oder: ist Godmanis ein Gutmanis?
In Lettland gibt es eine bekannte Legende. Sie wird nahezu allen Besuchern der Gegend um das schöne Tal der Gauja erzählt, zwischen Sigulda und Turaida. Die Legende handelt von einer Höhle, in dem ein "guter Mann" gelebt haben soll, ein Zauberer, der die Menschen unter Verwendung des reinen Wasser der in der Höhle entspringenden Quelle geheilt haben soll. Daher der heutige Name: Gutmanis-Höhle.
Ja, will denn niemand Lettland regieren? Das könnten sich Außen- stehende fragen. - Ja, doch, könnte die Antwort lauten, aber nur dann, wenn Aussicht besteht, die eigene Klientel bei der persönlichen Bereicherung zu fördern. - Setzen wir dieses sokratische Gespräch fort, würde wohl gefragt werden: Bereicherung? Es sind doch demokratisch gewählte Volksvertreter! - Sicher, sicherlich, nur: es liegt nur ein Jahr zurück, da glaubte die Mehrheit der Menschen in Lettland, eine Regierung wiederwählen zu können, weil so etwas wie 'Licht am Ende des Tunnels' erkennbar schien. 'Nicht mir geht es gut, aber meinen Kindern wird es mal besser gehen', das war ein oft gehörter Satz (der auch schon beim "Ja" zur Europäischen Union Anwendung fand).
Doch nun regiert offenbar die Selbstgerechtigkeit. Keine politischen Visionen, keine charismatischen Figuren. Nicht einmal "weise Älteste" - die bisher auch als "Gewissen ihres Volks" tätige ehemalige Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga soll ja in einen "Europäischen Rat der Weisen" berufen werden, ist jedenfalls ein zu potentes politisches Kaliber für die gegenwärtigen Kleinkariertheiten der lettischen Alltagspolitik.
Statt dessen gebärden sich die Regierungschefs, kaum dass sie auch nur die Aussicht haben, auf dem schönen Chefsessel Platz zu nehmen, seltsam autistisch.
Versuchen wir mal, die Lage nach dem Rücktritt von Kalvitis am 5.12. zusammenzufassen:
- Variante 1: Valdis Dombrovskis. Bisher Mitglied des Europaparlaments. Seine Partei (Jaunais Laiks - JL, bisher in der Opposition) betont, man wolle keinesfalls unter einem Regierungschef mitregieren, der sich wie ein "Kalvitis Nr.2" gebährde. Will sagen: Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit allen anderen vier bisherigen Koalitionsparteien - aber bitte nur unter unserer Leitung.
- Variante 2: Edgars Zalāns. Seit dem mit politischem Getöse begleiteten Rücktritt von Minister Aigars Štokenbergs bekleidet Zalāns nun seit wenigen Wochen das Amt des Ministers für Regionalentwicklung, ist aber bekannter als Bürgermeister von Kuldiga in Kurzeme (Kurland). Am Tage seiner Nominierung durch die Tautas Partija (der auch Kalvitis entstammt) galt Zalāns noch als "junges, frisches Gesicht" - denn die weitaus bekannteren möglichen Kandidaten Demakova (bisher Kulturministerin), Spurdziņš (bisher Finanzminister), Segliņš (früher Innenminister, heute Vorsitzender der juristischen Kommission des Parlaments), oder Riekstiņš (jetzt neuer Außenminister) wurden trotz größerer politischer Erfahrung nicht nominiert. Die neuesten Umfragen wiesen nur noch 5,1% Unterstützung durch die Bevölkerung für die Tautas Partija aus. Und Zalāns tat überraschend nichts zur Hebung seines Ansehens in der Öffentlichkeit, im Gegenteil - auch wenn er öffentlich damit prahlte, kürzlich eine private "Führungsakademie" absolviert zu haben. Gefragt danach, ob er denn auf die Proteste und hitzigen Diskussionen in der lettischen Öffentlichkeit reagieren würde, ob er sich etwa in den Medien selbst zur Diskussion stellen würde, sagte er brüsk: "Ich lese die Zeitungen nicht, und an den politischen Showveranstaltungen im Fernsehen beteilige ich mich nicht!" - Damit tat er einiges dazu, seine Nominierung vielleicht doch noch als rein taktisches und von Parteifinanzier Andris Šķēle gelenktes Manöver erklärbar zu lassen.
Variante 3: Ein unparteiischer Kandidat. Diese Variante wurde von Präsident Zatlers schon mehrfach ins Spiel gebracht. Absehbar war ja, dass die beiden stärksten Parteien im Parlament, Tautas Partija und Jauns Laiks, jeweils die Parole ausgegeben hatten: Kooperation mit den anderen Parteien des rechten Spektrums ja, aber nur unter unserer Leitung. Also ein Unparteischer?
Schon am 27.November wurden im Lettischen Fernsehen Spekulationen bekannt, Bankier Mārtiņš Bondars könnte mit der Regierungsbildung betraut werden. Und noch in dieser Woche zog Präsident Zatlers Aivis Ronis, Vorsitzender eines lettisch-amerikanischen Finanzforums, und Andris Bērziņš, den Vorsitzenden der lettischen Industrie- und Handelskammer, zu den Gesprächen zur Vorbereitung der Regierungsbildung hinzu (laut lettischer Gesetzgebung muss der Präsident den Kandidaten für das Amt des Regierungschefs vorschlagen, dieser versucht dann eine Mehrheit im Parlament zu bekommen).
Nein, nein, nein - sagen kathegorisch besonders Tautas Partija und auch die "Pastorenpartei" (Erste Partei). Also sah Zatlers wohl wenig Erfolgschancen für diese Variante, jedenfalls in der jetzigen Situation.
Variante 4: nehmen, was zu haben ist. Am meisten als Zünglein an der Waage möchte sich immer die Pastorenpartei selbst ins Spiel bringen, zumal hinter dieser Gruppierung ebenfalls kapitalkräftige Geschäftsleute stehen. Also nominiert sie das "alte Schlachtroß" Ivars Godmanis. "Soll es dieser doch erstmal versuchen," wird sich Zatlers vielleicht gedacht haben. (Foto: Kanzlei des lettischen Präsidenten, 1.10.2007)
Allerdings: viele Lettinnen und Letten werden Godmanis als Regierungschef der schwierigsten Umbruchzeit in Erinnerung haben, als er sich auch nicht gerade sensibel gegenüber den Alltagsschwierigkeiten des "gewöhnlichen Volkes" gab. Zwischen 1990 und 1993 war er schonmal Chef des "Noch-Sowjetlettischen Ministerrats": schon dominiert von den Vertretern der lettischen "Volksfront"-Bewegung, aber noch vor den ersten freien demokratischen Wahlen nach Wiederherstellung der Unabhängigkeit damals. Pressekonferenzen glichen damals in Lettland noch Audienzen mit langen Reden der Regierenden, wo wenig Fragen gestellt wurden. Wie können den die Letten die zu erwarteten großen Schwierigkeiten des Umbruchs überstehen? So die Frage an Godmanis damals. "Nun ja, ich weiß, die Letten sind ein starkes Volk", dozierte Godmanis, "für die Älteren wird es schwer werden, das ist unvermeidlich. Sie sind zu sehr auch an das sowjetische System gewöhnt. Die mittlere Generation, nun sie wird sich umgewöhnen müssen. Und die Jungen, ja ich vertraue in die junge Generation!" (so schlicht erklärte Ministerpräsident Godmanis es damals seinem Volk - aus der Erinnerung zitiert, ich saß damals vor einem lettischen Fernseher).
Und was macht Ex-Premier Kalvitis derweil? Er bilanziert seine exakt drei Jahre Regierungszeit als "sehr erfolgreich" und sagt: "Präsidentin Vīķe-Freiberga und ich waren ein gutes Tandem" (in der lettischen Fernsehsendung "900 Sekunden"). Da gibt es ein schönes deutsches Sprichwort dafür: "Sich im Ruhme anderer sonnen wollen."
Seltsam nur, dass schon jetzt als sicher gilt, dass gerade der Abschluß des enorm wichtigen russisch-lettischen Grenzabkommens praktisch ohne lettische Regierung stattfinden wird. Eine Regierungsbildung noch vor Weihnachten gilt inzwischen schon als unwahrscheinlich - auf jeden Fall aber als unmöglich noch vor dem für den 18.12. anvisierten Besuchstermin des russischen Außenministers Lavrov in Riga (LETA). Also müssen die noch amtierenden Figuren durchregieren und abarbeiten, was ihnen Kalvitis mundgerecht hingelegt hat.
Mehr Info:
Ivars Godmanis im lettischen Wikipeda
Angaben von Ivars Godmanis beim lettischen Wahlamt
Info des bisherigen lettischen Innenministers Godmanis
Videoausschnitt "Kas notiek Latvija" mit Ivars Godmanis (14.12. - lett.)
Vor der Entscheidung des Präsidenten: Kandidaten bei "Kas notiek Latvija" (12.12. - lett.)
Offizielle Presseerklärung des lettischen Präsidenten
P.S.: Für die (wie immer superschnelle) deutsche Presse ist Ivars Godmanis übrigens schon zum Ministerpräsidenten "ernannt" worden. AP erfand die Meldung, Regionalpresse wie die "Mittelbayrische" drucken es. Auch die russische staatsdiktierte Presse Novosti meldet es (die mit Vorliebe immer aus dem "postsowjetischen Raum" berichtet). Zatlers selbst sagt in seinem heute veröffentlichten Pressetext korrekt, er habe "Godmanis eingeladen, ein Ministerkabinett zusammenzustellen" (also eine Regierung zu bilden). Vorgeschlagen ist er, bestätigen muss es das Parlament.
Nachtrag: Das lettische Parlament (Saeima) hat am 20.Dezember die von Ivars Godmanis vorgeschlagene Kabinettzusammenstellung nach zweistündiger Debatte mit einer Mehrheit von 54 zu 43 Stimmen gebilligt. Es bilden weiterhin dieselben vier Parteien die Regierung wie es beim Kabinett Kalvitis der Fall war. Auch die Partei "Jaunais Laiks" bliebt in der Opposition.
3 Kommentare:
Der Vergleich mit der Gutmann-Höhle (Grotte wäre der bessere Ausdruck) hinkt. "Gods" heisst auf Lettisch "Ehre", wie wäre es damit? Die exkte ethymoligische Herkunft kenne ich jedoch nicht. Das es sich ohne Frage um einen eingelettischsten deutschen Namen handelt "-manis" könnte man auch auf "Gott" kommen.
Zum Thema übrigens auch mein Blog.
Lieber Axel,
der Vergleich "hinkt" allerdings absichtlich. Mir erschien eben das Bild des Wundertäters vor Augen - an den ich nicht glauben kann. 1993 waren andere Zeiten als heute.
Aber, ich gestehe ein: der Vergleich mit "Gott-mann" wird vielleicht noch kommen, falls der gute Ivars den Stil von Kalvitis nachahmen sollte ...
Und die mittlere Version, der "Ehrenmann" - wahrscheinlich ist es die Hoffnung darauf, die es Umfragen zufolge 2/3 der Lett/innen begrüßen läßt, dass die Wahl momentan auf Godmanis gefallen ist.
Kommentar zum Kommentar, wohl problematisch. Interessant ist die Reaktion des abgetretenen MP auf die Nichtnominierung des Volkspartei Kandidaten. Die Bauernunion ist als Flucht nach vorne, Lembergs läßt grüßen, derzeit wohl zu allem bereit. Die Neue Zeit als Regierungsvorstand war wohl für alle bisherigen Partner mit Argwohn betrachtet. Nunmehr dürfte es umgekehrt werden. Ohne die Neue Zeit Neuauflage der bisherigen Regierung? Bis zum nächsten Blog zum Thema möchte ich noch ein bißchen zuwarten.
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