15. Juli 2018

Berlin, kein Platz für Letten

Es war für den 26.-31. Juli 1968 geplant: der 1. Lettische Weltjugendkongreß in Westberlin. Die Veranstaltung geriet aber plötzlich ins Visier der Weltpolitik: kurz vor Beginn wurde den Veranstaltern mitgeteilt, das Treffen könne  nicht stattfinden - Berlin unterlag noch dem  Viermächte-abkommen (Frankreich, USA, Großbritannien, Sowjetunion). Mit dem kurzfristigen Verbot der Veranstaltung geriet auch das Thema des erzwungen Beitritts Lettlands zur Sowjetunion in den Fokus der Weltöffentlichkeit.

Zum Fünfzigsten

Es wäre damals das Gedenken an den 50.Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung Lettlands gewesen - so wie es in diesem Jahr der 100.Jahrestag ist. Bis zum 22. Juli waren die Vorbereitungen ganz normal verlaufen: 456 Teilnehmer/innen aus aller Welt hatten sich angemeldet, etwa 180 waren schon in der Stadt angekommen.

Es waren vor allem die deutschen Sozialdemokraten unter Willy Brandt, die für ein Verbot des lettischen Kongresses sorgten, meinen die lettischen Beteiligten von damals. "Sie wollten sich unbedingt mit den Sowjets verständigen. Und sie hatten uns schon vorher gewarnt, uns gebeten die Veranstaltung abzusagen. Wir aber hatten die Räume gemietet, eine so kurzfristige Absage hätte Kosten verursacht. Da sind sie zuletzt mit dem Viermächtestatus gekommen, dagegen war kein Einspruch möglich,"  so meint Kārlis Kangeris, damals ebenfalls beteiligt, heute Historiker. (lvportals).

"Lettenkongreß unerwünscht" titelte die "Morgenpost". Das "Neue Deutschland" in Ostberlin schrieb von einem "Antisowjetischen Hetzkongreß". Der "Spiegel" schätzte es so ein: "Sie wollten Ruhe an der Sowjetfront". Und "Die Zeit" kritisierte: "Eine Entscheidung, die viel zu spät kommt",  denn mit dem Verbot sollte plötzlich auch der zugesagte finanzielle Zuschuss des damaligen "Bundesministerium für Familie und Jugend" in Höhe von 60 DM pro TN entfallen.

Der Umzug

Was aber tun? Es bot sich an, die Veranstaltung nach Hannover zu verlegen, denn dort sollte vom 1.-4. August 1968 ein Lettisches Sängerfest stattfinden - dafür hatte der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmeier die Schirmherrschaft übernommen (Die Welt). Natürlich war kurzfristig keine so große Menge Flugtickets zu bekommen. "Einige wollten ja trotzdem in Berlin bleiben," erzählt Atis Lejiņš, 1992 bis 2009 Direktor des Lettischen Außenpolitischen Instituts (Latvijas Ārpolitikas institūtu LĀI) und heute Politiker, damals ebenfalls unter den Organisatoren. "Aber wenn wir uns aufgeteilt hätten damals, dann hätten wir wohl nichts erreicht."

Es war dann eine speziell georderte "Pan Am"-Maschine, die alle nach Hannover brachte. Später soll es zu einer Spende von 50.000 DM von US-amerikanischer Seite gekommen sein. Am 26. Juli abends wurden die jungen Lettinnen und Letten, aus Berlin kommend, von den anderen, die bereits in Hannover warteten, mit Jubel und Blumen begrüßt. "Die Westberliner Presse war auf unserer Seite," meint Kangeris, "uns schlugen viele Sympathien entgegen. Und dass wir dann solch eine Aufmerksamkeit in der Weltpresse hatten, von 'Le Monde' bis 'New York Times', das war für alle überraschend." Aus vielen Ländern der Welt kamen ja Kongreßteilnehmer, aus den USA, aus Schweden, Australien, Kanada, und vielen anderen Ländern. "In meinem Pass zum Beispiel", erläutert Rāsma Kārkliņa (Šilde), stand 'heimatloser Ausländer'. Bei diesem Ereignis wurden wir aber nicht als 'Ausländer', sondern alle als Lettinnen und Letten angesehen. Das gab auch unserem Selbstverständnis einen großen Ansporn!" (lvportals)

Prag, Berlin, Moskau, Bonn

Es war ja die Zeit der Studentenunruhen - für die einen eine Revolution, für die anderen eine Bedrohung. In Prag ruhten die Hoffnungen noch auf den Reformen Dubčeks - die Situation erschien also im Juli 68 sehr sensibel (auch deshalb der vorsichtige Umgang mit den Sowjets). Der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen erfolgte dann am 21. August 1968.
US-lettische Demonstrant/innen am
1.8.1968 in Bonn
Eines der Kennzeichen der Lage im Juli 1968 war es, dass damals vor allem die USA ein Ansprechpartner für die im Exil lebenden Lettinnen und Letten waren - während andere ja gerade wegen des Vietnam-Kriegs vehement gegen die USA demonstrierten.
Der deutschen Seite unterstellt man von lettischer Seite noch heute, das deutsche Außenministerium habe den Viermächte-Status Berlins nur benutzt, um den lettischen Jugendkongreß verhindern zu können. (barikadopedia) Die Proteste gegen das Verbot aber richteten sich vor allem an den US-Vertreter in Berlin. Die schriftliche Antwort der US-Botschaft vom 30.7. betonte daher besonders, dass die USA weiterhin den erzwungenen Beitritt Lettlands zur Sowjetunion nicht anerkennen würden.

Das reichte aber den in Hannover anwesenden US-amerikanischen Lett/innen nicht aus: etwa 60 von ihnen reisten zu einer eigenen Protestdemonstration am 1.8. vor der US-Botschaft in Bonn. Dort residierte US Botschafter Henry Cabot Lodge. Schon sein Großvater, Henry Cabot Lodge Senior, war als Unterstützer der Sache der baltischen Staaten bekannt gewesen. Lodge junior war als US-Politiker republikanischer Gegenkandidat zu Kennedy gewesen, und den lettischen Verbänden in den USA bestens bekannt (American Latvian National League / Amerikas latviešu apvienības ALA). In einem neuen Protestbrief wandten sich nun "US-Bürger lettischer Herkunft" auch dagegen, im Zuge der Berliner Ereignisse "ehemalige Bürger Lettlands" genannt zu werden. Botschafter Lodge empfing daraufhin immerhin drei Vertreter/innen der Protestler zu Gesprächen (Valda Daiga, Pauls Lazds und Atis Lejiņš), ohne aber Gründe für das Verbot der Berliner Veranstaltung zu nennen. Etwas später gab es sogar noch einen Protestbrief an alle 535 Mitglieder des US-Kongresses.

Auf dem baltischen Weg

1966 war bereits der Verband "Baltic Appeal to the United Nations (BATUN)" gegründet, der regelmäßig gegenüber den Vereinten Nationen (UN) an den Hitler-Stalin-Pakt und die Folgen für die baltischen Staaten erinnerte und den "Baltischen Appell" erarbeitete, der am 23. August 1979 veröffentlicht wurde. 

Der heutigen lettischen Öffentlichkeit ist der "verbotene Kongreß" von Berlin eher unbekannt geblieben - es war eher ein Thema unter den im Ausland lebenden Lettinnen und Letten. "Wir gerieten damals ins Zentrum der Aufmerksamkeit einer breiten Weltöffentlichkeit", sagt Rāsma Kārkliņa, eine der damaligen Organisatorinnen, heute (lsm). Am 9.Mai war die Lettische Nationalbibliothek Austragungsort eines Kongresses in Erinnerung an die Ereignisse in Berlin vor 50 Jahren. Veranstalter war der Verein der lettischen Jugend (“ELJA 50”- Eiropas Latviešu jaunatnes apvienība).

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