... als im feuchtkalten Trolleybus einen bedrängten Stehplatz haben.
So scheinen immer noch viele Einwohner Rigas zu denken. Denn es ist eine Revolution ausgebrochen in der lettischen Hauptstadt - nein, nicht dass die Regierung Kalvitis jetzt zurücktreten will, und einer anderen Regierung Platz machen will, von der noch keiner weiß, wie sie aussehen wird. Etwas anderes hat die öffentliche Diskussion in den vergangenen zwei Wochen verändert: es sind gesonderte Fahrbahnstreifen für Straßenbahnen und Busse eingerichtet worden. Nicht überall - aber doch so auffällig, dass nun Autofahrer als Reaktion darauf neue Vereine gründen und der Einschränkung ihres Bewegungsraums mit einem "Autofahrer-Manifest" entgegentreten wollen. Es geht sozusagen ein Gespenst um in Riga - das Gespenst der Busse, Trolleybusse und Straßenbahnen, die nun den schicken (Leasing?-)Neuwagen am Stau vorbei davonfahren könnten.
"Wenn einer Verkehrsart Priorität zugesprochen wird, muss natürlich anderen konsequenterweise Platz genommen werden," sagt Atis Vancovičs, der im Auftrag der Stadtverwaltung Riga eine Untersuchung zu diesem Thema durchgeführt hat. "Die gesonderten Fahrstreifen verlängern die täglichen Staus noch um 15%," sagt Vancovičs also ganz offen in Richtung Autofahrer, wohl wissend, dass es ÖPNV-Nutzer dementsprechend (am Stau vorbei) leichter haben werden. Die Einrichtung von etwas mehr freier Fahrt für den öffentlichen Nahverkehr war lange überfällig: auf der Zemitani-Brücke, auf dem Rainis-Boulevard, oder beispielsweise auf der Gogola iela sollen gesonderte Fahrspuren dafür sorgen, dass im Berufsverkehr der ÖPNV endlich eine Chance zu pünktlichen Fahrplänen bekommt.
Auch die Straßenbahn- schienen sollen nun konsequenter von Autos frei gehalten werden - was bisher keineswegs eine Selbst- verständlich- keit war. Ab sofort können Autofahrer, die einfach die Straßenbahnschienen - wie z.B. auf der Krišjānis Barona iela - als "zusätzliche Fahrbahn" nutzen, mit Geldbußen bedacht werden.
"Das lassen wir uns nicht gefallen," so entgegnet beispielsweise Sandris Točs (in "Dienas bizness"), Mitgründer der Initiative "Autovadītāji pret sastrēgumiem" (Autofahrer gegen Staus"). Den Vorrang für den öffentlichen Nahverkehr halten diese Autoliebhaber für grundfalsch, und planen als Protestaktion..... Protest-Staus zur Hauptverkehrszeit. Die Initiatoren bezeichnen die neuen Busspuren als "sinnlos" und "künstlich" und fordern das Gegenteil von Einschränkungen für die Autofahrer: Ausweitung der Fahrtmöglichkeiten. Gründe für Stauentwicklung könne man "durch konsequentes Fotografieren an Problemstellen" analysieren und abstellen, behaupten die Autoführer. Mit Argumenten wie "Es könne nicht erwartet werden, dass die Alltagsprobleme von Beamten gelöst werden" wird zudem das Misstrauen gegenüber zuviel Bürokratie geschürt. Ein Entwurf der Autolobby für ein "Autofahrer-Manifest" enthält Forderungen wie "alle störenden Verkehrszeichen entfernen" und natürlich "Ausbau von Kreuzungen und Straßen." Zudem sollen Unterschriftensammlungen unter Autofahrern Änderungen der lettischen Straßenverkehrsordnung erzwingen.
Fotografiert wird jedoch schon länger: nicht nur die Auto- liebhaber, sondern auch verrückte Verkehrs- übertretun- gen, sinnlose Verkehrsschilder, und wilde Raser. Dafür gibt es längst eigene Portale wie "traffic.lv" denn Selbsthilfe bei der Veröffentlichung gilt hier als erster Schritt zur Aufklärung und Verbesserung.Auch Trolleybus- und Straßenbahnliebhaber/innen gibt es natürlich. Als zum Beispiel im Portal TVNet ein Leser seine Vorliebe gerade für Trolleybusse kundtut, erntet er viele positive Reaktionen. Die verwendeten Argumente sind aber interessant: auch in Solingen gäbe es schließlich Trolleybusse, diese Stadt liege schließlich nicht in Osteuropa, und man könne die Oberleitungsbusse nicht einfach als "Überbleibsel aus der Sowjetzeit" abtun. "Warum denn teure Prestigeprojekte wie Konzertsaal, Brücken und Nationalbibliothek, aber die leisen und umweltfreundlichen Trolleybusse nicht? Besser als in der Innenstadt Jeep fahren!"
Die meisten Oberleitungsbusse innerhalb der EU fahren gegenwärtig in Athen, weiß Wikipeda. Auf Platz 2 folge Riga mit einer Streckenlänge von 218 km.
"Haben aggressive Autofahrer sexuelle Probleme?" so fragte kürzlich auch schon mal ein Betrag der "Vakara Zinas", und bemühte mehrere Psychotherapeuten um eine Stellungnahme. Bei "Kakao.lv" wiederum interessiert man sich für eine Idee aus New York, wo ein Architekt einen "Stauturm" ersonnen hat, um Autofahrern das Stehen auf der Stelle zu ersparen (spiralenförmig sich hochwindene Straße, welche die Autos erst nach 16km wieder zurück runter auf die Straße läßt).
An jedem Arbeitstag verkehren auf 131 verschiedenen Fahrtrouten in Riga 355 Autobusse, 286 kleinere Routentaxenbusse, 267 Trolleybusse und 186 Straßenbahnen - soviel sagt das Verkehrsamt Riga zur Sache. Pro Tag werden 800.000 Fahrgäste befördert.
Anzahl der in Lettland registrierten Privat-PKW:
2002 - 99.708
2003 - 102.734 (+ 5,6%)
2004 - 104.626 (+4,8%)
2005 - 107.553 (+5,7%)
2006 - 113.113 (+8,2%)
2007 - 121.120 (+10,7%)
Quellen & weitere Infos:
Verkehrskonzept von Atis Vancovičs, inklusive Erläuterung zu den geplanten neuen Fahrspuren (Powerpoint-Datei, lettisch, Quelle: DIENA)
Presseinfo der Rigaer Stadtverwaltung zu neuen Regelungen (lettisch)
Diskussionsbeitrag bei TVNet
Beitrag "Vakaras Zinas"
Beitrag in "Dienas bizness" zu den Autofahrerprotesten
Verkehrsabteilung der Rigaer Stadtverwaltung
Verkehrskritisches Portal "Traffic.lv" (mit vielen Fotos - so teilweise verständlich auch für Nicht-Lettischkundige)
Auch lettische Blogger diskutieren über "Staus in Riga" und mögliche Lösungen ...
Der "Autostauturm" (kakao.lv)
Infos bei "Trolley-Motion": neue Trolleybusse in Riga angekommen
Wikipeda zu Oberleitungsbussen weltweit
Fotos aus Riga bei den ÖPNV-Enthusiasten von "Public-transport.net" aus Österreich
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