14. Oktober 2009

Auch morgen wieder ein Tag?

Gestörte Frühstückslektüre

Wer in Lettland Zeitung liest, kennt schon seit den ersten Tagen der im Jahre 1990 verkündeten Unabhängigkeit Lettlands auch "DIENA" (der Tag). Ein junges Team, das keine Lust hatte ideologische Kampfblätter herauszugeben, sondern seriösen Journalismus zu begründen, möglichst unabhängig auch von den Interessen von Parteien, legte damals mit viel Enthusiasmus los.
Während andere Blätter wie
Cīņa ("Der Kampf, in Sowjetlettland herausgegeben zusammen mit Sovetskaya Latviya) sich zu Wendezeiten" zunächst neu gegründet in "Neatkarī Cīņa" (der unabhängige Kampf) und dann in "Neatkarīgā Rīta Avīze" (unabhängige Morgenzeitung) umbenannten, kam DIENA quasi jungfräulich, modern und westlich orientiert an ihre Leserinnen und Leser. Und während andere Mediengewächse der 90er Jahre inzwischen längst wieder aufgeben mussten (z.B. "Atmoda", "Labrīt"), wurde DIENA zwar 1993 im Zuge der Firmenprivatisierung vom schwedischen Medienkonzern Bonnier aufgekauft, konnte aber das damals bereits existierende Konzept weiterentwickeln. Lediglich der Versuch, parallel auch eine Ausgabe in russischer Sprache zu produzieren, musste im Jahr 2000 wieder abgebrochen werden.
Zwar gab es um die politische Ausrichtung der DIENA auch in den vergangenen Jahren bereits einige Diskussio
nen - zum Beispiel während der Auseinandersetzungen um das Demokratieverständnis der Regierung Kalvitis (siehe auch: "die Cappuccino-Revolution") warfen politische Beobachter der DIENA Populismus vor, der zunehmend eine nüchterne Analyse und Distanz zum politischen Geschehen ersetze (damals kletterten auch DIENA-Journalisten öffentlich auf die Bühne der Protestveranstaltung).

Ein Mediendeal

Nun, dieser Teil der Pressege-schichte endete Anfang Juli diesen Jahres. Bonnier gab bekannt, DIENA und "Dienas Bizness" für zusammen 9 Millionen Lat (ca. 12,8 Mill. Euro) verkauft zu haben. Als Grund wurden vor allem die drastisch eingebrochenen Umsätze auf dem lettischen Werbemarkt genannt - um 30% schrumpften die Einnahmen durch Anzeigen innerhalb kurzer Zeit.
Als Käufer trat der 34 Jahre junge Aleksandrs Tralmaks auf, ehemals Generaldirektor und langjähriger Vorstandsassistent des Unternehmens. Klar war bei diesem Kauf zwar, dass Tralmaks als Alleininhaber der Firma "Nedela S.A." der Käufer war. Unklar aber blieb bis vor kurzem, welche Absichten und auch welche Geldgeber hinter dieser Person und dieser Firma steckten. Registriert war "Nedela S.A." in Luxemburg, auch in Deutschland als Steuerparadies bekannt. Und Tralmaks verkündigte damals lediglich, er habe einen Fond gegründet und suche Investoren für den Medienmarkt. Dieser Fond musste offenbar sehr schnell gegründet werden, da Bonnier entschlossen war, die eigene Beteiligung an DIENA zum 3.Juli bereits zu beenden (siehe "Dienas Bizness" 8.7.09). Der Kauf konnte nur mit der Aufnahme eines Kredits abgeschlossen werden, dieser wiederum hatte erneut luxemburgische Quellen (Luxembourg Financial Services LFS).

Aus deutscher Sicht wäre sicherlich an dieser Stelle irgendwo sicherlich auch das Wort "
Heuschrecken" gefallen - das Schimpfwort für global agierende Finanzspekulanten, die mit Aussicht auf schnelle Gewinne Firmen verkaufen, kaufen, liegen lassen oder verdeckt spekulieren (Stichwort: Hedge-Funds). Die Aussage Tralmak's, der Kauf der DIENA solle sich für die Investoren innerhalb 3-5 Jahren lohnen, lässt ebenfalls in erster Linie auf Maßnahmen zur Kosteneinsparung und Gewinnmaximierung schließen.

Spekulanten und Spekulationen
Seitdem dauerten Spekulationen und Diskussionen um die mögliche Zukunft dieser beiden in Lettland bisher so einflußreichen wie angesehenen Medien an. Aber mit der Bekanntgabe der hinter dem Finanzdeal mit "DIENA" und "Dienas bizness" stehenden Käufer war offenbar doch ein Schlußpunkt auch der internen redaktionellen Diskussionen erreicht. Am 9.Oktober versuchte "
diena.lv" selbst noch die "Informationshoheit" zu wahren, und gab Details zu David Rowland und seine "Blackfish Group" (registriert auf der Kanalinsel Guernsey - noch so ein Steuerparadies) bekannt. Rowland gilt als der größte Einzelspender der Konservativen Partei in Großbritannien. Aber auch der Hinweis, Vater David Rowland stehe auf Platz 66 der reichsten Menschen in Großbritannien, und Sohn Jonathan Rowland habe bereits im Alter von 24 seine erste Million gemacht, beeindruckte offenbar insbesondere die Redaktionsmitarbeiter/innen nicht. Auf interessante Art und Weise verknüpfte sich damit auch die Finanzkrise in Lettland mit den europaweit noch bekannter gewordenen Folgen der Finanzkrise in Island: Rowling hatte kürzlich auch die bankrotte Kaupthing-Bank aus Island gekauft und als "Banque Havilland" wiedereröffnet (siehe "Islandtalks").

Der Ausstieg
Noch am gleichen Tag - dem 9.Oktober - gaben drei der bekanntesten journalistischen Akteure bei DIENA vor der Presse bekannt, dass sie ihre Kündigung eingereicht haben: die leitenden Redakterinnen
Anita Brauna, Nellija Ločmele und Pauls Raudseps. Raudseps bezeichnen manche Medienanalytiker auch als einen der "Gründer der DIENA" (er war anfangs mal Miteigentümer, und genoss seine Ausbildung in den USA, ist auch Vorstandsmitglied bei der Anti-Korruptions-NGO "DELNA"). Und am Ende dieses Tages waren es insgesamt schon 14 Journalistenkolleg/innen, die ihren freiwilligen Rückzug bekannt gegeben hatten. Ein kleines medienpolitisches Erdbeben in Lettlands Hauptstadt.

Medientechnisch bestens auf der Höhe der Zeit, schilderten die "Aussteiger/innen" den Verlauf der Ereignisse aus ihrer Sicht gleich mal
in einem eigens eingerichteten Blog: demnach hatte die Auseinandersetzung zwischen Geschäftsführer Tralmaks und einigen seiner besten bisherigen Mitarbeiter/innen längst den Ton eines höflichen Austauschs von Argumenten verlassen. Tralmaks warf einigen "schlechte Arbeit" und "böse Absichten" vor, und ließ ihre persönlichen Sachen durchsuchen. Die verbliebenen Mitarbeiter/innen der Redaktion mussten eine nahe gelegene Kneipe aufsuchen, da ihnen der Kontakt mit den zwei geschassten bisherigen Chefredakteurinnen Anita Brauna und Nellija Ločmele in den Geschäftsräumen der DIENA verboten worden war.

Was bleibt? Ein Scherbenhaufen? An den folgenden Tagen filmten lettische Fernsehteams eifrig die leeren Stühlen in der DIENA-Redaktion. Weitere bisherige "Köpfe" der DIENA geben ihren Abschied bekannt. Das schließt ein den bisherigen Chefkommentator Askolds Rodins (der zweite Chefkommentator Aivars Ozoliņš ist gegenwärtig noch in Urlaub), der Karikaturist "
Ernests", die Filmemacherin und freie Journalistin Laila Pakalniņa, und Kulturredakteurin Māra Misiņa.
Die Konkurrenz der "Latvijas Avize" zitiert beinahe genüßlich Zahlen, nach denen bereits bis zum 13.Oktober 91 Abo-Kündigungen bei DIENA eingegangen sind (Abo-Zahlen für Oktober: 24.617).

"Eigentümer kommen und gehen", schreibt Journalistenkollege Viktors Avotiņš am 13.10. in der
'Neatkarīgā', aber "es ist zu bedauern, dass diese Eigentümer den lettischen Journalismus degradieren." Andere (Kurmītis, ebenfalls NRA) weisen darauf hin, dass "Dienas Bizness" im Gegensatz zu DIENA es geschafft habe, profitabel zu arbeiten. Ein anderer bekannter Journalist Lettland,

Diena

23.11.1990 - 10.10.2009
RIP

Die DIENA-Aussteiger/innen dementieren bisher, eine neue Zeitung gründen zu wollen. Na, wie heißt es noch so schön auf Deutsch-Bayrisch: Schau'n mer mal.

Der "Aussteiger-Blog" CitaDiena (= "anderer Tag")

Der "Aussteiger-Blog-Nachfolger": neue Webseite www.citadiena.lv

1 Kommentar:

Axel Reetz hat gesagt…

So ganz jungfräuliche kam Diena nicht auf den Markt. Die Zeitung wurde 1990 als Organ des Obersten Sowjets und der neuen (Volksfront-)Regierung gegründet und erst 1992 privatisiert.