7. Dezember 2010

Druck aus dem Baltikum

Während lettische Medien bisher lediglich darüber spekulierten, welcher Art die Unterlagen sein könnten, die im Rahmen der Wikileaks-Veröffentlichungen auch Lettland betreffen könnten, sind seit gestern bei Spiegel-online auch Details nachzulesen. Genauer gesagt: der SPIEGEL gehörte von Anfang an zu den Wikileaks-Medienpartnern, denen Daten vorab zur Verfügung gestellt wurden. Also sind wir (vorläufig) in diesem Fall darauf angewiesen, dass die von den Spiegelanern erstellten Zusammenfassungen des Erlesenen stimmen.

Wikileaks-Salat
Von "Druck aus dem Baltikum" ist da die Rede - eine ungewöhnliche Formulierung, denn meistens wurde im Laufe der Geschichte ja eher Druck auf Esten, Letten und Litauer ausgeübt, von Unterwerfung bis Einverleibung. Es geht um den bewaffneten Konflikt in Geogien 2008. Den hier wiedergegebenen Dossiers der US-Diplomaten zufolge hätten die baltischen Staaten während des Konflikts Georgiens mit Russland erfolgreich eine NATO-Militärstrategie für den Fall eingefordert, dass Russland auch auf baltischem Territorium militärische Mittel anwende. Der US-Botschafter in Riga notierte: "Die Letten fragen sich, ob ihre Mitgliedschaft in Nato und EU die Sicherheit bietet, welche sie sich erhofft haben," und "sie schauen nach Georgien und denken: das könnte bei uns auch passieren."
Eine Erweiterung der NATO-Sicherheitsgarantien sei zur Voraussetzung dafür gemacht worden, dass die drei baltischen NATO-Mitglieder einer gemeinsamen EU-Strategie gegenüber Russland zustimmten. Weniger die Darstellung der in erster Reihe handelnden Personen ist hier also präkant (wie es in vielen Veröffentlichungen über deutsche Politiker gern hervorgehoben wird), sondern die Tatsache an sich dass hier überhaupt "Druck aus dem Baltikum" wirksam werden konnte. NATO-Geheimpläne gegen Russland also?

Deutsches in der Ost-West-Diplomatie
Interessant auch die Sätze, die Deutschland in diesem Zusammenhang zugeschrieben werden. Zitat SPIEGEL: "Die US-Botschaft in Berlin schreibt: Deutschland betrachtet den Notfallplan zum Schutz des Baltikums vor Russland … als kontraproduktiv und überflüssig." 
Aber auch der dann angeblich gefundene Lösungsweg soll aus deutscher Feder stammen. Zitat: "Es sei doch denkbar, dass die Verteidigung des Baltikums Teil der Verteidigung Polens werde. Diese Idee habe der deutsche Nato-Botschafter in einem Gespräch vorgebracht." 
"Russland zerstört hier das über 20 Jahre aufgebaute Vertrauen", soll Kanzlerin Merkel angesichts der Vorgänge in Georgien bei einem Gespräch mit dem damaligen litauischen Präsidenten Valdis Adamkus gesagt haben. Sogar einen Beitritt der Ukraine zur NATO soll Merkel - entgegen der öffentlich von Seiten der deutschen Regierung vertretenen Meinung - gegenüber den Balten unterstützt haben.

Details, die in "Normalsprache" wohl wenig sensationell klingen. Im Detail sind es Einblicke in die europäische-USamerikanische interne Kommunikation - falls wir nicht den Bericht der DIENA vom 4.12. gelesen haben - angeblich zum selben Thema und über dieselben Dokumente. Dort ist von "Druck Russlands auf Litauen im Falle einer Unterstützung Georgiens" die Rede. Allerdings wirkt es beim genauen Lesen dieses Beitrags so, als ob hier jemand Berichte der französischen Tageszeitung "Le Monde" nacherzählt.Ausgiebig wird hier die Beziehung Litauens zu Russland geschildert, die durch die Unterstützung Litauens für Georgien und auch die "orangene Revolution" in der Ukraine geprägt wurde.

Die Deutschen seien diejenigen, die am schnellsten die Argumente Russlands übernehmen und weiterverbreiten - das schrieben angeblich US-Diplomaten, in diesem Fall sorgsam nachgelesen von einer Kommentatorin des lettischen Radios. Lettland und Polen seien 2008 die heißblütigsten Unterstützer Georgiens gewesen, und hätten - im Amt war damals Außenminister Riekstiņš - Sanktionen gegen Russland, vom Olympiaboykott bis zum Ausschluß bei G8-Treffen, gefordert. 

Wer greift hier wen an?
Bedienen sich also - trotz angeblicher "roher Fakten" der Wikileaks-Dokumente - wieder einmal die Medien jedes Landes eher der angenommenen öffentlichen Meinung, als wirklich neuen Erkenntnissen den Weg zu bereiten? Auch ein Beitrag beim lettischen Portal APOLLO legt dies nahe. Beschrieben wird hier derselbe Vorgang: das US-amerikanische Schutzversprechen ("Eagle Guardian") und das der NATO für Polen wird um die baltischen Staaten erweitert. Nur die Überschrift ist offenbar kein Zitat: "Wikileaks offenbart russische Angriffsdrohungen gegenüber Lettland." Wo ist das hergeholt? Schließlich werden keine russischen Diplomaten zitiert, sondern hier geht es ausschließlich um das, was US-Botschafter aufgeschrieben haben sollen. Die Latvijas Avize geht sogar noch einen Schritt weiter, und zitiert im gleichen Beitrag einerseits die angeblichen Drohungen gegen Litauen, um dann andererseits eilfertig zu behaupten, Wikileaks diene mit seinen Veröffentlichungen dem Terrorismus (Fakten mit Kommentar vermischt - bei LA nicht zum ersten Mal).

Vielleicht muss die Schlußfolgerung gelten: egal, ob als Rohstoff Wahrheit oder Märchen dient - Politik ist eben Politik.


1 Kommentar:

kloty hat gesagt…

Die Schlussfolgerung ist richtig (leider). Jede Zeitung berichtet aus eigenem Blickwinkel, so dass Interpretation ein und derselben Depesche komplett unterschiedlich sein kann. Also am besten das Original lesen und sich seine eigene Meinung bilden.