Am Freitag, den 16.Dezember 2005 bekommt Vaira Vike-Freiberga, seit 1999 im Amt befindliche Präsidentin der Republik Lettland, im Bremer Rathaus den Hannah-Arendt-Preis verliehen. Aus der Presseankündigung der Veranstalter ist zu entnehmen, dass damit "eine Stimme und Position" geehrt wird, "die oft genug im Chor der dominierenden Mächte Europas untergeht." Vielleicht würde Vike-Freiberga gerne antworten: "So schnell wird Lettland nicht untergehen!" In vielen Reden hat sie im eigenen Land immer wieder versucht, Mut zuzusprechen, und gegen das teilweise weit verbreitete lettische Selbstmitleid anzureden, das angesichts des über die Jahrhunderte scheinbar dauerhaft schwierigen Schicksals des kleinen lettischen Volkes wenig Entwicklungschancen offen läßt - die dann den direkt Beteiligten oft nur wie sehr kleine, geduldige Schritte vorkommen mögen.
Doch nur selten gibt es auch für die oberste Repräsentantin dieses kleinen baltischen Landes die Chance der großen Medienaufmerksamkeit. Selten hören auch diejenigen mit der genügenden Aufmerksamkeit zu, die wenig über Lettland wissen. Gerade in Deutschland fielen eher die kumpeligen Männerfreundschaften Kohl-Gorbatschow oder Schröder-Putin auf, verbunden mit politischen Vorgehensweisen nach Gutsherrenart. Lettische Randbemerkungen, dass es gegenüber einem demokratischen Entwicklungsland wie Russland nicht reiche, diesem "schöne blaue Augen" zu machen, und auf politisches Wohlwollen zu hoffen, werden unbeachtet gelassen und manchmal sogar belächelt oder pauschal mit "Russen-Feindlichkeit" gleichgesetzt. Direkt am Rande des russischen Riesenreiches lebt es sich eben anders - mit eifernden nationalrussischen Funktionären im eigenen Land, die immer noch lauthals alle Letten pauschal als "Faschisten" verunglimpfen, ganz im Sinne der sowjetisch ideologisch zurechtgebogenen Geschichtsschreibung.
Auch unabhängig von der konkreten Lebensgeschichte von Hannah Arendt, wird doch der seit 1995 verliehene Preis vor allem mit dem Einsatz gegen totalitäre Regime, und mit eigenständiger, kluger, ein wenig eigenwilliger Denkweise gleichgesetzt. Da trifft es mit Vaira Vike-Freiberga sicherlich die Richtige. Schade nur, dass für die Stadt Bremen (mit Städtepartnerschaft zu Riga!!) und auch die beteiligte Heinrich-Böll-Stiftung der feierliche Anlaß nicht auch Gelegenheit ist, sich selbst wieder einmal mehr mit der lettischen Republik zu beschäftigen.
Die Zeiten, wo "Westler" den "armen Brüdern und Schwestern" auf der anderen Seite der Ostsee sagen mussten, wo es demokratisch lang geht, sind ja wohl (wenn sie jemals angebracht waren) vorbei. Für Lettland wichtige Zukunftsprojekte werden kaum mit deutschen Partnern entwickelt. Selbst bei Kooperationen von Firmen lagen lange Jahre eher die finnischen, schwedischen, asiatischen oder US-amerikanischen Firmen vorn. Auch die Bremer Forschungsstelle Osteuropa forscht lieber nicht über ganz Osteuropa, wie der Namen vermuten ließe. Man konzentriert sich lieber auf zwei, drei ausgewählte Themen und lässt Lettland dabei lieber als Partner aussen vor.
Auch die BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung hat sich schon seit Jahren aus konkreten Projekten mit möglicherweise gleichgesinnten Partnern in Lettland zurückgezogen.
Ob solche Zustände wohl beim geplanten, nur zwei Stunden kurzen Symposium am 16.12., kurz vor der Preisverleihung, überhaupt zur Sprache kommen werden?
Wesentlich bekannter ist in der deutschen Medienöffentlichkeit die hervorgehobene Stellung Vike-Freiberga's als Frau in einem höchsten Staatsamt. Als erste Frau in Osteuropa überhaupt, und heute noch als eine der ganz wenigen Frauen in Europa in politischen Führungspositionen (die auch seit 6 Jahren bereits im Amt ist und 2003 unumstritten wiedergewählt wurde!), wird ihr Name inzwischen in einer Reihe mit den bekanntesten Persönlichkeiten der ganzen Welt genannt. Einerseits aus Gründen, die bei vielen Frauenkarrieren eher charakteristisch sind, andererseits aber in ihrem Fall auch in dieser Hinsicht einzigartig: Sie zog zwei Kinder groß (siehe das Foto rechts, aus ihrer Zeit in Kanada - entnommen aus dem 2001 erschienenen Buch von Ausma Cimdina), sie schaffte gleichzeitig eine beachtenswerte wissenschaftliche Karriere, meisterte gemeinsam mit ihrem Mann eine langjährige Ehe, lernte mit Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch mehrere Sprachen fließend, und musste sich schon als junges Mädchen mit den Eltern in mehreren fremden Ländern durchschlagen.
Dann kam - seit dem 17.Juni 1999 (dem 59.Jahrestag der Besetzung der Republik Lettland durch die Rote Armee) - das Leben als lettische Präsidentin. Ist Lettland schlicht das Land der "starken Frauen"?? Wie anerkannt ist Vaira Vike-Freiberga im eigenen Land? Ist die Sicht von aussen (mit deutschen Augen) identisch mit der Sicht, die Lettinnen auf ihre Präsidentin haben? Wie geht es Frauen in Lettland in anderen Tätigkeitsfeldern, in der Wirtschaft, in der Kirche, in der Politik? Wie sieht es mit Frauen- und Männerrollen aus? Warum haben Frauen in Lettland eine so viel höhere Lebenserwartung als Männer?
Diese und andere Fragen möchte der Verein INFOBALT in Bremen zusammen mit der Landeszentrale für politische Bildung diskutieren. Aus Anlaß des Besuchs von Frau Dr. Vike-Freiberga in Bremen, aber leider - wegen ihres Termindrucks - ohne sie. Dennoch werden eine Reihe lettischer Frauen zusammenkommen, die selbst aus eigener Perspektive und Erfahrung erzählen können. Eingangs werden Filme gezeigt über Vaira Vike-Freiberga und über Frauen in Riga. Alle interessierten Gäste sind herzlich eingeladen.
Donnerstag, 15.Dezember 2005, ab 18.00 Uhr, im Haus der Bremer Landeszentrale für politische Bildung, Osterdeich 6, 28203 Bremen. Telefon dort im Haus am Veranstaltungstag: 0421 361-2507, Email: Guenther.Feldhaus@lzpb.bremen.de. Kontakt für weitere Fragen und Infos: post@infobalt.de oder Tel. 0162-9339191.
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