16. August 2020

Lettische Kultur in Deutschland - nicht mehr nur im Sozialkanal

Auf "soziale Netzwerke" hatte die Botschaft Lettlands lange Zeit ihre Kommunikationswege ausgerichtet. Erstaunlich? Nun ja, auf der einen Seite stehen bei einer Botschaft ja die amtlichen Dienstleistungen, die jeder Staat seinen Bürger*innen gewährt. Das verlangt Formulare, Beamt*innen, Dienstzeiten und Gebührenordnungen. Auf der anderen Seite steht die Aufgabe, im betreffenden Land die lettische Sichtweise, politisch wie kulturell, bekannt zu machen, Sympathisant*innen und Mitstreiter*innen zu finden. 

Nach 1990 stand sicherlich erst einmal die Aufgabe, die notwendigen Funktionen eines Botschaftsbetriebes aufrecht erhalten zu können, im Vordergrund. Ohne Unabhängigkeit keine Außenvertretung: fünfzig Jahre lang war Lettland in Deutschland nicht sichbar gewesen. Die Aus- und Fortbildung auch für das Botschaftspersonal musste völlig neu aufgebaut werden.

So blieb vieles, was sich im wieder unabhängigen Lettland tat, in Deutschland unbekannt - auch weil sich die Deutschen mit einem Verständnis für lettische Belange ebenfalls sehr schwer taten. Und weil diejenigen Deutschen, die mal in Lettland gelebt hatten (plus deren Nachkommen) sich sehr schwerfällig gaben: noch heute sind die Aktivitäten der inzwischen unter dem Dach der "deutsch-baltischen Gesellschaft" zusammengefassten Vereine eher an Traditionsbewahrung ehemaliger deutschbaltischer Oberschichten orientiert, als an einer Neudefinition des allgemeinen deutsch-lettischen Verhältnisses. 

Schließlich gab es auch Zeiten, als in den lettischen Botschaften eher die Historiker*innen, Finanzfachleute oder verdiente "Atmoda"-Kämpfer*innen" das Sagen hatten. Es waren die Zeiten des "Eiropa mūs nesapratīs", also der tief verwurzelten Überzeugung, ein kleines Land, desse Sprache fast niemand versteht, werde auch in einem vereinigten Europa seine Interessen kaum durchsetzen können. 

Aber - wie immer kommt es anders, als ...es sich irgendjemand ausdenken kann. Es wuchsen neue Generationen heran, auch die Kommunikationswege unter den Menschen auf der Welt haben sich in den vergangenen 20 Jahren völlig verändert. Lettland musste nach dem Beitritt zur EU bereits mehrere Krisen überstehen, und nicht nur das: die Menschen verließen zu Zehntausenden ihr Heimatland, die einen schlicht auf der Suche nach angemessen bezahlter Arbeit, die anderen vielleicht auf der Suche nach verlorenen Träumen. 

Lettland hat sich neu besonnen, und versucht dabei optimistisch zu bleiben. Es gilt nicht mehr nur der Grundsatz "If you like Latvia, Latvia likes you" - der ein wenig wie die Vermeidung einer kritischen Auseinandersetzung und unangenehmer Themen wirkte. Grundlage bleibt allerdings die These, dass es nur einen Ort gibt, wo Lettinnen und Letten sich in jedem Fall zu Hause fühlen können: der lettische Staat. Aber es wird jetzt akzeptiert: auch andere Orte können "zu Hause sein". Viele Städte und Gemeinden in Deutschland zum Beispiel, wo inzwischen Hunderte von Lettinnen und Letten arbeiten, studieren, und aktiv sind. Allerdings sind diese "kopības" (Gemeinschaften) kaum organisiert, also die einzelnen Menschen sind nirgendwo Mitglied. Immerhin: vom bloß virtuellen Aufsammeln dieser Kontakte soll es nun zurückgehen zu gemeinsamen Aktivitäten. 

Schon 2017 stellte das lettische Außenministerium fest, dass inzwischen 370.000 Menschen, die einen Paß der Republik Lettland besitzen, dauerhaft im Ausland leben. Man ging daran, den organisierten Teil der im Ausland Lebenden zu kontaktieren, zu informieren, und wenn nötig auch zu finanzieren. Dem gegenüber stand eine hartnäckige Überzeugung der Lett*innen in Lettland, dass es den "Landsflüchtern" ja sowieso besser ginge als daheim: Tausende machten sich auch ohne Sprach- und Vorkenntnisse auf den Weg nach Irland, England, nach Deutschland oder in die Schweiz. Warum denen, die dort leben, auch noch helfen? 

"Damit sie eines Tages zurückkehren!" Diese These war am besten förderlich für die lettische Innenpolitik - wo ja bisher immer noch Parteien Teil der Regierung sind, die offen ein "lettischeres Lettland" propagieren. Zweites Argument: "Damit die dort geborenen Kinder ihre lettische Muttersprache nicht vergessen!" Auch das schien akzeptabel. Den Rest regelten die meiste jungen und digital gut geschulten Lettinnen und Letten größtenteils selbst: sie posten eifrig bei Youtube, Instagram, Facebook oder Twitter - die regierungsamtlichen Stellen, inklusive der Botschaft in Berlin, beeilen sich hinterherzukommen. 

Aus deutscher Sicht - oder aus der Sicht der deutschen Lettland-Interessierten - hatte sich in dieser Zeit allerdings gerade im Bereich Kultur eine Leerstelle aufgetan: mit Ausnahme des Jahres 2014, als Riga Europäische Kulturhauptstadt war, gab es nicht mal mehr Ansprechpartner*innen für diesen Bereich in Deutschland. Dazu kam, dass sich das Gebäude der Botschaft Lettlands nicht, wie die "Nachbarn" aus Litauen und Estland, in zentralen und gut erreichbaren Teil Berlins befindet - also sich nicht gerade als Veranstaltungsort anbietet. Zwischendurch wurden auch mal einfach kommerzielle Plakatkampagnen gestartet - nur in großen deutschen Städten, und vor allem touristisch ausgerichtet natürlich. Ziemlich verlassen aber wirkten die vereinzelten Beiträge zu Kulturereignissen auf der Webpräsenz der Lettischen Botschaft - teilweise längst veraltet, stets mit regierungsamtlichem Atem, und eben ohne Ansprechpartner*in im Fall von Fragen. 

Nun wurde, mitten in der "Corona-Zeit", ein eigenes lettisches Kulturportal in Deutschland eröffnet. Und bei "Kultur-Lettland.de" ist auch ein Newsletter eingebaut und beziehbar, der über aktuelle lettische Veranstaltungen in Deutschland informieren möchte. Also: Latvija mūs sapratīs! Endlich wieder etwas anderes als belangloses Chatten, oder sensationsheischende Egotrips! Auch die kulturellen Aktivitäten anderer sind etwas wert - auf jeden Fall sind sie es wert, weitererzählt zu werden und eine Chance auf Besucher*innen und Sympathiesant*innen zu haben - auch unabhängig von kommerziellen Interessen. Bleibt zu hoffen, dass es auf Seiten der Botschaft nicht nur (momentan arbeitslose) Corona-Praktikant*innen sind, die jetzt die kulturvermittelnde Arbeit leisten müssen - wir hoffen auf nachhaltige und längerfristige Konzepte.

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