16. November 2009

Hartes Leben, lockere Sprüche

Nichts besonderes?
Selbstironie ist vielleicht nicht gerade lettische Stärke - meist wird es dramatisch oder gar tragisch. Über sich selbst lachen, ohne fatalistisch zu werden? Geht das? 

Schon vor einigen Monaten wurde der Begriff "nothing special" in Lettland zum geflügelten Wort. Ein Video über den damaligen Verteidigungsminister Atis Slakteris und seinen relativ hilflosen Versuch, ein Interview auf Englisch zu geben, löste es aus (daher auch die "lettisierte" Fassung in Lautsprache: "Nasing spešal").

Schwer zu leben? Na, sicher doch!
Nein, über sich selbst gelacht wird in Lettland selten. Wer einen Fehler macht, dem wird selten geholfen - viel öfter aber öffentlich ausgelacht. Aber vor allem das Image Lettlands im Ausland macht Lettinnen und Letten in letzter Zeit des öfteren Sorgen. Schon im Frühjahr diesen Jahres wurde der bisherige Leiter des Lettischen Tourismusinformationszentrums Riga (TAVA) entlassen, als von ihm in Auftrag gegebene merkwürdige Videos auftauchten (siehe Beitrag in diesem Blog). Inzwischen wurde ein neuer Direktor eingestellt, und man versprach, die gesamte Tourismusinformation neu zu strukturieren. Noch am 25.September wurde durch eine Pressemeldung deutlich, dass verschiedene Behörden Lettlands inzwischen darüber uneins waren, ob Tourismusförderung und Tourismuswerbung in Zeiten der Wirtschaftskrise und Finanzknappheit überhaupt noch Schwerpunkt lettischer Politik bleiben sollte (siehe Pressemeldung). Nun also die nächste Geschichte aus dieser Abteilung.

Wie es zustande gekommen ist, darüber gibt es viele Berichte. Aber offen- sichtlich ist wohl, dass in Großbritannien Werbeplakate in Auftrag gegeben wurden, die zum Besuch Rigas auffordern sollten: "Eine Stadt die leicht zu erreichen ist, die aber schwerfällt zu verlassen" (Riga City easy to go, hard to leave). Wenn nicht, ja wenn nicht irgend jemand bei der Kontrolle der Plakatentwürfe irgendwie nachlässig gewesen wäre. In mehrfacher variantenreicher Ausführung stand statt dessen zu lesen: "Riga, leicht zu erreichen, schwer zu leben!" (easy to go, hard to live).

Nun sind Medien und das Internet in Aufregung. Ganz Lettland sorgt sich nun um Reklame- kampagnen der landeseigenen "Profis" - andere wiederum halten die (versehentliche) öffentliche Aussage, in Riga sei es "schwer zu leben", schlicht für einen "Freud'schen Fehler" . 

Selbstkritik, oder gnadenloses Selbstbewußtsein?
Bei DIENA sind offenbar schon Konsequenzen bzw. Richtigstellungen aus den begangenen Nachlässigkeiten zu lesen. Die eigentliche Werbekampagne habe vornehmlich das Ziel, für Riga als Destination für die Weihnachtszeit zu werben, und beginne eigentlich erst am 23.November (auch in Deutschland!). Und auch der Wahlspruch soll verändert werden: "You may leave, your heart stays" soll es dann (unmissverständlich) heißen. Hoffentlich werden die mehrsprachigen Wortspiele nicht wieder überstrapaziert ! (hard - heart) Denn die Visualisierung des Herzens, das sich bildlich an Straßenlaternen und andere Gegenstände in Riga klammert, um nicht wieder abreisen zu müssen, scheint ein wenig nach der Methode "Holzhammer" geboren.

Insgesamt soll die "Winterkampagne" für Riga ca. 900.000 Lat (1,27 Millionen Euro) kosten und teilweise von der Fluggesellschaft AIRBALTIC bezahlt worden sein - soviel wurde in der lettischen Presse bereits aus Äusserungen des lettischen AIRBALTIC-Chefs Berthold Flick deutlich, der sich zuvor auch bereits mehrfach mit kritischen Äusserungen selbst in die Debatte um "richtige" und "effektive" Tourismuswerbung eingeschaltet hatte. "Der Tourismus, unsere wirtschaftliche Rettung" - unter diesem Motto veranstalteten Flick und Rigas Vizebürgermeister Šlesers auch schon Pressekonferenzen zur Kampagne. Als im Frühsommer die Kommunalwahlen in Riga eine neue Parteienkonstellation ans Ruder brachte, gründete Flick zusammen mit den Stadtoberen das Tourismusbüro Riga (Rīgas tūrisma attīstības birojs RTAB) und soll auch jetzt die Kampagne durchführen. Mit dabei sind auch der Verband der lettischen Hotels und Restaurants und eine Vereinigung von Touristikagenturen.

Nervösitäten um die "Riga-Million" 
Eine interessante Informationsquelle ist dieser Tage immer - parallel zur Zeitung DIENA - die virtuell von den DIENA-Aussteigern (siehe Beitrag in diesem Blog) herausgebene CITADIENA. Dort wird ein Satz von Berthold Flick zitiert, als Antwort auf die Frage, welche Agentur denn verantwortlich zu machen sei für die auffälligen Druckfehler der bisher veröffentlichten Plakate: "Hören Sie auf, lassen Sie mich in Ruhe. Wenn das das Einzige ist, was Sie interessiert, dann suchen Sie sich einen anderen Beruf. Ich weiß es nicht, und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen!" Offensichtlich steigt also die Nervosität bei den Beteiligten.

Ģirts Ozols, Werbechef bei "MMS Communi-cations", zitiert bei CITADIENA Statistiken, denen zufolge jeder Tourist durschnittlich 200 Lat (282 Euro) in Riga ausgibt. Kritik gibt es daran, dass die Durchführung der Reklamekampagne offenbar nicht öffentlich ausgeschrieben wurde. Über die Gründe kann offenbar nur spekuliert werden (solange Flick Antworten wie oben zitiert gibt). Klar scheint aber zu sein, dass im Gegensatz zu der Schlagzeile "Meteorit über Lettland abgestürzt" die "Druckfehlerplakate" keine Erfindungen mit dem Ziel waren, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu steigern. Wäre ja sonst auch eine Möglichkeit gewesen, nach dem Motto: "Hauptsache, man redet drüber." Denn immerhin haben die offenbar unbeabsichtigten Schreibfehler schon vielfache Berichte auch im Ausland nach sich gezogen (siehe unten).

Na dann warten wir mal ab, was die Riga-Werbekampagne noch für weitere Überraschungen in sich birgt. Weitere witzige Vorschläge kursieren schon im Netz, so bei "Latviansonline": “Riga, easy to go, hard to leave. Just ask the Soviet Army!” 

Fotoserie DIENA zu den verschiedenen Werbeplakaten 

Beitrag CITADIENA  

Webseite zur Kampagne: LIVE RIGA  

Andere Berichte: 
Sunday Mercury (engl.)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Könnte mir glatt vorstellen, dass die Kampagne MIT Druckfehler mehr Leute neugierig auf Riga machen würde als die langweilige 08/15-"alles so schön bunt hier"-Kampagne OHNE. Ich mein': "Hard to live" - das weckt doch, angesichts der jüngsten Schlagzeilen, sowie mit dem Wissen, dass Lettland bis neulich noch Sowjetunion war und dass es da auch heute noch rauher zugeht als in den älteren europäischen Mitgliedsstaaten... also, das verspricht doch ganz neue Erfahrungen. Und nicht mal gelogen! Und dann auch noch in Europa, leicht (und billig) zu erreichen! Übgerhaupt: Wie cool wäre das, wenn die Offiziellen eines Landes wirklich solch anarchischen Humor hätten! Schade... es hätte so schön sein können...