Es waren festliche Momente im Rathaus der Freien und Hansestadt Bremen, und ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit und Ehrung für lettische Belange: Präsidentin Vaira Vike-Freiberga empfing am 16.12.2005 "im Namen vieler Landsleute", wie sie selbst sagte, den Hannah-Arendt-Preis 2005.
Ralf Fücks (im Bild rechts) und Bremens neuer Bürgermeister Jens Böhrnsen zeigten sich beeindruckt von der Lebensleistung und dem Mut zu entschlossen demokratischem Handeln, für den Vike-Freiberga inzwischen auch international bekannt ist.
"Bisher war der Name Hannah Arendt in Lettland vielleicht nicht so bekannt. Das wird sich, nach dieser Veranstaltung hoffentlich ändern," so Vike-Freiberga selbst. Wie Hannah Arendt hatte auch Vike-Freiberga viele Jahre im politischen Exil leben müssen. Aus der Rahmenveranstaltung, einem zweistündigen Symposium im Bremer "Haus der Wissenschaft" am Nachmittag des gleichen Tages, wurde deutlich, dass sich Vike-Freiberga intensiv mit Leben und Werk verschiedener Denker und Philosophen auseinandergesetzt hat. Aber: "Es ist schon ein wenig paradox, dass ich gerade einen Preis für politisches Denken bekomme", sagte sie auch. "Einen großen Teil meines Lebens habe ich mich der Wissenschaft gewidmet, und nicht der Politik."
Neber der lettischen Präsidentin wirkten so manche anderen blass. Auch Prof. Wolfgang Eichwede, bekannt von seiner Arbeit bei der Bremer Forschungsstelle Osteuropa, ausdrücklich als "Russlandkenner" vorgestellt, brachte ausser allgemeinen abstrakten Theorien zu Europa trotz Nachfrage kein einziges Wort zur lettischen Rolle Lettlands in diesem europäischen Kontext über die Lippen. Europa sei das Europa verschiedener Identitäten - wurde der Präsidentin vorgehalten. Mit der Perspektive der lettischen Identitätsfindung hatten sich die Podiumsteilnehmer sichtbar wenig befasst.
Zwischen den verschiedenen Terminen war kurz Zeit gewesen für einen Besuch im Bremer Roselius Haus. Dort befinden sich seit 1987 Teile des historischen Silberschatzes der "Compagnie der Schwarzen Häupter aus Riga" als Dauerleihgabe. Darauf hingewiesen, dass sich die inzwischen im fortgeschrittenen Alter befindlichen Mitglieder dieser ehemals in Riga ansässigen deutschbaltischen Vereinigung auch heute noch, Jahr für Jahr, treffen und aus dem edlen Geschirr ein Schlückchen trinken, kam nur ein präsidial-höfliches "Ach ja, tatsächlich?" als Antwort. - Weniger höflich war die Reaktion der deutschbaltischen Altherren gewesen, als die Partnerstadt zur Feier des 800-jährigen Geburtstags die 34-teilige Geschirrsammlung für kurze Zeit auch einmal in Riga hatte ausstellen wollen. Ein kathegorisches und scheinbar kompromißloses "Nein" war damals den lettischen Kulturpartnern entgegengedonnert (siehe entsprechende Presseberichte).
Damit verglichen, ging es Frau Präsidentin in Bremen diesmal hervorragend. Im großen Festsaal des Rathauses drängten sich die Gäste, und die Gastgeber hielten kluge Lobreden auf die mutige Frau aus dem baltischen Land. Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, brachte Gedanken aus ostdeutscher Sicht ein, und lobte wie auch Ralf Fücks und Prof. Antonia Grunenberg die politische Weitsicht von Vike-Freiberga, entschlossen und nicht politisch einäugig für politische Selbstbestimmung auch gegenüber imperialen Großmächten zu streiten.
Wie spiegelte sich das Ereignis in der Presse?
Die TAZ nahm Vike-Freiberga als "unerschrockene Zwischenruferin" wahr, und streicht dabei heraus, dass der Pragmatismus, der für ihr Denken und Handeln charakteristisch ist, möglicherweise ja im Exil erworben wurde. Die regionale "Syker Kreiszeitung" stellt Lettlands Zielrichtung in der EU als "Projekt der Freiheit" heraus, und zitiert ansonsten einen Satz zum Haushaltsstreit in der EU: Die Solidarität der Etablierten mit den Neuen schmelze nun wie "Schnee in der Sonne."
In der lettischen Presse stellt DIENA kurz Leben und Werk von Hannah Arendt vor, und zitiert einen Teil der Juryentscheidung, nach der Vike-Freiberga "mutig schwierige Probleme des 20.Jahrhunderts angesprochen" habe. Die LATVIJAS AVIZE druckt sogar in ihrer Ausgabe vom 19.12. eine leicht gekürzte Fassung der Rede Vike-Freibergas vom 16.12. im Bremer Rathaus ab.
Die übrige deutsche Presse greift vorwiegend Vike-Freibergas erneute Bemerkungen zum deutsch-russischen Deal der Ostseepipeline - der Ex-Kanzler Schröder einen so hervorragenden neuen Posten brachte - auf. Auch nach ihrer Einstellung zur neuen deutschen Kanzlerin war Vike-Freiberga in Bremen häufig befragt worden. "Die Neo-Kanzlerin sammelt politischen Ruhm, der Ex-Kanzler verspielt ihn", so schreibt es DIE PRESSE. Was Schröder gemacht habe, widerspreche "allen demokratischen Standards", so zitiert auch N-TV die lettische Präsidentin. Die BERLINER ZEITUNG und der Bremer WESERKURIER warten mit kurzen Exklusivinterviews auf. "Ich war nicht überrascht", so wird Vike-Freiberga in der BERLINER ZEITUNG zitiert, "wenn man unter allen Routen ausgerechnet die mit Abstand teuerste wählt, dann ist das eine politische Entscheidung". - "Wir reden oft über die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik - sei es gegenüber Russland oder Iran. Diese kann nur in einem intensiven Dialog zwischen den EU-Mitgliedern geformt werden."
In der Sonntagsausgabe des WESERKURIER (18.12.) sind dann noch diese überraschend offenen Sätze zu lesen: "Es wird eine sehr viel sympathischere Haltung von Frau Merkel gegenüber den baltischen Staaten geben als unter der Schröder-Regierung. In den ersten Regierungsjahren war Schröder auch sehr freundlich, später aber ist er anders geworden . . . "
(Der Wortlaut der verschiedenen Reden, die Vaira Vike-Freiberga in Bremen aus Anlass der Verleihung des Hannah-Arendt-Preises gehalten hat, ist übrigens auf den Seiten der Kanzlei der lettischen Präsidentin sowohl in deutscher wie in lettischer Fassung downloadbar.)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen