17. Juni 2009

Ein Video zuviel

Urteilen Sie selbst:
Dieses Video wurde dem bisherigen Leiter der lettischen Agentur für Tourismusentwicklung (Tūrisma attīstības valsts aģentūras TAVA), Uldis Vītoliņš, zum Verhängnis. Er musste heute beim lettischen Wirtschaftsminister Artis Kampars seinen Rücktritt einreichen, der diesen sofort akzeptierte (NRA 17.6.09). Der Vorwurf: solche Werbefilmchen seien unprofessionell gemacht, und somit eine Verschwendung von Steuergeldern.
20.500 Lat kostete dieser von der TAVA eingesetzte Werbefilm (ca. 30.000 Euro), den Film stellte die lettische Firma "Lautas" her. Abgesehen von den Kosten fiel aber besonders unangenehm auf, dass hier offenbar eher privaten Selbstdarstellungsgelüsten genüge getan wurde: "Hauptdarstellerin" ist Mairita Solima, eine lettische Millionärin, die in relativ schlechtem Englisch ausführlich die Vorzüge von Angeboten einiger Wellness-Firmen in Riga erklärt. Das Pikante dabei: bei einer dieser Firmen ist sie selbst die Eigentümerin. Bei einem weiteren Video (was inzwischen bei Youtube wieder aus dem Netz genommen wurde) tritt Tourismuschef Vītoliņš gar selbst als "Restaurantexperte" auf.
Das Video war zunächst bei "Twitter" aufgetaucht (wo sonst?), dann machte das lettische Portal "Apollo" vor einigen Tagen eine Story daraus (Rubrik: "Lustiges & Verrücktes").

Es ist Krise in Lettland. Da werden einige Leute erheblich schneller nervös - auch wenn in den letzten Jahren wirklich schon viel mehr an schlechter Werbung gelaufen ist (nach dem Motto: Riga liegt ja eh im Trend).



Auf der Internetseite des TAVA ist auch eine eigene Presseerklärung zum Video nachzulesen. Vītoliņš bezeichnet dort das Video als "Test der technischen Möglichkeiten", und den Auftrag zur Herstellung von insgesamt 40 Werbevideos habe man 2008 ordnungsgemäß ausgeschrieben. Dann sei dieser Film als "Schwarzkopie", also als Vorlage für die anderen Filme hergestellt worden, um die Technik zu testen. Verwendet worden sei der Film dann für die Testversion des Tourismusportals www.latviatourism.lv. Allerdings habe man auch für die geplante Endversion des Videos vorgehabt, die Stimme von Frau Solima zu verwenden. Schließlich sei es besser, wenn Expert/innen in den zu bewerbenden Gewerben dort selbst zu hören und sehen seien, so Vītoliņš. Diese Planungen seien nun zerstört (offenbar ist hier die Einstellung des Videos ins Internet gemeint), und er habe kein Verständnis dafür, wer daran ein Interesse haben könne.

Übrigens:
die Zeiten, in denen es lettischerseits als "Schande" galt, realitätsnah und ehrlich über praktische Erfahrungen im lettischen Tourismus zu schreiben ("es könnte ja dem Image Lettlands schaden" = Nestbeschmutzer), sind zumindest im Internet und in entsprechenden Blogs schon lange vorbei. Allerdings geht es zu wie so oft im Internet: Englisch muss man schon lesen können. Ein Beispiel: REDTAPE, die auch mal eine Liste der schlechtesten lettischen Internetseiten veröffentlichte. Als Leitschnur gilt wohl auch hier: Besser Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, als ungebremst alles schönreden.

und, ach ja:
seit heute morgen versucht TAVA offenbar, die bei YouTube eingestellten Videos verbieten zu lassen. Grund: Urheberrechtsverletzung. Wenn Sie also in diesem Blog KEIN Videobild mehr erkennen können (wie es bei der Erstellung dieses Blogs um 9:35 Uhr noch möglich war!), dann aus diesem Grund. Es dürfte trotzdem nicht schwer sein, dieses hoch interessante Qualitätsprodukt an anderer Stelle im Netz zu finden ... (Stichwort:
"nasing spešal")

und was noch?
Erinnert wird in diesem Zusammenhang auch gern an ein berühmt berüchtigtes Presseinterview des Ex-Ministers Atis Slakteris. Bisher war dieses die bekannteste Vorstellung auf offener Bühne zum Thema "Fremdsprachenkünstler als Minister". Daher auch die aktuelle Betitelung der millionenschweren "Hauptdarstellerin" Solima als "Schwester von Slakteris".

noch mehr?
Ja, zum Thema Slakteris machte sich bereits jemand die Mühe, eine Parodie zum wirklichen Interview herzustellen. Wir wollen an dieser Stelle wirklich nicht dazu aufrufen, Lettlands Image mutwillig zu beschädigen (an dieser Stelle erscheint gewöhnlich etwas, das Englisch "Disclaimer" heissen würde). Aber offensichtlich ist da schon etwas beschädigt. Und ähnliches mag auch dafür gesorgt haben, dass bei den Kommunalwahlen kürzlich immer weniger Menschen den sturen Slogans gefolgt sind: wählt nur die Lettischsprachigen ("denn die sind besser als die anderen").

7 Kommentare:

Anda hat gesagt…

Für die Vollständigkeit
Slaktera komentaars:
http://www.youtube.com/watch?v=Id4HyCw_FmE&feature=related

Albert Caspari hat gesagt…

Zur Vollständigkeit, Teil 2:
es gibt auch Quellen, die etwas zu den sonstigen Tätigkeiten der von TAVA mit der Vidoeherstellung beauftragten Firma "Lauta" sagen. Hier eine Liste:
- Betrieb von Sportstätten
- Viehzucht
- Pflanzenzucht, Gartenbau
- Energiegewinnung
- Verarbeitung von Metallschrott
(angeblich gemäß offizieller - aber nicht kostenfrei einzusehender Daten des Firmenregisters LURSOFT)

Anda hat gesagt…

Noch etwas: Für die meisten Letten ist Englsh die Zweitfremdsprache, oder sogar die Drittfremdsprache. Ich möchte ja einen deutschen Minister sehen, der in einer Zweit-oder -Drittfremdsprache über die Wirtschaft disskutiert.

Albert Caspari hat gesagt…

Es geht hier wirklich NICHT um die ethnische Abstammung von Politikern, sondern wohl eher um die Vorstellung einiger "Prachtexemplare" davon, was alles "normal" sei in der eigenen Selbstdarstellung. Verbunden mit einer totalen Überschätzung der eigenen Wichtigkeit.

Eines der bekanntesten Zitate und Beispiele für deutsche Politiker, die sich lächerlich machen auch ganz ohne Fremdsprachenversuche, ist ja der Ausspruch des früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke anlässlich eines Staatsbesuches in Afrika: "Guten Morgen, meine Damen und Herren, liebe Neger." Das ist inzwischen der (inoffiziell) meist zitierte und bekannte Satz von Lübke - wobei es damals keine privaten Möglichkeiten des Mitschnitts gab, und er diesen Satz so nie gesagt haben soll. Er wurde ihm in den Mund gelegt, weil er sich vielfach ähnlich oder genauso benahm (ein "Präsident vom Lande" auf Weltreise - ich weiß, wovon ich rede, bin in derselben Region wie Lübke geboren).

Vielleicht reagieren Lettinnen und Letten ja aus ähnlichen Gründen so zahlreich auf die im Post zitierten Selbstdarstellungen?

Anda hat gesagt…

Genau, es geht nicht um die Beherrschung der Fremdsprachen: es geht um die Beherrschung der Spielregeln der westlichen Politikperformance. Wer nicht die richtigen Beziehungen hat oder keine Spielregeln lernen will, der hat schon vor dem Beginn des Spieles verloren.

Albert Caspari hat gesagt…

Ne, tut mir leid, es geht hier auch nicht um "westlich" oder östlich. Es gibt ja auch Kommentare zu Slakteris, die sagen: "Was wollt ihr denn, auf Lettisch redet er genau solches dummes Zeug."

Jahrelang hat sowohl die offizielle lettische Politik wie auch die offizielle staatliche Tourismuswerbung immer behauptet, auf die Frage, welche Sprachen denn in Lettland so gesprochen werden: Lettisch. Dann selbstverständlich Englisch, dann auch Livisch, Latgalisch. Und dann ... (oft erst, wenn ich in Interviews nachgefragt habe)... auch Russisch noch ein wenig (von wegen "Englisch als Dritt-Fremdsprache").

Diese falschen, zumindest naiv und merkwürdig aussehenden Selbstdarstellungen wurden nur in den frühen 90er Jahren vom Westen selbst hervorgerufen, als noch kaum jemand etwas über lettische Kultur, Sprache und vielfache persönliche Schicksale wusste.

Natürlich gibt es auch immer noch "böswilllige" Medien bzw. schlechte Recherchen, und auch Yellow Press (Oberflächlichkeit als System und Verkaufstrick), im Westen wie im Osten, im Iran, in Weißrussland, in Georgien. Aber geht es hier darum? Ich glaube nicht. Die Lächerlichkeit der "Test-videos" a la TAVA oder der "Exklusivinterviews" a la Slakteris wird ja um so deutlicher, je besser man Lettisch versteht! (und damit auch etwas zu den Umständen der Entstehung lesen kann)

einige der estnischen Nachbarn geben gleichfalls beste Beispiele für das ab, was ich meine. Der estnische Präsident Ilves kürzlich in einem Interview, gefragt nach der Wichtigkeit Russisch zu lernen: "Nicht wichtiger als Englisch, Urdu oder Japanisch". - Das klingt völlig anders als eine Behauptung, junge Esten oder Letten würden in der Schule heute Englisch nur als dritte Fremdsprache lernen.

Realität und politische Sprüche - sie sollten nicht allzuweit auseinanderklaffen!

Anda hat gesagt…

Junge Letten ja - sie sprechen Englisch besser als Russisch. Aber Slakteris gehört nicht mehr zu den jungen Letten. Er spricht bestimmt Russisch viel besser als Englisch.
Und zweitens - die Rolle der "böswilligen Medien". Was mich wundert - es wird gar nicht darüber disskutiert, WARUM so ein Interwie überhaupt veröffentlicht wurde.