Am 7.Dezember 2005 gab Präsidentin Vīķe-Freiberga bekannt, dass Riga als Ort des nächsten NATO-Gipfeltreffens auserkoren sei. Schon in der ersten Pressemeldung ist von den Kosten die Rede - man könnte sich erinnert fühlen an die gegenwärtig in Deutschland laufende Diskussion um den G8-Gipfel in Heiligendamm (Meck-Pomm) nächtes Jahr. Aber Riga sieht es nach einer Vergangenheit als Austragungsort für Grand Prix d'Eurovision, 800.Städtegeburtstag, Eishockeyweltmeisterschaft, US-Präsidentenbesuch, und etlichen großen internationalen Konferenzen wohl lediglich als beinahe sportliche Herausforderung: auch damit werden wir noch fertig werden! 15 Millionen Lat (22 Millionen Euro) - das war schon vor einem Jahr die Summe der ersten Kostenschätzung. Damals war in lettischen Medien auch davon die Rede, dass auch Portugal diesen Gipfel gern veranstaltet hätte, und dass einige der 26-NATO-Mitglieder besorgt gewesen seien, ein NATO-Treffen in einem ehemaligen Sowjetstaat würde Moskau verärgern. Das lettische Aussenministerium hatte sich beeilt zu erkären, man würde sich selbstverständlich auch über die Teilnahme des russischen Präsidenten Putin freuen - der 2004 dem NATO-Treffen in Istambul fern geblieben war.
Die lettische Öffentlichkeit reagierte zunächst wie erwartet. "Wichtig, aber teuer", titelte die Tageszeitung Neatkarīga Rīta Avize (NRA). Daher war es wohl wichtig, auch investive Maßnahmen zu betonen, die der Stadt Riga zu Gute kommen sollten: der Ausbau des Flughafens Riga (heute mit sagenhaften Rabatten für Billig-Flieger vorangetrieben), und die völlige Renovierung des DAILE-Theaters noch vor dem Gipfel. Für Rigenser eher abschreckendes Beispiel war der erste Besuch von US-Präsident Bush im Frühsommer 2005 - fast ganz Riga war abgesperrt, nichts ging mehr. "Beim NATO-Gipfel erwarten wir 26 Delegationen plus Generalsekretär - aber es soll nicht wie ein Bush-Besuch mal 26 werden," beeilte sich denn auch der Staatssekretär im lettischen Verteidigungsministerium, Edgars Rinkēvičs, schon vor einem Jahr zu versprechen. Er fügte hinzu: "Das Ereignis wird aber ein Test sein, ob unsere Sicherheitsmaßnahmen auf dem notwendigen Stand sind." Der 28. und 29.November 2006 werden in Lettland Feiertage sein - aus rein praktischen Erwägungen.
So kann der Strom der in die Stadt hinein und wieder hinaus strömenden Menschen (und Autos) besser unter Kontrolle gehalten werden. Der Arbeitstag des Montags (27.11.) soll möglichst auf den Samstag (25.11.) vorgezogen werden. Seit September berichten nun die Medien von den laufenden Vorbereitungen. 4500 Paare wollener Handschuhe sollen den NATO-Gästen als Willkommensgeschenk überreicht werden (REUTERS). Daneben werden es auch noch eine Folklore-CD und natürlich eine Flasche "Melnais Balsams" sein. Auch Sweatshirts soll es noch geben, und 5550 Kugelschreiber liegen bereit - "kleine Souvenirs" im Wert von insgesamt 50.000 Lat, berichtete die lettische Presse. Am 26.Oktober gab es vorab schon mal "lettische Küche" im NATO-Hauptquartier in Brüssel: graue Erbsen, geräuchertes Huhn, "Jägerwürstchen", Nachtisch aus Roggenbrot, und Užava- und Lačplēsis-Bier dazu. Den ganzen Sommer lang hatte die lettische Pro-NATO-Organisation ("LATO") Infozelte abwechselnd in vielen Städten aufgestellt, um positive Stimmung zu schaffen. "Es gab Malwettbewerbe und andere Preisausschreiben," erklärte LATO-Generalsekretär Mārtiņš Mūrnieks. Während der Gipfel-Zeit wird die LATO dann in hoher Auflage englischsprachig die RIGA PAPERS herausgeben. Hier sollen Wissenschaftler/innen und Journalist/innen Analysen zur Sicherheitspolitik veröffentlichen können - darunter die lettische Politologin Žaneta Ozoliņa, der US-Diplomat Richard Holbruck, und Christoph Bertram, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Umweltorganisation "Greenpeace" hat während des NATO-Gipfels eine Demonstration in Riga angemeldet. Zu diesem Zweck wurden die lettischen Sicherheitsbehörden um Gewährung eines Liegeplatzes für ein Schiff gebeten. Gewaltsame Aktionen würden aber in keinem Fall toleriert, so Staatssekretär Rinkēvičs. Aufgezählt wurden in den lettischen Medien (DIENA) noch einmal die Vorkommnisse beim NATO-Gifpel in Istambul 2004 (mehrere Tausend gewaltsam vorgehende Demonstranten) und in Prag (relativ friedlicher Gipfel - lediglich der damalige NATO-Generalsekretär Robertson wurde mit Tomaten beworfen).
In Riga haben inzwischen im Theater DAILE NATO-Informationstage ("Tage der offenen Tür") begonnen. Pläne, das Theater als Tagungsort vorzusehen, waren wegen Sicherheitsproblemen inzwischen aufgegeben worden. Nun wird nur in der Rigaer Oper und im Olympischen Sportzentrum ARENA getagt. Ministerpräsident Kalvitis besichtigte derweil schon mal die beiden NATO-Schiffe "USS Monterey" und "HMS York", die zur allgemeinen Sicherheit (unter anderem per Radarüberwachung) in Riga beitragen sollen. Er freute sich, dass auch Schulklassen die Gelegenheit zur Besichtigung bekommen können, und erinnerte vor versammelter Presse an eigene Erfahrungen in Seefahrt ("das Schiff, auf dem ich Dienst tat, war noch acht Jahre jünger als dieses ..."). Insgesamt sollen 9.000 Sicherheitskräfte in Riga während der Veranstaltungswoche Dienst tun - auch aus anderen NATO-Staaten.
Bei soviel positiver Stimmung - wer mag da noch Kriegsgegner sein? Die meisten Lettinnen und Letten werden wohl erstmal hoffen, dass alles normal über die Bühne geht - zum Krisengebiet möchte man selbst lieber nicht mehr werden. Kritik am militärischen Werbe-Trommeln kommt denn auch zunächst einmal nur von solchen Gruppen, die im vergangenen Parlamentswahlkampf schlecht abgeschnitten haben und nun die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für eigene Zwecke nutzen wollen. "Rufen Sie die Telefonnummer 8008282 an, wenn Sie noch Fragen zur NATO haben," dieser Aufruf wird inzwischen in lettischen Zeitungen veröffentlicht. Danke - vorläufig keine Fragen mehr, liebe Ordensträger. Wir hoffen, dass Sicherheitspoltik nicht nur aus militärischen Muskelspielchen besteht!
Militärpolitische Themen, die im Vorfeld des NATO-Gipfels diskutiert wurden: - Lettland überlegt, eigene Kampfflugzeuge anzuschaffen (nachdem bisher die Luftüberwachung durch verschiedene andere NATO-Einheiten abwechselnd gesichert wurde). Das Flugfeld in Lielvarde soll dafür ausgebaut werden, Kosten vorerst: 1,3 Mill. Euro. - "NATO will mehrere Kriege gleichzeitig führen können" - das schrieb im Juni 2006 der SPIEGEL. Sichergestellt werden soll das durch eine "NATO-Eingreiftruppe", so das Hamburger Nachrichtenblatt unter Berufung auf REUTERS. 185 Millionen Euro sollen in die Entwicklung neuer luftgestützter NATO-Überwachungssysteme gesteckt werden. Auf 3,3 Milliarden Euro werden dann die entsprechenden Beschaffungskosten geschätzt (SPIEGEL, DIE WELT). - Georgien strebt die NATO-Mitgliedschaft an. Das erklärte Premier Surab Nogaideli schon Ende August in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Noch bevor die Konflikte mit Russland (Spionage-Verdächtigungen, Diplomaten-Ausweisungen, Zufahrts-Blockaden) so richtig losgingen. In Kürze schon soll eine neue Pipeline Gas über Georgien in die Türkei und nach Europa bringen - auch dies wird den Energie-Oligarchen in Russland wohl weniger gefallen. - Dazu passt auch die Meldung, dass sich Lettland einer Gruppe "Freunde Georgiens" zugehörig fühlt, zu der Bulgarien, Tschechien, Estland, Litauen, Rumänien und Polen gezählt werden. - Gemeinsame Minensuche in der Ostsee. Die entsprechenden Einheiten präsentierten sich u.a. während der Kieler Woche. - Lettland möchte Fragen der Energiesicherheit auch im NATO-Rahmen diskutieren. Dies gaben der lettische Botschafter bei der NATO, Janis Eichmanis, und EU-Energiekommissar Piebalgs kürzlich gemeinsam bekannt. - NATO-Einsatz in Afghanistan soll neu überdacht werden.
Dazu passen auch Überlegungen des NATO-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffel, die er am in einem Interview mit der Berliner Umschau äusserte. - Die Ukraine als Kandidat für den NATO-Beitritt. Ob diese Perspektive der Ukraine schon in Riga eröffnet werden wird, ist laut Tomas Valasek, slowakischer Sicherheitsexperte des CDI (Center for Defence Information) in Brüssel, noch offen. Wichtig sei die Devise der "offenen Tür für alle". - Lettland möchte sich auch an einer militärischen Einsatzkräften der EU beteiligen. Eine entsprechende Willenserklärung unterzeichnete die lettische Regierung am 6.November, so LETA am gleichen Tage. Webseite mit Infos zum NATO-Gipfel Riga: www.rigasummit.lv Offizielle NATO-Seite zum Riga Summit: www.nato.int
1 Kommentar:
Ja, so viele Punkte zu berücksichtigen. Mein Gefühl: Die Deutschen werden rangenommen, womöglich auch von den Esten und werden aufgefordert, uns mehr in Afghanistan einzubringen.
'Julianne Smith, a senior fellow with the Center for Strategic and International Studies, advised keeping an eye on the tension in Riga between countries, like Germany, that are keeping their troops in the safer Afghan north, and others - "the Dutch, the Brits and the Canadians, doing the heavy lifting in the south, handling all the high-intensity missions and taking the casualties. They're very bitter that all the other NATO nations are in these cozy missions in the north."' Zitat aus IHT. Ob die Nato weitere Kampfeinsätze machen will, da müssen sie wohl erstmal die Aufgaben neu verteilen, unabghängig ob man Kampfeinsätze unterstützt oder dagegen ist. Ohne die Deutschen einzubinden, unwahrscheinlich. Wir können machen, was wir wollen, es wird ungemütlich für uns. Egal welche Seite wir wählen, pro oder contra Kriegseinsätze.
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