18. Dezember 2005

Verfassungsstreit um Gleichgeschlechtliches

Lettland in der Vorweihnachtszeit. Noch sind nicht alle politischen Fragen geklärt. Ein paar Tage - bis zum 20.Dezember - hat Präsidentin Vike-Freiberga noch Zeit, eine vom lettischen Parlament (Saeima) beschlossene Verfassungsänderung durchzusehen und eventuell erneut zur Überarbeitung an das Parlament zurückzuverweisen.

Turbulenzen um die "Homos"
Worum geht es? Wie schon vor einigen Monaten auf dieser Seite geschildert, erschütterte am 23.Juli 2005 eine "Schwulen- und Lesbendemo" die Haupstadt Riga. Skandalös war dabei eigentlich wenig - ähnliche Demonstrationen und Kundgebungen gibt es überall, es waren nur wenige Teilnehmer/innen angesagt. In Ländern wie etwa Polen werden solche Veranstaltungen regelmäßig verboten, in anderen, wie dem Nachbarland Estland, finden sie beinahe ohne öffentliches Aufsehen statt.
Das Thema wurde jedoch zum Zankapfel der lettischen Parteien. Der stellvertretende Bürgermeister Rigas, ein Mitglied der "Pirma Partija" / "Erste Partei" (der sogenannten "Priesterpartei"), trat später zurück, weil seine im Stadtrat mitregierungende Partei die Veranstaltung NICHT verhindern konnte. Ein Priester der anglikanischen Kirche, der sich als homosexuell outete, und der den Veranstaltern einen Gottesdienst in seiner Kirche erlaubt hatte, wurde aus der lettischen evangelischen Kirche entlassen (Meldung der Nachrichtenagentur LETA vom 16.11.05). Und weitere in Führungsämtern der lettischen evangelischen Kirche tätigen Priester scheuten sich weder, der lettischen rechtsradikalen Zeitung DDD ein Interview zu geben, noch dort dann die Isolierung aller Homosexuellen in speziellen Krankenhäusern zu fordern (DIENA vom 8.12.05).

Populistischer Wahlkampf
In Lettland bahnt sich langsam der Parlamentswahlkampf 2006 an. Erstaunlich, wie gewandt sich die politischen Stehaufmännchen in der "Pirma Partija" immer wieder neue Strategien der Macherhaltung ausdenken. Parteichef Slesers, vorwiegend durch Gelder norwegischer Industriekapitäne in Lettland zu Macht und Einfluß gepuscht, wird immer wieder als Möchtegern-Regierungschef gehandelt. Als zuletzt die Umfragewerte dramatisch sanken, zelebrierte man plötzlich eine Vereinigung mit der beinahe in der Versenkung verschwundenen "Latvijas Cels" ("Lettlands Weg" - LC), die in den 90er Jahren vielfach an Regierungen beteiligt, inzwischen aber nicht mehr allein über die 5%-Hürde gekommen war. Einige idealistische LC-Wähler wird es verschreckt haben, mit wem sich da die Parteioberen verständigt haben, aber lettischer Wahlkampf war seit 1991 schon oft eine Inszenierung des Machterhalts alt Bekannter unter scheinbar neuen Vorzeichen.

Unmoralische Priester?
Gibt es Priester, die nicht allen Menschen gleiche Rechte einräumen wollen - obwohl diese doch laut Bibel "vor Gott gleich" gelten sollten? Wenn ja, dann gehen sie wohl in Lettland in die Politik. Die "Pirma Partija" macht mit dem Thema "Rettung der christlichen Ehe" Wahlkampf. Stolz präsentierte man 12.000 Unterschriften für eine im Parlament eingebrachte Verfassungsänderung. Den Eingang von zwei Protestbriefen, einer davon von der lettischen Vereinigung der Schwulen und Lesben ILGA LATVIJA, präsentierte man ebenfalls öffentlich, und erhoffte sich dadurch wohl ebenfalls eher zusätzliche Bestätigung beim eigenen Klientel.

Bisher lautete der Absatz 110 der lettischen Verfassung: "Valsts aizsargā un atbalsta laulību, ģimeni, vecāku un bērna tiesības." (der Staat schützt und unterstützt die Ehe, die Familie, die Eltern und die Rechte der Kinder). Am Donnerstag, den 15.12.2005, wurde dieser Absatz mit 73 von 100 Stimmen vom lettischen Parlament wiefolgt geändert: "Valsts aizsargā un atbalsta laulību - savienību starp vīrieti un sievieti, ģimeni, vecāku un bērnu tiesības." (der Staat schützt und unterstützt die Ehe - die Vereinigung zwischen Mann und Frau -, die Familie, die Eltern und die Rechte der Kinder.)
"Lettland verbietet Homo-Ehe" titelte eilfertig einen Tag später DIE WELT. Streng juristisch stimmt das nicht ganz: gesagt wird nur, dass der Staat etwas anderes als die traditioneller Ehe weder schützt noch unterstützt. Jedoch auch Gegner des Gesetzentwurfs sagen selbst, dass nach Artikel 35.2 des lettischen Zivilrechts gleichgeschlechtliche Ehen auch bisher schon unzulässig sind. Dennoch hat man sich nun in aller Eile zusammengeschlossen, um die lettische Präsidentin zur Ablehnung des Gesetzes zu bewegen: "Gegen Homophobie in Lettland" heisst nun der Slogan dieser Initiative.

Hin und Her im Parlament
Die Tageszeitung DIENA schildert in ihrer Ausgabe am 16.12. die Abstimmungsvorgänge im Parlament anders: "Abgeordnete hatten Angst vor gleichgeschlechtlichen Ehen". Zitiert werden dort auch die Bedenken nicht nur von Staatspräsidentin Vike-Freiberga, sondern auch von Regierungschef Kalvitis, Justizministerin Aboltina und der Vorsitzenden der Menschenrechtskommission des Parlaments, Ingrida Circene. Dennoch wagten es nur sechs der Abgeordneten in der entscheidenden Abstimmung, gegen den Änderungsvorschlag zu stimmen. Darunter habe sich auch der Abgeordnete Andris Kaposts von der "Fraktion der Grünen und Bauern" (ZZS) befunden, der aber später erklärte, er habe bei der Abstimmung "die Knöpfe verwechselt". ZZS-Fraktionschef Brigmanis zitiert DIENA doch wirklich mit dem Satz: "Kaposts ist ein Mann vom Lande, der ist weit von Cesis gefahren, da macht er schon mal Fehler." (!)
Neun Abgeordnete enthielten sich, und acht erschienen lieber erst gar nicht zur Abstimmung - werden doch in Lettland oft auch alle Namen der Pro- oder Contra-Stimmenden schon mal in den Zeitungen veröffentlicht. Lieber abtauchen, als gegen den populistischen Strom schwimmen, scheint hier das Motto.


Ob der ganze Wirbel, der nun auch international mit dem Vorgang bereits erzeugt wurde, wirklich nur den Zielen nützt, den die Verfassungs-Änderer im Sinn hatten? Ein wenig scheint es, dass auch die Schwulen und Lesben Lettlands - obwohl an Zahl und Einfluß bisher kaum bemerkbar - noch eine Weile in der Diskussion bleiben werden. Ein paar Monate wird noch Wahlkampf sein. Auch am 23.Juli 2006.

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