15. Juli 2009

8 für Lettland?

8 Delegierte entsendet Lettland ins Europäische Parlament (siehe auch: "8 für Europa"). Aber werden diese acht auch lettische Interessen, oder sagen wir mal zumindest die Interessen derjenigen, die sie gewählt haben, vertreten können? Was auffällt: Die lettische Delegation ist mehr zersplittert denn je.

Gerade in Zeiten der Finanzkrise, die erheblich auf Lettland zurückschlägt und viele Fragen nach der nächsten Zukunft offen lässt, könnte sich der europäische Rahmen als solide Basis für die Diskussion um eine Annäherung der Lebensperspektiven in Ost und West, Nord und Süd erweisen. Davon ist aber auch Europa weit entfernt - europäische Perspektive scheint sich aus westlicher Sicht darauf zu beschränken, wie und in welcher Form die von Großbanken gesetzten Bedinungungen zur Rückzahlung von "Notkrediten" erfüllt werden. Ansonsten möchte der Durchschnitts-EU-Bürger allenfalls noch in Ruhe in Urlaub fahren (nach Lettland?), und - bitteschön - dort Naturschönheiten und Freizeitmöglichkeiten preiswert genießen.

Inzwischen kürzt die lettische Regierung den Lehrern mal eben knapp die Hälfte ihres Lohns, spart in Verwaltungen und staatlich betriebenen Agenturen massiv Personal ein, Politiker und Minister genehmigen sich ebenfalls Gehaltskürzungen, um einigermaßen im Licht der Öffentlichkeit bestehen zu können. Und die acht lettischen Europaparlamentarier treten an ihren (teilweise) neuen Arbeitsplatz an.

8 für Lettland?
1 - 4: alten Schlachtrösser, neu positioniert

Interessante Europapolitik betreibt die Partei "Saskaņas Centrs" (Zentrum des Ausgleichs / Harmoniezentrum) mit ihren 2 Delegierten im Europaparlament. Schon vor den Europawahlen war vermutet worden, dass der altgediente Sowjetfunktionär, Anti-Gorbatschow-Aktivist und ehemalige Bürgermeister von Riga, Alfred Rubiks, nur schwer zum Bestreben der Harmonisten passen würde, sich international ein sozialdemokratisches Image zu geben. Schon die Kolleg/innen aus den baltischen Nachbarländern hätten es nicht toleriert, jemand in der eigenen Fraktion zu ertagen, der es als Lettlands größten Fehler anzusehen scheint, dass die Unabhängigkeit der baltischen Staaten zum Zusammenbruch der Sowjetunion beigetragen hat.

Rubiks löste das Problem selbst: durch Spaltung der eigenen Fraktion. Er schloss sich der Fraktion der "Europäischen Vereinigten Linken" an, der auf deutscher Seite auch die ehemaligen DDR-Kader der PDS (heute: "Die Linke") angehören. Rubiks, inzwischen 74 Jahre alt, der den EU-Beitritt Lettlands 2004 als Fehler bezeichnet, sitzt nun auch gemeinsam in einer Fraktion mit dänischen EU-Gegnern.

Rubiks' Kollege jedenfalls, der ebenfalls von der "Saskaņas Centrs" entsandte Aleksandrs Mirskis, errang seinen Sitz im EU-Parlament deshalb, weil die lettischen Wähler/innen beim Ankreuzen der Stimmzettel nicht nur Fraktionen, sondern auch einzelne Namen hervorheben können. Mirskis, gebürtig in Litauen und Absolvent des Polytechnischen Instituts in Kaunas, erhielt besonders viele "Plus"-Stimmen und rückte so als Vertreter Lettlands ins EU-Parlament. "Graf Mirskis Münchhausen" titelte die lettische Tageszeitung DIENA (Mirkis, eigentlich gebürtiger Vinckovičs, nahm erst 2001 den Geburtsnamen seiner Mutter an - und erzählte danach bereitwillig, der Name Mirksis entstamme einer polnischen Grafenfamilie). Bei Mirskis - der also sich auch mal den Polnischstämmigen zurechnete - kann aber viel eher behauptet werden, er repräsentiere die "Interessen der russischsprachigen Minderheit in Lettland" (was die internationale Presse ja immer gern aufnimmt). Zum einen steht er mit seinen 45 Jahren mitten in seiner aktiven politischen Laufbahn, und zum anderen zählt er sich innerhalb der Gruppierung Saskaņas Centrs auch nicht zur Sozialistischen Partei (deren Vorsitzender Rubiks ist), sondern zur TSP (Tautas Saskaņas Partija - Partei der Volksharmonie). Entweder als Sänger, als erfolgreicher Unternehmer, Inhaber einer eigenen Radiostation, oder als Liebhaber des Fechtsports - die Gründe ihn mal kennengelernt zu haben, sind sehr vielfältig. Nun wird es spannend sein zu beobachten, welche Initiativen er nun in Europa ergreift.
Im EU-Parlament gehört Mirskis nun als einziger Lette der Fraktion der "Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten" an, der auf deutscher Seite die SPD (Fraktionsvorsitz: MdEP Martin Schulz) angehört. Allerdings waren Informationen zu Mirskis bis zur ersten Sitzung des EU-Parlaments noch nicht auf der Homepage der Fraktion zu finden. Ein (Kommunikations-)Problem könnte noch sein, dass Mirkis bisher nur Litauisch, Lettisch und Russisch spricht.

Ideologisch eher dem Kader- politiker Rubiks nahe- stehend, findet sich die ebenfalls zu Sowjet- zeiten bereits aktive Tatjana Ždanoka dennoch ebenfalls in einer ganz anderen Fraktion wieder: bei den EuropaGrünen. Wie Rubiks war auch Ždanoka in den turbulenten Wende-Zeiten aktive Gegnerin der lettischen Unabhängigkeit, und kann daher im eigenen Lande nicht mehr für Wahlen kandidieren. - Die Grünen nehmen sie offenbar gern (es distanziert sich nur selten jemand), denn mit den teilweise so gar nicht international vorzeigbaren Figuren der eigentlichen Grünen Partei Lettlands (die bei den Europawahlen unter 5% blieben) möchten sich die Grünen offenbar auch nur ungern verbünden (wer im Internet bei den lettischen Grünen etwas zu Europapolitik sucht, findet eine Erklärung aus dem Jahre 2002! Und auf der mit der Bauernpartei gemeinsamen Liste zur Europawahl fanden sich von 11 zur Wahl stehenden Kandidaten nur 2 der Grünen Partei - und landeten gemäß Wählerstimmen auf den Plätzen acht und neun).
So also darf Ždanoka weiterhin ihre egomanischen Pressekonferenzen veranstalten, die immer in ihr Lieblingsthema münden: gebt den Russen in Lettland Wahlrecht und Staatsbürgerschaft ohne dass sie Lettisch lernen müssen (Menschenrecht auf Kommunikationsunfähigkeit?). Dieses Gehabe nervt inzwischen so viele, dass auch Rubiks und Mirskis sich eher von ihrer sowjetophilen Kollegin distanzieren werden (das sagen sie jedenfalls in Interviews in der lettischen Presse.)


Dann ist da noch Ivars Godmanis. Als Minsterpräsident im Frühjahr gestürzt, ebenfalls ein "altes Schlachtross" aus den Zeiten, denn auch 1990 bis 1993 war er schon Regierungschef seines Landes gewesen. Nun steht er vorerst mit einem Image auf der politischen Bühne, lieber den Interessen der vielfältigen Koaltionspartner nachgegangen zu sein, als rechtzeitig die einschneidenden Maßnahmen einzuleiten, die jetzt Regierungschef Dombrovskis verkündet hat (der ja aus dem Europaparlament extra dafür zurückgeholt wurde).
Godmanis ist jetzt im Europaparlament einziges lettisches Mitglied in der Fraktion "Allianz der Liberalen und Demokraten", und darf nun der deutschen Talkshow-Politikerin Koch-Mehrin seine Geschichten vom Erfolg der ungezügelt liberalen Wirtschaftspolitik in Lettland erzählen.

Immerhin leistet ein ehemaliger Präsident (Rolandas Paksas, Litauen) und ganze sieben weitere ehemalige Regierungschefs aus anderen EU-Ländern Godmanis nun (angemessene?) Gesellschaft im Europaparlament - als Parlamentskollegen in anderen Fraktionen.

Fortsetzung folgt

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