26. Mai 2014

Kandidaten überzeugen - Europa nicht?

Skeptischer Blick des Zeichners Ēriks Ošs
auf die Europawahlen und den Wahlspruch einer
Kandidatin "der Mensch ist das Wichtigste":
- Geheimnisse ewiger Jugend
gefunden! Man muss nur zur Kandidatin
fürs Europaparlament ernannt werden ...! -
"Die verschwundene Mehrheit" könnte das Stück heißen, was da am Sonntag in Lettland aufgeführt wurde. Zehn Jahre zuvor noch stolzes Neu-Mitglied in der Europäischen Union, kann man heute noch nicht mal sagen "die Wahlberechtigten blieben zu Hause" - denn eines der großen Probleme ist ja immer noch die Arbeitsmigration in Richtung reiche EU-Staaten. Ob die Nichtwähler/innen also eher "zu Hause in Lettland" oder "auf der Suche nach einer angemessen bezahlten Arbeit unterwegs" waren, lässt sich nur spekulieren.

Angesichts der besonderen Umstände ebenfalls bemerkenswert: mit 46,19% entfiel so viel wie niemals (seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit) auf eine einzige Partei. Die Liste der "Vienotiba" (Einigkeit) hatte einige Personen mit sehr hoher persönlicher Glaubwürdigkeit an ihrer Spitze stehen: Valdis Dombrovskis (langjähriger Regierungschef), Artis Pabriks (langjähriger Aussen- und Verteidigungsminister), Sandra Kalniete (Volksfront-Aktivistin, Ex-Aussenministerin, Buchautorin und seit 2009 bereits EU-Parlamentarierin) und Krišjānis Kariņš (Ex-Wirtschaftsminister, ebenfalls seit 2009 bereits EU-Parlamentarier). Beinahe hätte auch noch Inese Vaidere, ebenfalls seit 2009 EU-Parlamentarierin, ein fünftes Mandat für die "Vienotiba" geschafft. Also: das Motto "die Besten nach Europa" hat sich für Mitglieder und Unterstützer der "Vienotiba" ausgezahlt.

Auch Ex-Sowjetfunktionärin Tatjana Ždanoka hat genau die erforderliche Zahl Anhänger, die sie für ein EU-Mandat braucht: 6,38% der Wahlberechtigten stimmten noch für diese Liste, die jetzt unter dem Namen "Latvijas Krievu savienība" (Lettlands Vereinigung der Russen) firmiert. Ždanoka verstand es schon seit 2009 immer wieder, ihre Bühne als gewählte EU-Abgeordnete für provozierende Propaganda-Kampagnen in eigener Sache zu nutzen - und die meisten Lettinnen und Letten damit zu erschrecken, so wie ihr jüngster Pro-Putin-Einsatz auf der Krim.

Genau die Existenz solcher scheinbaren Bedrohungen des lettischen Staates nutzt offenbar auch der Liste der lettischen Nationalisten (Nacionālā apvienība "Visu Latvijai!"-"Tēvzemei un Brīvībai/LNNK"). 14,25% für die lettische Rechte ist diesmal relativ viel, reicht aber angesichts des überwältigenden "Vienotiba"-Erfolgs dennoch nur für ein Mandat - und das wird Parteivorsitzender Roberts Zīle einnehmen, der bereits seit 2009 dem EU-Parlament angehört und sich damals der Fraktion "Europäische Konservative und Reformisten" anschloss, die vor allem durch die englischen Konservativen die Schlagzeilen bestimmen. In Kommentaren gelten also Stimmen für die lettischen Nationalisten als Stimmen für "Euroskeptiker", was aber - für den lettischen Teil gesprochen - wohl nur im Sinne eines Beibehaltens des Förderalismus, gegen zuviel Zentralismus, gilt. "Raus aus der EU" will bei den lettischen Nationalisten wohl kaum jemand.

Ebenfalls lediglich ein Mandat erhält die Partei "Saskana", die sich jetzt "Saskaņa - sociāldemokrātiskā partija" ("Einklang" - oft auch als "Harmonie" übersetzt - sozialdemokratische Partei). In Lettland sonst stabil über 20%, in Riga mit einem durchaus populären Bürgermeister Nils Ušakovs an der Spitze, sah sich die Partei diesmal angesichts der Ukraine-Krise offenbar in der schwierigen Situation, ihren Ruf einer angeblichen Russland-Nähe positiv zu begründen. Aber die eigentliche Überraschung ist vielleicht, dass nicht der Saskana-Spitzenkandidat Boris Cilevičs das EU-Manbat schaffte, sondern der von den Wähler/innen von Platz vier nach vorn gewählte (20 Jahre jüngere!) Andrejs Mamikins. Also ebenfalls unter der Rubrik "überzeugend für die eigenen Anhänger" zu verbuchen. Mamikins gibt immerhin außer Englisch auch noch französisch, tschechisch und polnisch als Sprachenkenntnis an und war bisher als TV-Journalist und Inhaber eines Büros für Tourismusentwicklung in Riga bekannt.

Bleibt noch Mandat Nr. 7: es geht an die "Zaļo un Zemnieku savienība" (ZZS / Vereinigung der Grünen und Bauern). Auch hier wurde die Reihenfolge der Kandidatinnen und Kandidaten von den Unterstützer/innen dieser Liste kräftig durcheinander gewirbelt. In diesem Fall kommt noch dazu, dass - wie manche politischen Beobachter glauben - gerade in diesem Fall Kandidatin Grigule eine professionell gut organisierte Werbekampagne nur zu ihrem persönlichen Nutzen organisieren konnte. Iveta Grigule, Kultursoziologin und Chorleiterin, begann ihre politische Karriere zunächst beim "Listenpartner" Grüne Partei, wurde dort 2011 wegen verschiedener Differenzen ("Eigenmächtigkeiten") ausgeschlossen und wechselte zur "Bauernvereinigung", der sie 2013 beitrat. Nun also auf zu einem gut bezahlten Job nach Brüssel! Ob dies - außer ihr persönlich - auch dem Wiedererstarken der ZZS nutzen kann, die von der neuen Regierung Straujuma gerade erst wieder als Koalitionspartner akzeptiert wurde, wird sich zeigen müssen. Ebenso spannend wird die Frage, welcher Fraktion sich Grigule im EU-Parlament anschließen wird: in der Vergangenheit hatte sogar die Sowjet-Romantikerin Ždanoka sich erfolgreich den "Grünen / Freie Europäische Allianz" anwärmen können - ob das nun eine aus der Grünen Partei ausgeschlossene Lettin ähnliches ebenfalls versuchen wird? Eine starke Persönlichkeit wird man auch ihr zuschreiben können.

Ein Votum also für besonders starke Kandidatinnen und Kandidaten, in einer für Europa nicht ganz einfachen Zeit.

Nur 17% der Wählerinnen und Wähler liessen die Wahllisten der von ihnen bevorzugten Parteien unverändert - alle übrigen nutzten die Möglichkeit, ihre persönlichen Favoriten besonders hervorzustreichen und innerhalb der Listen "nach vorn" zu wählen.

Es bleibt interessant, wie stark sich die Politik im Europaparlament von spezifischen lettischen Interessen beeinflussen lässt.

Einzelheiten zu den Ergebnissen der Europawahlen in Lettland

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