15. Juni 2010

Bestandsaufnahme

Erholungsreise ins Baltische
In diesen Tagen darf man wohl schon zufrieden sein, wenn ein deutscher Außenminister Zeit findet zu den verabredeten regelmäßigen Treffen mit den Kollegen aus den baltischen Staaten - hier wird er zumindest nicht gefragt, wie lange er denn noch im Amt sein wird. Und nicht jede Woche tritt ein Präsident zurück - die Regierung ist fest entschlossen, den Eindruck eines "Dominoeffekts" jedenfalls im Ausland nicht aufkommen zu lassen.

Also trafen sich in den vergangenen Tagen wieder vier Außenministerkollegen zu gänzlich unsensationellen Treffen, die nicht einmal mehr zur beliebten Addierungsarithmetik (3 plus 1?) gerechnet werden. Interessant daran ist wie immer, wie die verschiedenen Beteiligten die Ergebnisse einordnen.

Das Auswärtige Amt zählt mit: zum 12.mal haben sich die Außenminister Estlands, Lettlands und Litauens getroffen. Jetzt, wo wieder ein FDP-Repräsentant dieses Ministeramt innehat, wird auch herausgestellt dass es der ehemalige Außenminster Kinkel war, der diese Treffen in die Wege geleitet habe. Erstes mögliches Argument für eine positive Beurteilung könnte also von deutscher Seite sein: wir haben es erfunden, also macht es auch Sinn (auf jeden Fall den Eindruck vermeiden: wir mussten uns bitten lassen). Der noch bekanntere Spruch aus der Kinkel-Zeit (vom angeblichen "Anwalt der Balten") wird dagegen heute lieber nicht wiederholt.

Estland first
Welche Themen betont die deutsche Seite? Estland wird zur Einführung des Euro gratuliert. Estland! Westerwelle landet erstaunlich schnell bei Estland, wo es doch eigentlich um alle drei baltischen Staaten geht. "Sie werden jetzt die Früchte Ihrer Anstrengungen ernten" (aus einem Interview Westerwelles mit Eesti Päevaleht). Sind die estnischen Euros bereits die Früchte, oder sollen die mit Euros gekauft werden? Die Letten und Litauer jedenfalls werden erstaunlich schnell wieder übergangen. Passen Sie nicht ins liberale Vorbild vom "Sparen und die Wirtschaft machen lassen"?

"Der deutsche Außenminister zeigte sich beeindruckt vom 'Weg der wirtschaftlichen Reformen und der Stabilisierung' Lettlands." (die Anführungsstriche wurden vom Auswärtigen Amt gesetzt). Deutschland und Lettland seien "engste Freunde". Mehr ist Westerwelle wohl nicht in Lettland aufgefallen (lags daran, dass es in Lettland momentan gar keinen deutschen Botschafter gibt?). Ganz anders sieht das von lettischer Seite aus. Auf der Webseite des lettischen Außenministeriums können wir lernen, dass Westerwelle zu einem eigenen Termin auch in Lettland war (für die lettische Seite offenbar wichtig, für das AA überflüssig zu erwähnen). Besonders herausgestrichen wird auch von lettischer Seite die wirtschaftliche Zusammenarbeit. "Dies ist nicht länger die Zeit finanzieller Hilfeleistungen, sondern die Zeit sich aktiv zu beteiligen," so lässt sich Außenminister Aivis Ronis zitieren. Ronis erhofft sich einen baldigen Besuch auch von Wirtschaftsminister Brüderle. Illustrativ unterstützend hat das lettische Außenministerium Fotos vom Treffen mit "Gvido Vestervelli"auch gleich bei Flickr eingestellt.

Wirtschaft, Finanzen, Geldpolitik - und wie geht's sonst?
In der lettischen Presse (ungleich der estnischen) muss man schon suchen nach Berichten zum Westerwelle-Besuch. Neatkarīgā erwähnt am 12.Juni vor allem das Treffen mit Regierungschef Dombrovskis. Die Zukunft der Eurozone wurde hier angeblich hauptsächlich diskutiert. Denn was beim EU-Beitritt noch unmöglich schien - eine Aufteilung der baltischen Staaten in verschiedene Beitrittsgruppen - das passiert wohl am 1.Januar 2011: Estland tritt allein der Eurozone bei, und Lettlands Beitritt bleibt weit im Unklaren. Dank der EU-Strukturhilfen würde sich Lettland nun zu einem Exportland verwandeln, so Dombrovskis. Lettland strebe einen Beitritt zur Eurozone für 2014 an. Aber welche Folgen das noch für Lettland haben wird, welche Einsparungen und Einschränkungen für die eigenen Bürger nötig sein werden - das steht an dieser Stelle nicht. Lieber wird ganz allgemein der "pragmatische Dialog der EU mit Russland" begrüßt - ein Thema, das die deutsche Seite regelmäßig zu betonen sich befleissigt. Auch Neatkarīgā betont, dass die lettische Regierung am Besuch einer deutschen Wirtschaftsdelegation sehr interessiert ist - offenbar gibt es da bereits konkrete Planungen. 

Und zum Schluß noch ein Satz zu den Goethe-Instituten: sie seien nützlich zum Bekanntmachen mit den "Kulturen beider Länder" ("abu valstu kultūras popularizēšanā"). Oha - haben wir da etwas übersehen? Wer die deutsche Presse zu diesem Thema liest, muss doch vor allem erhebliche Mittelkürzungen für die Goethe-Institute befürchten. Und auf lettischer Seite ist es doch ähnlich: längst ist das "Lettische Institut" (aufgrund Einsparungs-zwängen!) soweit zusammengeschrumpft, dass es momentan statt interessanten Einblicken in lettische Kultur, Mentalität, Traditionen und Geschichte jetzt nur noch platte Regierungsverlautbarungen verbreitet. Da soll das Goethe-Institut nun auch noch der lettischen Seite helfen? "Du erstmal lernen Deutsch!" wird da doch vielfach die prioritäre Antwort sein. Nur allzu bekannt sind kathegorische Absagen der Goethe-Institute auf Anfragen zur Unterstützung von Kooperationsprojekten, wo nicht die deutsche Sprache im Vordergrund steht. Lette, lern Deutsch, und dem Kulturaustausch ist geholfen! So wird wohl eher die wahrscheinliche Antwort deutscher Kulturfunktionäre sein.

und Litauen? 
Alle drei baltischen Staaten interpretieren offenbar diese gemeinsamen Außenministertreffen im Sinne eigener (innenpolitischer) Interessen. Dem litauischen Außenministerium zufolge wurde vor allem über Litauens kommender Präsidentschaft in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE) geredet. Weiterhin stellt Litauen nochmals die Ausrichtung des Treffens des Rats der Ostseeanrainerstaaten am 1./2.Juni in Vilnius heraus, und bettont gleichermaßen, dass die neue EU-Strategie für den Ostseeraum auch bezüglich Litauens EU-Präsidentschaft 2013 eine Rolle spielen wird. Am Rande wird übrigens von allen Beteiligten Übereinstimmung in der Beurteilung der Lage in Afghanistan betont. 
Ja, und das war's. Wer mehr erwartet von deutsch-estnischen, deutsch-litauischen oder deutsch-lettischen Beziehungen ist selber Schuld.

1 Kommentar:

moevenort hat gesagt…

Will sich der Herr Westerwelle im Baltikum etwa vor den schlechten Nachrichten verstecken?

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,701434,00.html

Der Spiegel hat ja mit Blick auf Merkel und Westerwelle diese Woche schon ganz gross getitelt "Aufhören!"