Die politische Situation in Lettland ist derzeit eine komische. Komisch im doppelten Sinne des Wortes, einerseits merkwürdig, andererseits aber auch eben tragikkomisch, so daß man schmunzeln möchte, ware die Lage nicht so Ernst. In Lettland ist etwas ungewöhnliches im Gange. Seit der Zeit der Barrikaden, als 1991 die Menschen im Januar die staatlichen Institutionen gegen eventuelle Übergriffe durch die Sowjetmacht geschützt haben, kam es erstmals wieder zu Protesten, die man hierzulande bereits als Massendemonstrationen bezeichnen kann – 5000 Teilnehmer.
Wieder geht es um Politik, wieder geht es um das Land, dismal jedoch nicht zum Schutze der eigenen politischen Elite, sondern gegen sie. Und damit wurde ausgeslöst, was bisher seit der Unabhängigkeit noch nie da war: eine Regierung verabschiedet sich, ohne daß ihr die Mehrheitim Parlament verloren gegangen ware oder auch einfach ein Partner eine andere Partnerschaft für die weiteren politischen Geschicke des Landes vorzog. Ohne jeden Zweifel hat sie politische Elite, die Regierung und insbesondere die Volkspartei in der Bevölkerung jades Vertrauen verloren. Die Entlassung des Chefs der Anti-Korruptionsbehörde brachte dann im Oktober das Faß zum Überlaufen, es wurde eben wieder demonstriert. Die wichtigste Regierungspartei stellte sich durch den Parteiausschluß (in Abwesenheit) des Vorstandsmitgliedes und Regionalministers, Aigars Štokenbergs noch selbst ein Bein und verlor auch Außenminister Pabriks, der sofort seinen Rücktritt einreichte. Die Koalitionspartner stehen vor einem politischen Scherbenhaufen, und einstweilen ist völlig unklar, was nun warden soll, denn eigentlich könnte nach dem Motto “aus alt mach neu” einfach mit anderen Gesichtern weiterregieren, auch wenn die einstweilen verhältnismäßig glaubwürdig als Antikorruptionskraft gebende Neue Zeit wie auch das bisher von allen mehr oder weniger als national zu bezeichnenden Kräfte gemiedene Harmoniezentrum in die Regierung streben.
Die Neue Zeit jedoch, die erst während der letzten Legislaturperiode von eben demselben regierungschef geleitete Koalition verlassen hatte, tut jedoch gut daran, sich nicht einfach als Mehrheitsbeschaffer einspannen zu lassen. Hinter dem ganzen Dilemma steht freilich noch das Damoklesschwert einer Aufklärung der Frage, wer nun auf den schwarzen Gehaltslisten des im März inhaftierten Büregrmeisters von Ventspils steht. Dies kann man bislang nur vermuten.
Die frühere Staatspräsidentin Vaira Vīķe-Freiberga, die nach eigener Aussage die Liste gesehen hat, verweigerte sich weitere Äußerungen einmstweilen.Das Volk und viele Politikwissenschaft fordern nun Neuwahlen nur gut ein Jahr nach dem letzten regulären Urnengang, nur so könne die Politik wieder legitimiert warden. Doch da stellt sich sofort die Frage, woher in so kurzer Zeit unbelastete politische Kräfte kommen sollen in einem Land, in dem sich die moisten Menschen angewiedert von der Politik abwenden. Und es ist ja eben auch (noch) nicht bekannt, wem man noch trauen kann und wem nicht. Was die Parteien der scheidenden Koalition wollen, ist ebenfalls schwer zu erraten, so hat Ministerpräsident Aigars Kalvītis drei seiner vier vakanten Ministerposten für einen Zeitraum von weniger als einem Monat besetzt. Bleibt nur das Wirtschaftsministerium unbesetzt, welches die konservative Für Vaterland und Freiheit beansprucht hat, nun aber aus Angst oder Unsicherheit auf einmal nicht mehr besetzen will. Welche Schritte also führen nun in Sackgassen und wo sind die Auswege?
Axel Reetz, Riga
1 Kommentar:
Die Frage sollte viel eher lauten: Wer ist fähig, das Land in der kommenden schwierigen Phase zu führen ?
Wenn Lettland die Finanzpolitischen Realitäten durchleiden wird, ist wohl noch viel mehr zu erwarten, als dieses kleine Scharmützel.
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