lettland im Vergleich zu den letzten Jahren ungewöhnlich kalt. Eine Metapher?
Daß sich in Lettland in der wirtschaftlichen Krise politisch nichts verändert hat, ist keine neue Beobachtung. Folglich verwundert es auch wenig, daß nunmehr der “neuen” Regierung mit den von Präsident Zatlers im Januar 2009 geforderten neuen Köpfen nur noch wenige Chancen geben, die Monate bis zur Parlamentswahl im Herbst durchzustehen. Die Volkspartei hat der Versuchung widerstanden, daß Budget nicht passieren zu lassen, wie sie es 2004 einmal getan hatte. Ein solcher Regierungssturz hätte auch wohl eher dem eigenen Image geschadet, wie auch die Verabschiedung als Bürde einer von ihr eventuell selbst geführten Regierung hinterlassen.
Nun aber brechen Streite immer häufiger auch an Kleinigkeiten wie der Einführung eines Personalausweises und der elektronischen Unterschrift aus. Unter Protest verließ der Minister für Regionalentwicklung Edgārs Zalāns eine Kabinettssitzung. Dieser der Volkspartei angehörende Politiker gilt als wichtigster Vertreter seiner Partei im Kabinett. Er war vor einem Jahr als Regierungschef nominiert worden. Die Volkspartei ist nervös geworden, nachdem auch die Rückkehr ihres Gründers, Andris Šķēle, an die Parteispitze die Umfragewerte nicht verbessert hat.
Bliebe die Hoffnung einer Regierung, die nicht von der Neuen Zeit geführt wird, in der sich die Partei zu profilieren versuchen könnte. Eine Berufung des früheren dreifachen Ministerpräsidenten Šķēle wäre für die Partei auch mit Risiken verbunden angesichts der großen Probleme. Außerdem ist es keinesfalls gewiß, daß Präsident Zatlers diesem Wunsch der Partei nachkommen würde. Also wäre die Wahl eines parteilosen Kandidaten denkbar.
Auch für die Neue Zeit des derzeitigen Regierungschefs Valdis Dombrovskis hätte sein Sturz nicht nur Nachteile. Sie könnte sich zu den Wahlen wieder als Unschuldslamm präsentieren, deren Regierung gestürzt worden ist. Ein Hinderungsgrund für alle ist neben dem Negativimage des Königsmörders die nach wie vor guten Umfragewerte des Regierungschefs, der sich als erfolgreicher erwiesen hat, als auch seine Kritiker in der eigenen Partei erwartet hatten.
Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erklärt die Chefin des Rechnungshofes, Inguna Sudraba, ihre Bereitschaft, das Amt des Regierungschefs zu übernehmen. Angesichts der politischen Umstände und der verbreiteten Korruption in Lettland, ironischerweise bis hinein in die Anti-Korruptionsbehörde, ist Sudraba in den Medien häufig zu sehen und zu hören, was angesichts ihres Protestes gegen das Handeln der politischen Elite ihre Popularität begründet. Sudraba grenzte ihre Äußerung jedoch gleich wieder ein. Sie sei nicht an Politik und Macht interessiert, sondern wolle ihrer Arbeit nachgehen. Da alle politischen Kräfte ihre Unschuld verloren hätten, könne sie sich ein Engagement nur mit einer völlig neuen politischen Kraft vorstellen und das folglich auch nur nach den Wahlen im Herbst. Als neue Kraft akzeptiert sie auch nicht Einigkeit (Vienotība), die ein Zusammenschluß der Neuen Zeit mit ihrer Abspaltung „Bürgerliche Union“ und der Abspaltung der Volkspartei „Gesellschaft für eine andere Politik“ ist. Sudrabas Popularität ist, wie in Lettland gehabt, eine Einladung an viele Parteien, sie in ihre Reihen einzuladen. Nichtsdestotrotz verbreitet die russischsprachige Tageszeitung Telegraf Gerüchte, Sudraba stelle bereits eine Mannschaft mit Leuten aus der Wirtschaft zusammen.
Kritisch für Dombrovskis wurde die Situation am vergangenen Donnerstag, als das Parlament über ein Gesetz abstimmen mußte, welches mit Hilfe von Mitteln ausländischer Geldgeber die Auszahlung der wieder vollumfänglichen Pensionen regelt, wozu das Verfassungsgericht die Politik jüngst gezwungen hatte. Die Volkspartei war mit dem Entwurf der Neuen Zeit nicht zufrieden und legte einen eigenen vor, der präziser sei. Während das Harmoniezentrum sich nicht öffentlich festlegte, um, wie es hieß, keine unmoralischen Angebote für künftige Regierungsbündnisse zu provozieren, kündigte die oppositionelle „Lettlands Weg / Erste Partei“ ihre Unterstützung an.
Daß nunmehr das Gesetz gegen einen Koalitionspartner, aber mit Stimmen der Opposition das Parlament passierte, wollte Dombrovskis nicht als kritischen Punkt für den Regierungssturz werten, obwohl Zeitungen kommentierten, der Ministerpräsident regiere faktisch mit einer Minderheitsregierung, denn er könne sich auf die Volkspartei nicht mehr verlassen. Diese beeilte sich, Dombrovskis’ Sicht zu unterstützenTrotzdem diskutierne Volkspartei und Neue Zeit innerparteiliche über die beste Taktik für die verbliebenen Monate vor der Wahl, worüber Wahrheiten und Gerüchte an die Presse lanciert gelangen.
Immer noch nicht verschwunden ist derweil das Zeltstädtchen (telšu pilsētiņa) vor der Staatskanzlei. Begonnen hatte dies mit dem Protest gegen die steigende Arbeitslosigkeit eines Mannes aus Valmiera, zu dem sich schließlich weitere Demonstranten gesellten. Die Stadtverwaltung reagiert zurückhaltend, der Protest wird akzeptiert, sogar Ministerpräsident Valdis Dombrovskis hat die Demonstranten bereits besucht.
Derweil haben andere Einwohner Lettlands andere Probleme. Nach Auseinandersetzungen mit ihren Freundinnen haben es zwei junge Männer unabhängig von einander geschafft, ihre Wagen in der Ostsee zu versenken. Einer von ihnen wollte offensichtlich Selbstmord begehen, dem anderen brach der Wagen unbeabsichtigt ins Eis. Es ist so kalt in Lettland, daß die Ostsee an der Küste und damit ein guter Teil der Rigaer Bucht zugefroren ist.
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