Außerdem legte sich Piebalgs im Zusammenspiel mit der EU-Wettbewerbskommission mit den großen Stromkonzernen in Deutschland und Frankreich an. Piebalgs Vision: Eine wettbewerbsfähiger und einheitlicher europäischer Strommarkt. Zudem bewies sich Piebalgs als geschickter Diplomat in der Gaskrise zwischen der EU, Russland und der Ukraine. Piebalgs spricht neben lettisch auch englisch, deutsch, französisch und russisch und machte klar: EU-Energiepolitik ist viel Außenpolitik." (Zitat Ende)
Kein Job für Lobbyisten
Nun wird sich die Art der Weiterführung dieser Arbeit daran messen lassen. Piebalgs steht sicherlich auch dafür, dass Europapolitik nicht die Weiterführung egoistischer nationaler Innenpolitik - oder gar bloßer Parteipolitik - sein darf. Davon ausgehend, bleibt zu hoffen, dass die gegenwärtige Wortakrobatik der Regierungsparteien in Deutschland, die Nutzung der Atomkraft betreffend, auch in die Europapolitik Einzug hält. Wohl wissend, dass der Widerstand gegen die Atomenergie und deren unkalkulierbare Hinterlassenschaften noch um ein vielfaches größer wäre, wenn diese Nutzung weiter ausgebaut, oder gar wider besseres Wissen als "Zukunftstechnologie" zugunsten der Atomkonzerne verkauft werden würde, sprechen deutsche CDU- und FDP-Politiker/innen inzwischen lieber von einem "Übergangstadium". "Vorübergehend" müsse man die Atomkraft noch weiter nutzen, bis die alternativen und nachhaltig umweltschonend nutzbaren modernen Technologien im erforderlichen Umfang nutzbar seien. Dies gilt es so manchem konservativen oder freidemokratischen Parteifreund auch auf europäischer Ebene hinter die Ohren zu schreiben. Das wäre für einen Öttinger, so wie Deutsche außerhalb Baden-Württenbergs ihn bisher kannten, schon eine große Leistung.
Euro-Botschafter aus Lettland
Aus lettischer Sicht scheint im Moment wichtiger, was die Übernahme des neuen Amtes für Piebalgs bedeuten würde (die EU-Kommissare müssen im Januar erst noch durch das Europaparlament bestätigt werden).
Dazu muss man vielleicht wissen, dass noch im Juli 2009 Piebalgs sich ziemlich sicher war "nach Hause zurückzukehren". Wenn er weitere fünf Jahre außerhalb Lettlands arbeiten würde, dann sei es später schwieriger, wieder zurückzukehren, so Andris Piebalgs damals gegenüber der lettischen Nachrichtenagentur LETA. Damals hatte Regierungschef Dombrovskis, selbst erst einige Monate im Amt, sich für die Chefin seiner eigenen Partei (Jaunais Laiks / Neue Zeit), Solvita Aboltina, als Favoritin für den EU-Kommissarsposten ausgesprochen (LETA). Piebalgs Zeit schien abgelaufen, da die Parteienkoalition zum Zweitpunkt seiner damaligen Ernennung eine ganz andere war.Was brachte die Änderung? War es die Einsicht, dass selbst EU-Kommissionspräsident Barroso darum kämpfen musste, erneut bestätigt zu werden?
Im Juli bestand noch die Gefahr, jede lettische Regierungs- partei könne erstmal ihren eigenen Kandidat (oder Kandidatin) für den attraktiven Posten benennen, und damit einen neuen "Fall Ingrida Ūdre" schaffen (Lettland hatte 2004 eigentlich die frühere Außenministerin Sandra Kalniete benannt, ein Regierungswechsel verursachte dann einen Schwenk hin zur damaligen Parlamentspräsidentin Ingrida Ūdre, die dann unter anderem wegen starker Proteste auch in Lettland ebenfalls wieder zurückgezogen wurde).
Kein weißes Pferd
Als Kommissar Piebalgs am 9.Juli 2009 der lettischen Zeitung Neatkarīga ein ausführliches Interview gab, wirkte alles wie der Abschluß eines Lebensabschnitts. Piebalgs schrieb seinen Landleuten auch einiges ins Stammbuch: bisher habe man doch gedacht, Energiepolitik hänge allein von Russland ab. Während seiner Zeit als EU-Kommissar für Energie habe sich das geändert. Heute würden auch die Letten verstehen, dass auch Europa durchaus eine eigene Rolle spielen kann. Und auch das Bewußtsein für effektivere Nutzung der zur Verfügung stehenden Energieressourcen habe sich erhöht.
Mancher hätte sich Piebalgs sicher gern als Rückkehrer in die heimische Diplomatie oder gar in die Politik gewünscht. "Wenn ich es tun würde, ich verspreche keinem, ich käme als eine Art Messias," sagt Piebalgs dazu. "ich komme nicht auf einem weißen Pferd geritten, hinter dem sich alle versammeln können." Solange er das Amt eines EU-Kommissars innehat, schließt er sogar eine Parteimitgliedschaft aus.
Die Meinungsänderung in der lettischen Regierung schien sich schon Ende Juli anzudeuten. "Barroso will Piebalgs in einer zweiten Amtszeit sehen", meldete am 21.Juli TVNet. Nur einen Tag später ließ Premier Dombrovskis der Presse mitteilen, er könne sich ein gemeinsames Votum aller Koalitionsparteien für Piebalgs vorstellen, sofern er selbst dies wolle (LETA). Wer sich vor Augen führt, dass Lettland ja eigentlich zwischen dem Mittsommertag und dem Ende der Schulferien oft geradezu um Sommerschlaf (Sommerloch?) zu versinken scheint (viele gehen ihren Zweit- oder Drittberuf nach, um den Lebensunterhalt abzusichern), war diese Diskussion mitten in der Ferienzeit schon interessant. Ende August äusserte sich dann Piebalgs ebenfalls positiv zu einer "Vertragsverlängerung" (NRA). Verkündet wurde dies nunmehr als "politisch einfachste Variante". Will sagen: die lettische Regierung hat gegenwärtig mit Budgetkürzungen hier und dort, Protesten gegen die Bildungsmisere und Krankenhausschließungen genug zu tun.
Der doppelte Kompromiss
Piebalgs erscheint also auch diesmal, zu Beginn seiner wahrscheinlich zweiten Amtszeit, trotz der Vielzahl der lettischen Parteien, deren Zerstrittenheit und auch der Unbeliebtheit der gesamten Politik in der lettischen Gesellschaft, als der "ideale Kompromiss-Kommmissar". Allerdings: schon am 15.September, als Barroso selbst noch ein "Kandidat zur Wiederwahl" war und dafür die Unterstützung aller Ministerpräsidenten der EU-Staaten brauchte, verabredete er angeblich mit Dombrovskis, Piebalgs erneut mit dem Bereich Energie zu beauftragen, oder ihm das Ressort Verkehr zuzusprechen (NRA 15.9.09).
Nun also das Ressort für Entwicklungszusammenarbeit. Die Diskussion darüber, was dies für Lettland bedeuten könnte, hat gerade erst begonnen. Einerseits passt es zur Haltung der baltischen Staaten, die auch durch die gegenwärtige Wirtschaftskrise gehen mit der Einstellung: seht, wir sind doch nicht mehr die "Hilfsempfänger des Westens", wie wir es kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre einmal waren. Nein, wir sind durchaus in der Lage, unsere Erfahrungen mit wirtschaftlichen Umbrüchen, marktwirtschaftlicher und demokratischer Orientierung auch weiterzugeben an Länder, die es nun nötiger haben als wir. Während manche Deutsche, die momentan mit steigendem Vergnügen für ein Taschengeld zur "Hauptstadt des Vergnügungswesens" - nach Riga - hin und zurückjetten, nur noch über das "Pleiteland Lettland" müde und durchaus abfällig lächeln. Aber wer denkt "Können die denn überhaupt irgendwas richtig?" der wird das Land (und auch seine Politiker/innen und andere Fachleute) sicher unterschätzen.
"Wieder haben uns die Esten etwas weggeschnappt", jammert Pauls Raudzeps bei CITADIENA dem entgangenen verkehrspolitischen Posten nach. Hier klingt noch die Auffassung durch, jedes Land müsse sich die Möglichkeit sichern, die Politik der EU möglichst im eigenen Sinne zu beeinflussen oder gar unter Kontrolle zu behalten (nach britischem Vorbild?). Raudzeps trauert auch der Zeit und den Mühen hinterher, mit denen man versucht habe, der ehemalige Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga einen EU-Posten zu verschaffen. Dennoch schließt auch Raudzeps nicht aus, was momentan allgemein der Tenor in der lettischen Presse zu sein scheint: die zukünftige Eu-Entwicklungszusammenarbeit wird ein wichtiger Teil der EU-Außenpolitik sein, die es mit sich bringen könnte, dass Lettland mit noch viel mehr Ländern der Welt als bisher zu tun bekommt.
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