Es könnte sein, dass nur wenige in Lettland das Lipperland kennen. Aus diesem schönen Lipperland kamen in jüngster Zeit gleich zwei führende Politiker der SPD: Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier. Beiden wurde im Bundestagswahlkampf das Etikett aufgeklebt, verantwortlich für die sogenannten "Hartz-IV-Reformen" zu sein, die für viele als Symbol für soziale Ungerechtigkeit herhalten müssen. Weitaus symbolischer aus lettischer Sicht war aber das, was Schröder gleich nach Abwahl als Bundeskanzler zu tun müssen glaubte: Aufsichtsratsvorsitzender beim russischen Staatsunternehmen GAZPROM zu werden. Da nützen all die Mühen vom Sommer des Jahres 2000 nichts mehr, als Schröder als erster deutscher Kanzler Lettland und den baltischen Staaten einen Besuch abstattete - eine Schwarz-Gelbe Regierung hatte dies sieben Jahre lang nicht zustande gebracht.
Dieser Tage zeigte sich in den lettischen Medien die Tendenz, dass der Deutsche Schröder (Šrēders) mindestens genauso nachhaltig im Gedächtnis der Lettinnen und Letten verbleiben wird wie der Deutsche Kohl. Aigars Kalvītis, vom 2. Dezember 2004 bis zum 5. Dezember 2007 Ministerpräsident Lettlands, abgesetzt von einer damals "Regenschirmrevolution" oder "Cappuccino-Revolution" genannten Volksbewegung der Unzufriedenen, hatte noch im Schwunge des Wahlsiegs 2006 seinem Land "sieben fette Jahre" versprochen - und nicht nur damit, sondern auch mit seiner bäuerlich geprägten Berufserfahrung öffentliche Vergleiche mit einem rosafarbenen landwirtschaftlichen Nutztier ausgelöst. Nun kam erst sein Rücktritt, dann die Krise. Ein Schelm, wer dabei denkt: hätten wir unseren Cūkmens doch bloß nicht zur Rücktritt gezwungen!
Manche wollten Kalvītis ja schon als lettischen Botschafter in Moskau empfehlen. Nun ist mit dem neuen russischstämmigen Bürgermeister von Riga, Nils Ušakovs, ein neuer "Lieblings-Gesprächspartner Moskaus" auf den Plan getreten. Aber Ende September zog Kalvītis seinen Trumpf aus dem Ärmel: ein Business-Lunch persönlich mit Vladimir Putin, gegeben während eines Investitionsforums in Moskau, zog die Aufmerksamkeit auf sich. Die lettische Europaabgeordnete Inese Vaidere, Mitglied der im Rigaer Stadtrat oppositionellen "Pilsoniska Savieniba" (bürgerschaftliche Vereinigung), sah gemäß lettischen Presseberichten "Parallelen zwischen Schröder und dem Verhalten von Kalvītis" (TVNet). Mit den Worten "Wenn es Gespräche gäbe, so müsse es ja auch Gründe dafür geben", spielte Vaidere darauf an, dass Kalvītis kürzlich seinen Sitz im lettischen Parlament aufgegeben hatte (und nun wohl frei für Sonderaufgaben im Sinne der russischen Wirtschaft sei?). Kalvītis selbst hatte die Notwendigkeit engerer wirtschaftlicher Vereinbarungen zwischen Russland und Lettland als Grund für seine Initiative angegeben, und die Möglichkeit eines Besuchs des russischen Außenministers Lavrov in Lettland angedeutet.
"Alles nur Neider", reagierte Kalvītis auch auf kritische Reaktionen des gegenwärtigen lettischen Wirtschaftsministers Kampars. "So ist er eben", kommentiert der lettische Journalist Karlis Streips, "so war er als Regierungschef, so ist er jetzt immer noch."
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