10. Oktober 2006

Stabile lettische Parteien, irritierte deutschsprachige Medien

Riga, 10.Oktober. Die Wahlen sind entschieden, die Parteienkoalitionen voraussehbar. Eventuell gibt es sogar genau dieselbe Parteienkoalition in der Regierung wie bisher. Das scheint aber immer noch eine zu schwere Aufgabe fuer die deutschsprachige Presse zu sein - denn wer kennt sich da schon so genau aus? In Lettland gehen die Menschen zum Alltag ueber - denn Begeisterung war es keinesfalls, die dieser scheinbare "Weg der Stabilitaet" gewaehlt wurde. Abbildung: Lettlands politische Landkarte (Quelle: DIENA)

Politische Richtungsangaben - auf die einfache Art 

"Wir werden Gespraeche mit allen Mitte-Rechts-Parteien aufnehmen", so zitiert DIE ZEIT Regierungschef Kalvitis. Ohne solch scheinbar eindeutige Orientierungshilfen wagt sich die deutschsprachige Tagespresse kaum an eine Analyse. Im gleichen Beitrag wird behauptet: "Linke schneiden ueberraschend gut ab". Und was ist in Lettland bitte "links"? Alle Parteien, die fuer irgendwie "Russen-freundlich" gehalten werden? DIE ZEIT hat ein "Harmonie-Zentrum" gefunden, (offensichtlich populaerdeutsche Uebersetzung von "Saskanas Centrs" - SC), deren Abschneiden die verantwortlichen Journalisten ueberrascht hat. Aber was ist mit der PCTVL, die "Bienen" (nach ihrem Parteisymbol benannt), deren Frontfrau Tatjana Zdanoka so medienwirksam vom Europaparlament aus agititieren kann? Jahrelang dominierte diese Partei die sogenannte "linke" Szene in Lettlands Politik, agitierte radikal gegen die Schulreform, nutzte jedes erreichbare internationale Ereignis in Riga, um die kurzfristig eingereiste Journaille ueber die "schrecklichen Menschenrechtsverletzungen" in Lettland zu infomieren. Zuletzt sprach man sich auch gegen den Bau eines neuen Gebaeudes fuer die lettische Nationalbibkliothek aus. Die Quittung bei dieser Wahl: Ein Absturz auf beinahe unter 5%. Waren die Sprueche vielleicht doch zu radikal? Vielleicht sind doch nicht alle Letten irgendwelche "Faschisten", wie es gerne offen von PCTVL-Funktionaeren behauptet wird? Wer also "ueberraschend gut" abschnitt, waren die gemaessigten Parteien, denen auch in Handeln im Sinne der Interessen russisch-sprachiger Menschen in Lettland zugetraut wird. 14,42% erreichte die SC, dreimal mehr als noch kurz vor der Wahl prognostiziert. Das ist eine der wirklichen Ueberraschungen. Nur wenig fehlt noch an einer moeglichen Regierungsbeteiligung: lossagen muesste man sich noch von sowjetromantischen Politrentnern wie Alfreds Rubiks, der als ehemaliger Rigaer Buergermeister den Putsch gegen Gorbatschow unterstuetzte. Was solche Politiker noch fuer die Zukunft beitragen koennen, verstehen wohl weder demokratisch gesinnte Letten noch Deutsche. Oder gilt der Putsch gegen Gorbatschow als Ausweis fuer linke Politik?

Auf der Suche nach dem Abnormen in der Normalitaet 

Auch die Redaktion des TAGESSPIEGEL haben offensichtlich ein paar moechtegern-kritische Journalisten erreicht. Ein "Helmut Steuer" schreibt hier, "Politiker und Geschaeftsleute" haetten versucht, Stimmen zu kaufen. Steuer sieht den lettischen Wahlkampf davon "ueberschattet". Nun, Herr Steuer, gemeint haben sie wohl das "Jurmala-Gate" aus dem Fruehjahr 2006, als es um Buergermeisterwahlen in Lettlands bekanntestem Kurort ging. Ein bischen mehr Differenzierung bitte! Dann kann lettische Politik auch richtig interessant sein! Auch die WIENER ZEITUNG versucht sich an einer Einordnung der lettischen Parteien. Die gemeinsame Liste der lettischen Gruenen und der Bauernpartei erscheint hier als "Rechts-Gruene", die "Erste Partei" als "populistisch-christlich". Na gut, kein schlechter Versuch - aber wann wird das naechste Mal ueber Lettland berichtet? Das HANDELSBLATT titelt kurz: "Lettische Regierung bleibt an der Macht". Genau! Da weiss doch wenigstens jeder, was gemeint ist, oder?

Und wer war noch dieser Lembergs?   

Was wird eigentlich aus Aivars Lembergs? "Er stand doch gar nicht zur Wahl", sind hier die schlichten Antworten auf solche Fragen. Die "Gruene Bauernliste" hatte ihn zwar zum Kandidaten fuers Ministerpraesidentenamt erkoren, aber da er nicht auf den Wahllisten stand, aendert sich gar nichts. Das lettische Wahlrecht sieht das Recht fuer jeden Waehler vor, einzelne Personen auch mit Plus- und Minuszeichen zu versehen. Diesem Urteil entging Lembergs damit ebenfalls. Stattdessen wird nachgekartet: Praesidentin Vike-Freiberga habe etwas gegen ihn gehabt und sei nicht neutral geblieben - so aeusserte es Lembergs jetzt gegenueber LETA. Abwarten kann die lettische Oeffentlichkeit jetzt in aller Ruhe die vielen Gerichtsprozesse, die mit dem Namen Lembergs verbunden sind.

 Wahlergebnisse in Prozentverteilung /Parlamentssitze - kurz gefasst: Tautas Partija = 19,58% / 23 Sitze Zaļo un Zemnieku Savienība = 16,71% / 18 Sitze Jaunais Laiks = 16,40% / 18 Sitze Saskaņas Centrs = 14,41% / 17 Sitze Latvijas Pirmās Partijas un Latvijas Ceļa vēlēšanu apvienība = 8,59% / 10 Sitze Tēvzemei un Brīvībai/LNNK = 6,96% / 8 Sitze PCTVL = 6,02% / 6 Sitze Erfolglos blieb dagegen die lettische sozialdemokratische Arbeiterpartei (Latvijas Sociāldemokrātiskā Strādnieku partija) mit nur 3,50% der Stimmen, die "Euroskeptiker" mit nur 0,37% und auch die nationalradikalen (der deutschen NPD verbundenen) Partei "Alles fuer Lettland" mit 1,49%. Zur Gesamtuebersicht des lettischen Wahlamts hier.

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