25. März 2020

Abseits des Stroms zur Repatriation

eine Illustration aus dem britischen Film
"Stay home superheroes", den es bereits in
lettischsprachiger Fassung gibt
Ja, da haben sich die Verantwortlichen in der lettischen Regierung nun jahrelang Gedanken gemacht, wie die Arbeitsemigration aus Lettland in die wirtschaftlich stärkeren Länder Europas gestoppt werden könnte. Es wurden Rückkehrprogramme gestartet, Arbeitsvermittlung für "Heimkehrwilige", Lettisch-Lehrbücher für die Diasporakinder wurden gespendet - mit wenig Auswirkung.

Doch nun ist plötzlich alles anders: lange Staus an den Grenzen, ganze Schiffe und Sonderzüge werden für Rückkehrwillige nach Lettland gechartert. Und nicht nur das: alle, die einmal zurückgekehrt sind, kommen nun nicht mehr raus. Grenzen zu. Und wer es wagt, plötzlich nach Lettland zurückzukehren, soll sich gefälligst erst einmal 14 Tage lang in Selbstisolation begeben (siehe Regelung zur Ausrufung des lettischen Ausnahmezustands). Zu den offiziellen Regelungen gehört auch, dass Personen, die das nicht freiwillig tun, und einfach in Lettland herumspazieren oder zur Arbeit gehen wollen, von Nachbarn und Passanten bei der Polizei angezeigt werden können.

Da wirkt so ein Interview mit Dainis Krištopāns, lettischer Handball-Nationalspieler, schon fast skurril. Während der Handball-Europameisterschaft im Januar 2020 fiel der "Ludzānietis" (er stammt aus Ludza) unter anderem deshalb auf, weil sein Team auch gegen Deutschland spielte und dabei nur knapp verlor (ZDF / Youtube). Nach der EM wechselte der Lette, nun als "Handball-Monster" tituliert, zur Mannschaft der Berliner Füchse in die Deutsche Bundesliga. Zu diesem Zeitpunkt, Anfang Februar 2020, ließ sich dieser Vorgang vielleicht mit der Bemerkung "und noch ein Lette in Berlin" kommentieren. Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning wurde mit den Worten zitiert: „Es ist ein tolles Zeichen, dass wir einen solchen Weltklassespieler für Berlin gewinnen konnten.“ - "Krištopāns erfüllt sich einen Kindheitstraum", war in der "Latvijas Avize" zu lesen.

Interessantes Detail aus dem Animationsfilm
"Stay home superheroes" (lettische Fassung):
oben die Darstellung wie Erwachsene über die
Krise reden, unten die Kinder ...
Das war vor der "Corona-Krise". Inzwischen sind alle Sportveranstaltungen abgesagt, die Handball-Bundesliga pausiert. Aber wir erfahren auch, dass nicht alle Lettinnen und Letten sich spontan ins Auto setzen und dann an der Grenze zu Polen festhängen, oder mit Schiffen gerettet werden müssen. Krištopāns hält sich weiterhin in Berlin auf. "Wir sitzen zu Hause und warten, was passiert," berichtet der lettische Handballstar der "Latvijas Avize". "In der Mannschaft hat jetzt jeder seinen individuellen Trainingsplan, und den versuchen wir zu erfüllen. Wir hoffen alle, dass wir die noch ausstehenden Spiele noch spielen können." Einkaufen gehe er selten, aber es fehle ihm an nichts, berichtet der Lette "nach Hause", mit einem ironischen Seitenblick auf den angeblich so hohen Toilettenpapierverbrauch der Deutschen. Leider habe sein Team die Saisonziele bisher nicht erreichen können. Krištopāns lobt aber die Trainingsbedinungen und die Unterstützung der Zuschauer in Berlin.

Zurückgekehrt nach Lettland ist dageben Speerwerferin Līna Mūze. "Ich habe keine Probleme damit, mich erst mal zwei Wochen in Selbstkarantäne zu begeben", sagt sie. Nach einem Trainingsaufenthalt in Estland sei sie zurück nach Lettland gekommen für den Fall, dass sie ärztliche Hilfe benötige. "Da wird es dann ja heißen: unsere Staatsbürger zuerst, erst danach die Ausländer", vermutet sie (LA). Während Estland aus lettischer Sicht bereits zu den "Corona-Risikoländern" gehört, berichtet die Sportlerin von wesentlich konsequenteren und früheren Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen in Estland. Für Olympia 2020 in Tokio war Speerwerferin Mūze bereits qualifiziert - aber auch diese Planungen sind ja inzwischen um ein Jahr verschoben.

Für das Portal "delfi.lv" berichtet die Lettin Vija Tomaševska aus dem hessischen Taunusstein. Eine Bekannte, ebenfalls Lettin, habe sich mit dem "Covid-19"-Virus infiziert, daher habe sie sich nun in eine 14-tägige "Selbstquarantäne" begeben. Auf einen Virustest warte sie aber noch immer - so seien die Verhältnisse in Hessen. Zusammen mit Mann und Kind lebe und arbeite sie seit 2015 in Deutschland, erzählt sie der "Heimatpresse". Zum 1.März habe sie einen neuen Arbeitsplatz antreten sollen, das sei nun erst einmal verschoben. Sie vermutet, sich zusammen mit ihrer Bekannten angesteckt zu haben, denn einmal seien sie beide in einem überfüllten Bus gefahren.
Der Alltag in Quarantäne sei nicht einfach, denn sich ein Mittagessen per Kurier zu bestellen, sei fast unmöglich - die Kuriere seien entweder generell zurückhaltend, oder auch bis Mitte April bereits ausgebucht. Der Arzt habe geraten, der Mann könne ja schnell mal einkaufen gehen, wenn er keine Symptome zeige - solchen ärztlichen Rat findet die Lettin zweifelhaft, und sie fügt hinzu: "Eigentlich wollte ich mich von der ganzen Aufregung fernhalten, jetzt nehme ich es ernster.".

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