28. Dezember 2007

Kā klājas? Wie gehts ins Neue Jahr?

In welcher Stimmung begehen die Menschen den Jahreswechsel? Das ist auch in Lettland die Frage zwischen den Jahren. 52% der Lettinnen und Letten glauben, dass sich ihr Land gegenwärtig in einer ökonomischen Krise befindet (TvNet). Da wird wohl dem Gegensatz zwischen nett aussehenden Wachstumsstatistiken und dem gefühlten Wert des "Und-was-kommt-davon-bei-mir-an" des Durchschnitts-Letten Ausdruck gegeben. Nach den Grundlagen für solche Aussagen wurde ebenfalls gefragt: 77% geben die spürbaren Preissteigerungen in den Läden an, weiterhin werden auch die Turbulenzen um den lettischen Immobilienmarkt als Grund solcher Einschätzungen angegeben.
Die andere Seite der Wahrnehmung spiegelt die Aussage von Dace Valnere, PR-Beauftragte bei RIMI-Latvija, einer der größten Supermarktketten des Landes: "In der Weihnachtswoche steigerte sich unser Umsatz gegenüber anderen Wochen um ein Drittel." IKI Lettland meldet gar eine Umsatzsteigerung im Weihnachtsgeschäft um 70% gegenüber dem vorigen Jahr (Finance-Net).


Wenn es einer Rangliste bedarf: die Top 10

Viele Medien stellen am Ende des Jahres Ranglisten auf: was war das interessant, skandalös, viel diskutiert? Hier die Top 10 des Internet-Portals TVNET:
Platz 1: heiß diskutierte Forderungen zum Rücktritt der lettischen Regierung, das war klar.
Platz 2: die immer offensichtlichere deutliche Inflation, und die Versuche der zurückgetretenen Regierung Kalvitis, da noch etwas dran zu verbessern. Auf Platz 4 schafft es auch noch die Präsidentenwahl, von der im Nachhinein bekannt wird, dass sie von einigen wenigen Politikern zwischen den Tieren des Zoos entschieden wurde.
Platz 3: auch in Lettland dieses Jahr aktuell: Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal von Kindern. Statt teurer Prestigeprojekte wie ein neuer Konzertsaal für Riga sollten auch mal die lettischen Kinderkrankenhäuser dringend renoviert werden, so die Mahnung. Auch wurden wieder einige Schicksale von Kindern und Jugendlichen bekannt, die einfach verschwanden und bis heute nicht wieder aufgefunden werden konnten.
Platz 5: die "neue Mode", irgendwo Gespräche von Geschäftsleuten, Politikern oder Gerichtsangestellten zu belauschen und anschließend zu veröffentlichen. Bekannteste Variante 2007 war die Veröffentlichung zu umfangreichen Gesprächsprotokollen im lettischen Gerichtswesen ("Tiesāšanās kā ķēķis", näheres hier), nach deren Lektüre viele ihre Zweifel an "Recht und Ordnung" in Lettland bestätigt sahen (das Buch war 2007 bei "Jāņa Rozes" auf Platz 5 der meistverkauften Bücher in Lettland).
Platz 6:
Die Tragödie von Alsunga
Am Abend des 23.Februar 2007, in einer kalten Nacht, brennt das Sozialzentrum "Reģi" in Alsunga ab. 26 Insassen verlieren das Leben, eines der tragischen Feuerunglücke in der Geschichte Lettlands.

Platz 7: Lembergs hinter Gittern. Ein Beispiel für eine kommende "lettische Säuberungswelle"? Krumme Geschäfte ungeahnten Ausmaßes. Doch es gibt auch lettische Äußerungen, bewußt gezielt auf viele ausländische Glücksritter, die ihre bessere ökonomische Ausgangssitutation ebenfalls zu schnellen Geschäften in Lettland nutzten: "Wenigstens ist er einer von uns."

Platz 8: Der Fall Edgars Gulbis. Ein interner Fall aus dem lettischen Sicherheitswesen (Gulbis war mal Mitglied der Präsidentenwache und der Sicherheitsbehörden), die Einzelheiten sind noch frisch. Dunkle Hintergründe schimmern hervor und verdecken teilweise das Bemühen um Sicherheit und Ordnung.
Platz 9: das Grenzabkommen mit Russland wurde abgeschlossen. Nur auf Platz 9? Der deutsche Außenminister Steinmeier lobte diese Tatsache in den vergangenen Wochen gleich mehrfach per Presserklärung. Und das Stichwort "Schengen" wird unter diesem Platz 9 auch bereits mit abgehandelt. Reise- und Bewegungsfreiheit, offensichtlich seit Ende Sowjetlettlands nicht mehr oben auf der Liste der Prioritäten - vielleicht hat man auch die Nachteile erkannt, die mit dem schnellen Reisen entstehen: zum Beispiel die Möglichkeit, mal eben für eine Zeitlang Gelegenheitsarbeiter in Irland zu werden, und erstmal nicht wiederzukommen.
Schließlich Platz 10: Der Kampf gegen "agressive Autofahrer". Hierzu gibt es verschiedene lettische Perspektiven: die einen suchen nach Möglichkeiten für weniger Staus in Riga, die anderen nach mehr Straßen und freie Fahrt für Autos.

Wenn es langweilig wird: Fliegen Sie hin und her

Germanwings wird ab dem 2.Mai 2008 eine neue Linie "Riga-Köln" eröffnen. Abgehakt in der lettischen Presse als "ein weiterer Billigflieger"(tickets ab 19 Euro), mit einigen Zahlen belegt: die Verwaltung befinde sich in Köln, die Gesellschaft verfüge über 27 Flugzeuge der Marke Airbus, habe 2006 7,1 Millionen Passagiere befördert, und dabei 560 Millionen Euro umgesetzt, weiß TVNet. Leider es inzwischen nicht mehr nur die Gedanken an freudige Erwartung von noch mehr Touristen, nehme ich an. Trunkene Fremdlinge auf den Straßen der Altstadt, denen die 13% jährliche Inflation in Lettland immer noch "ein Klacks" sind und erwartungsfroh auf Vergnügungen aller Art warten - nicht alle Lett/innen fühlen sich mehr wohl in dieser Rolle der potentiellen Gastgeber. Glücklicherweise war bisher weniger von deutschen Gästen die Rede, wenn es um die unangenehmen Begleiterscheinungen dieses grenzenlosen Kurzzeitvergnügens ging.

Wenn Sie die Welt nicht mehr verstehen: Wörter und Un-Wörter

Im Gegensatz zu Deutschland werden die Wörter und "Un-Wörter" des Jahres in Lettland nicht schon vor Weihnachten bekannt gegeben, sondern gegenwärtig erst noch gesucht. Interessant vielleicht die Rückschau, dass z.b. 2003 "Eiro" das Unwort des Jahres war (ein langwieriger Streit: gemäß lettischen Sprachregeln müsste der "Euro" in Lettland eigentlich "Eiro" heißen, aber auch dieses Wort ließe sich nicht lettisch deklinieren).
Auch die Wortneuschöpfung "zīmols" (statt englisch "Brand" oder deutsch "Firmenzeichen" zu sagen) kam damals schon auf. Im Lande der baltischen Tiger werden nicht nur Firmen gegründet, sondern jetzt auch "Imagewerbung" betrieben.
Und ''mēstule'' war bereits 2004 lettisches Unwort (statt engl. "Spam" sagen zu müssen) - ein weiteres Beispiel, dass in Lettland der Umgang mit der weltweiten elektronischen Kommunikation bei weitem kein Fremdwort (im wahrsten Sinne auch dieses Wortes) mehr ist.
Diese Reihe der bemühten lettisierten englischen Ausdrücke ließe sich mit "smacenis" (neu für engl. "Smog"), Wort des Jahres 2005, oder "hendlings"(Unwort des Jahres 2006 - tja, was sagt der Deutsche eigentlich, für "Handling"?) weiter fortsetzen.
Auch "centrs" (für "Zentrum", klar) war schon mal Unwort in Lettland; auch wie schön war doch die Zeit, als das "Centrs"-Einkaufszentrum in der Altstadt noch einfach "Universalveikals" hieß, dass sich auf Deutsch so schön schief "Universal-laden" übersetzen ließ.

Wenn am gemeinsamen Europa Zweifel kommen: nehmen Sie sich ein Beispiel

Die lettische Europabewegung dagegen ist schon fertig mit ihrer Wahl zum "Europäer des Jahres 2007". Es ist Andris Piebalgs, EU-Energiekommissar (Pressemitteilung dazu, inklusive Link auf "Piebalgs bei YouTube"). Erfreulich un-skandalös in Zeiten von allgemeiner öffentlich bekundeter Misstrauenskundgebungen gegenüber Regierung und Politik. Wer sich noch an die Pre-Nominierungen von Sandra Kalniete (die schon beim EU-Landwirt- schaftskommissar hospitiert hatte) oder Ingrida Udre (die dann 2006 eine Wiederwahl in die Saeima wegen vieler Negativ-Voten der Wähler trotz Steigerung der Delegiertenzahl ihrer Partei nicht erreichte) ein ruhiger Pol der Außendarstellung Lettland innerhalb der EU-Strukturen. Andererseits ist Piebalgs vielleicht Symbol für die Dominanz der Energiefragen auch in der aktuellen Politik Lettlands. 2008, das Jahr, in dem eine lettische Regierung unter Beteiligung der Grünen Partei den Bau eines neuen Atomkraftwerks beschließt?

Und hier tickt schon die Uhr für 2008: vom 5. - 12. Juli 2008 findet wieder das allgemeine Sänger- und Tanzfest in Lettland statt.

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