11. Juni 2009

Lettland: alles eingespart. Der Sommer kommt.

Oh, du schöne Urlaubszeit
Die Urlaubszeit kommt. Die Hotelpreise fallen, die Billigfluglinien werben. So mancher deutsche Tourist wird beim Besuch in Lettland vielleicht auch die gestiegene Nervosität merken, mit der diejenigen den Sommer durcharbeiten müssen, die bei kurzfristig gekürzten Löhnen ihr Auskommen sichern müssen.
Eines
ist ähnlich in Deutschland wie in Lettland: die Regierung wartet mit dem Verkünden unangenehmer Neuigkeiten bis die Wahlen vorbei sind. So auch die Regierung Dombrovskis. Eine Woche nach den Europa- und Kommunalwahlen regnet es jeden Tag neue Hiobsbotschaften.

Abwertung oder Einsparung? Oder beides?
500 Millionen Lat muss die lettische Regierung einsparen.
In Lettland geht das nicht wie in Deutschland - per virtuelle Kreditaufnahme und Abzahlung späterer Generationen. Hier hängt man am Tropf der internationalen Finanzinstitutionen und deren Rückzahlungsbeddingungen für die kurzfristig gewährten "Notkredite". Auch die Kürzung der Gehälter von Ministern und scheint nicht tabu. Vor allem wird es offen in der Presse diskutiert: 2385 Lat (ca. 3500 Euro) verdient in Lettland der Ministerpräsident, die Minister je 2147 Lat (hat jemand jemals Ähnliches über Frau Angela und ihre Minister in Deutschland gelesen?). Die gegenwärtig vorgeschlagenen Haushaltskürzungen schlagen auch für Mitglieder der Regierung Lohnkürzungen um 20% vor - so erklärte es Līga Krapāne, Pressesprecherin von Ministerpräsident Dombrovskis, und beeilte sich hinzuzufügen, diese Kürzungen könnten auch bis 50% gehen. Lettische Politiker als Masochisten? Ist das glaubhaft? Die zweite Welle der Einsparung liegt bei den privaten Haushalten. Es ist kein Geheimnis mehr, dass die vorwiegend schwedischen Banken, die den Markt in Lettland mit vermeintlich günstig vergebenen Krediten in den Griff bekamen, nun Schwierigkeiten haben. Denn die Mehrzahl dieser Kredite, an Privatleute, Kleinunternehmer, Familien, sind in Euro ausgestellt worden. Eine Abwertung des Lat würde also - nach erheblicher Kürzung der Löhne und Gehälter - alle ein zweites Mal treffen.

In dieser Woche beschloss die Regierung Dombrovskis weitere drastische Sparmaßnahmen, darunter eine Kürzung der Gehälter der Staatsbediensteten um 20% (64 Mill. Lat Einsparung) und eine Rentenkürzung um 10%. Denjenigen Rentner/innen, die auch (noch) einer Arbeit nachgehen, werden die Renten ab 1.Juli 09 sogar um 70% gekürzt (ergibt 37,8 Mill. Lat Ersparnis für das Staatssäckel), allen übrigen um 10% (50,5 Mill.). Ebenfalls um 10% gekürzt werden Unterstützungszahlungen für neu geborene Kinder (6,3 Mill. Ersparnis). Löhne und Renten werden damit auf das Niveau von etwa 2005 zurückgestutzt, während die Preis auf "europäischem Niveau" von 2009 bleiben - so ein Zeitungskommentar (NRA 10.6.09)

Währungsentwertung trotz stabilem Wechselkurs
Aber gibt es bei einer möglichen Lat-Abwertung überhaupt ein entweder-oder? Entweder Einsparungen (weil Beitritt zur Euro-Zone angestrebt), oder Abwertung und Verbilligung einheimischer Waren? Vor den Kommunal- und Europawahlen war dies von vielen noch als Wahl zwischen zwei Möglichkeiten dargestellt worden. Ein Beitrag der Financial Times zitiert am 11.6. einen Vertreter der Deutschen Bank mit dem Zitat: "Sinnvoll ist nur eine geordnete Abwertung, und darüber kann man erst ab Herbst nachdenken."Schlägt also wieder die Stunde der Spekulanten, die schon beim Immobilienmarkt jahrelang an schwindelerregenden Preisen verdient hatten, bevor das Kartenhaus zusammenbrach? Wird jetzt auf eine Lat-Abwertung am Markt solange spekuliert, bis es unvermeidlich wird?

Die Sparorgie
Manche Kommentatoren sprechen inzwischen von einer "inneren Abwertung" des Lat. Damit ist das gemeint, was momentan bereits läuft - während der Wechselkurs (noch) stabil ist. Lohnkürzungen, Rentenkürzungen, Steuererhöhungen. Die Mehrwertsteuer wird ab 1.7. von 21% auf 23% erhöht werden. Eine progressive Besteuerung wird vorerst nicht eingeführt.

Eine Liste des Schreckens. Die Schnelligkeit und Eile, mit der hier Budgets beschnitten werden, symbolisiert mehr als deutlich die Dringlichkeit der Lage: Das Gesundheits- ministerium muss 45 Millionen Lat einsparen, das Militär 15 Millionen, die Bildung wird um 10 Millionen beschnitten. Das Innenministerium bekommt 9 Millionen weniger, bei der Landwirtschaft werden 23,8 Millionen Lat eingespart, allein bei den Subventionen für die Bauern sind es 3 Millionen. 4 Millionen weniger bekommt das Umweltministerium, sogar bereits begonnenen Projekten sollen 6,5 Millionen entzogen werden. Das Finanzministerium selbst spart 46,1 Millionen Lat ein, das Verkehrsministerium 4 Millionen. 7,8 Millonen werden den lettischen Hochschulen weggestrichen, 1,7 Millionen bekommen die Kultureinrichtungen weniger. 8,1 Millionen werden beim Sport und bei Musikschulen eingespart, 5,7 Millionen bei Vorschuleinrichtungen - das alles sind nur Beispiele. Ich finde es sehr schwer vorstellbar, wie die Reaktion in Deutschland bei einer solchen Sparorgie wäre - egal, wem letztendlich die Schuld dafür zugeschoben werden kann.

Jānītis allein zu Haus?
Wenn Sie in den Urlaub nach Lettland fahren - nehmen Sie einen soliden Euro-Schein als Spende mit, und spenden Sie es Ihrem Reiseführer oder Bed-and-Breakfast-Gastgeber. Denn wahrscheinlich ist, dass er oder sie entweder als unterbezahlte Lehrer/innen arbeiten und sich durch einen Job das Überleben sichern müssen, oder sogar noch teilweise von der Landwirtschaft leben müssen. Oder dass sie Beamte, Museumswärter, Angestellte in Ministerien oder bei den Kommunalverwaltungen sind. Alle sind jetzt betroffen, und alle fragen sich: kann ich in der nächsten Zukunft noch durch meine erlernte Arbeit in Lettland überleben? Die lettische staatliche Arbeitsagentur (Nodarbinātības valsts aģentūr - NVA) meldet heute, dass in den ersten fünf Monaten 2009 sich bereits genauso viele Menschen als im Ausland Arbeit suchend angemeldet haben wie im gesamten Jahr 2008: über 9000. NVA-Direktor Māris Silenieks erklärt das so: "Die Menschen haben Kredite laufen, die sie zurückzahlen müssen. Und wenn die Löhne gekürzt werden, müssen sie sehen dass sie dieses Geld anderswo verdienen." (TVNet)

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