Schade eigentlich, oder? Es wäre so schön, sagen zu können: das sind doch unsere Nachbarn und Mitbürger, unsere lettischen Russen. Diejenigen, die zu Lettland stehen, nicht zur Putin-Demagogie. 10 Jahre Mitgliedschaft in der Europäischen Union, und vor dem Beitritt schienen die lettischen Russen sogar ungeduldiger zu sein, endlich EU-Mitglied zu sein: es zählten auch noch diejenigen dazu, die meinten nun einfach ohne Lettisch lernen zu müssen in andere EU-Staaten weiterwandern zu können (solche Äußerungen habe ich damals gelesen).
Aber was nun? Durch die Vorgänge in der Ukraine scheinen sich die Gegensätze wieder zuzuspitzen: zwischen West und Ost, NATO und Russland. "Selbst Schuld!" sagen die einen, die meinen, durch das Ignorieren vieler Interessen und Nöte der russischen Mitbürger hätten gerade die Letten diese Lage mit heraufbeschworen. "Sicherlich fremdgesteuert!" entgegnen die anderen die meinen, auch in Lettland würden Russen ausschließlich mit dem Weltbild herumlaufen, dass vom russischen Fernsehen geprägt würde.
Einige Beobachtungen aus der lettischen Presse dazu. Besorgt äußert sich die Zeitschrift "IR" einem Beitrag über die Versuche der lettischen Regierung, den Schulunterricht weiter in Richtung des ausschließlichen Gebrauchs der lettischen Sprache zu reformieren, und die Straßenproteste der Russischsprachigen dagegen. Sprüche wie "sowas führt zu Zuständen wie in Kiew" sind längst auch in Riga zu sehen. Die Proteste dauern an, und finden - inzwischen könnte man schon sagen "jahreszeitgemäß" - wohl wieder ihren Höhepunkt am 9.Mai am "uzvaras laukums" ("Siegesplatz"), wo die von den Sowjetzeiten Geprägten wieder den Sieg über den Faschismus feiern werden, die größte Zusammenkunft von Russischsprachigen im ganzen Jahr.
Dieser "Siegesplatz" behielt durch alle Zeiten immer denselben Namen - nur die ideologischen Untertitel änderten sich, merkt "Videsvestis" an. Zunächst gab es vor inzwischen fast 100 Jahren die Idee, hier auf dem 36,7ha großen Gelände einen Park zu Ehren Peters des Großen einzurichten. Die Idee zur Anlage eines "Siegesplatzes" stamme aber noch von Kārlis Ulmanis, merkt "Videsvestis" an, und er habe damit die Vorstellung gehabt noch etwas Gewaltigeres und Eindrucksvolleres zu schaffen als das Olympiagelände von Berlin, dort wo 1936 die Olympischen Spiele eröffnet wurden. Bis 1937 seien schon 2,7 Millionen Lat für ein solches Projekt gespendet worden, und Ulmanis habe von einem Stadion mit 25.000 Plätzen und Volksfesten für 200.000 Teilnehmer geträumt. 1938 fand auf dem Gelände das Lettische Sängerfest statt. Es sollte auch ein 60m hoher Siegesturm gebaut werden, um die Jugend Lettland "zu immer neuen Siegen zu leiten", wie es offenbar hieß. Doch die begonnenen Bauarbeiten wurden vom Krieg gestoppt - und das unabhängige Lettland verschwand vorerst. In den letzten Kriegswochen sei auf dem Platz ein großes Kriegsgefangenenlager der Sowjets gewesen, erinnern sich ältere Rigenser.
Die neuen Pläne für einen "Siegespark" kamen dann erst in den 70er Jahren zum Tragen, als sich das 40.Jubiläum des Kriegsausbruchs (des "Großen Vaterländischen Kriegs") näherte. Ab 1976 wurde wiederum Geld gesammelt, und Freiwillige begannen mit den ersten Bauarbeiten. Ein Wettbewerb sollte den besten Vorschlag für ein Denkmal für den Sowjetsoldaten hervorbringen. Und seit 1985 heißt das ganze Gelände "Siegespark" - obwohl, so merkt "Videsvestis" an, sich selbst nach den Beschlüssen der sowjetischen Parteikongresse die Perspektive eines endgültigen Sieges des Kommunismus ja immer mehr in die Zukunft verschob.
Nun liegt die Zukunft des "Siegesparks" vorerst im Unklaren. 1997 gab es mal einen Sprengstoffanschlag, und seit dem etliche Entwürfe für Bebauungspläne, die erstmal alle "auf Eis" liegen. Vorerst ist das Gelände vor allem von Freizeitsportlern genutzt, Wettfahrten mit dem Fahrrad oder Basketballturniere finden hier genauso statt wie im Winter Treffen der Ski- oder Eislauffreunde. 2013 sammelten drei Initiatoren fast 10.000 Unterschriften auf dem Portal "Manabalss.lv" ("Meine Stimme") für den Abriss der Sowjetdenkmäler. Begründung: der Platz, so wie er gegenwärtig aussehe, rufe unnötig oft "antistaatliche Aktivitäten" hervor. Auf "peticijas.com" ("Petitionen") riefen Befürworter der Denkmäler zu ihrer Verteidigung auf und sammelten gut 4000 Stimmen.
Die Feststellung bleibt unvermeidlich, dass sich solche Konfliktlinien quer durch die lettische Gesellschaft ziehen - wenn man nicht sowieso davon ausgeht, dass es zwei getrennte Gesellschaften sind: eine lettischsprachig und eine russischsprachig geprägte. Vielleicht kann es in Zukunft auch mal wieder Zeiten geben, zu denen nicht jeder nur an eigene angebliche "Siege" erinnern will - sondern der Platz einem gemeinsamen Frieden gewidmet wird.
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