24. Januar 2019

Geburt nach 16 Wochen: Kristjan-Johannes machts - vorerst

Mit der Unterstützung von 61 der 100 Abgeordneten wurde am 23.Januar 2019 im lettischen Parlament ein neuer Regierungschef bestätigt: Krišjanis Kariņš, bisher Europaabgeordneter seiner Partei "Jaunā Vienotība" (Neue Einigkeit). Damit haben die am 3.Oktober ins Parlament gewählten Parteien 109 Tage und damit gut ein Drittel eines Jahres für die Gespräche über eine Regierungsbildung gebraucht. Trotzdem steht die Regierung Kariņš auf ziemlich wackeligen Füßen: sie sind es fünf Koalitionsparteien, zugestimmt haben der neuen Regierung aber nur 4 1/2.

Was Krišs verspricht: Wohlstand, Wohlstand,
Wachstum ...
Die Koalitionsvereinbarung wurde unterzeichnet von "Jaunā vienotība" JV (Neue Einigkeit, 8 Sitze, 3 Minister), "Attistībai par" AP ("Für Entwicklung, dafür", 13 Sitze, 3 Minister), die "Nationāla apvienība" NA ("nationale Vereinigung Alles für Lettland", 13 Sitze, 2 Minister), die "Jaunā Konservatīvā Partija" JKP ("Neue Konservative Partei", 16 Sitze, 3 Minister) und die Partei "KPV-LV" ("Wem gehört der Staat", 16 Sitze, 3 Minister).

Bestätigt wurde auch die Verteilung der Minister: Artis Pabriks (AP) wird erneut Verteidigungsminister, Außenminister bleibt Edgars Rinkēvičs (JV), Wirtschaftsminister wird Ralfs Nemiro (KPV), Finanzminister Jānis Reirs (JV) und Innenminister Sandis Ģirģens (KPV). Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft wird Ilga Šuplinska (JKP) leiten, Dace Melbārde (NA) bleibt wie bisher Kulturministerin, und das Wohlfahrts/Sozialministerium leitet jetzt Ramona Petraviča (KPV). Verkehrsminister wird Tālis Linkaits (JKP), Justizminister Jānis Bordāns (JKP), über das Gesundheitswesen wacht Ilze Viņķele (AP), Minister für Umwelt und Regionales wird Juris Pūce (AP),  Landwirtschaftsminister wird der bisherige Umweltminister Kaspars Gerhards (NA).

Was die "KPV" gerne versprechen möchte: bis
2050 sollen es 2,5 Millionen lettische Staatsbürger sein
Allerdings kam es bei der Abstimmung im Parlament zu Uneinigkeit innerhalb der von manchen als "populistisch" eingestuften Partei KPV: eigentlich hätten die Koalitionsparteien zusammen über 66 Stimmen verfügt - aber 5 der 16 KPV-Abgeordneten stimmten gegen die Regierung, darunter auch Aldis Gobzems, der vorher selbst schon eine Regierungsbildung unter seiner Führung versucht hatte. Gegen die Regierung Kariņš stimmte ebenfalls die Partei des bisherigen Regierungschefs Māris Kučinskis "Zaļo un Zemnieku savienība" ZZS (Grüne und Bauernpartei, 11 Sitze), sowie die Partei mit der größten Parlamentsfraktion "Saskaņa" ("Harmonie", 23 Sitze).

Bis zu diesem Punkt mussten offenbar viele Sackgassen ausprobiert werden:
- die JKP wollte auf keinen Fall die "Bauern und Grünen" mit in der Regierung haben
- die beiden gleichstarken Parteien, beide neu im Parlament, JKP und KPV schickten ihre Kandidaten Bordāns und Gobzems ins Rennen zum Versuch einer Regierungsbildung; offenbar fest von ihren Erfolgchancen überzeugt. Beide scheiterten frühzeitig.
- auch Artis Pabriks, früher schon in verschiedenen Parteien aktiv, nun Spitzenkandidat der AP, musste es erst unbedingt als (vom Präsidenten benannter) Kandidat versuchen. Auch er scheiterte schon bevor es zur Abstimmung kam.
- schließlich waren auch einige der von der KPV benannte Ministerkandidaten ein Streitpunkt: manche, wie sogar Spitzenkandidat Gobzems bekamen vom Verfassungsbüro und dem lettischen Sicherheitsdienst keine Freigabe zur Einsicht in Staatsgeheimnisse. Kann so jemand Innenminister werden? Kariņš setzte durch: nein.

Sind diese Differenzen jetzt nach Regierungsbildung beseitigt? Es bleibt vorerst unklar. Seit der Wahl im Oktober ging es in der öffentlichen Diskussion sehr viel um Ministerposten, sehr wenig um Sachfragen. Die Zusammensetzung einer möglichen Koalition stand dabei kaum in Frage - denn alle schlossen eine Zusammenarbeit mit der als russlandfreundlich geltenden "Saskaņa" aus. Obwohl nun mit der KPV und der JKP zwei Parteien Teil der Koalition sind, die im Wahlkampf heftig gegen die bisherige Regierung auftraten, ist in der Regierungserklärung die Kariņš nun abgab, sehr viel vom Fortsetzen des bisherigen Kurses die Rede: wirtschaftsfreundlich, pro EU-Integration, mindestens 2% des BSP soll auch weiterhin fürs Militär ausgegeben werden, und es wird Sparen und Finanzstabilität versprochen. Als einzige klare Änderung zur bisherigen Poltik wird die Abschaffung der (obligātā iepirkuma komponenti) OIK angekündigt - einer Abgabe auf den Ernergiepreis, die eigentlich zur Förderung nachhaltiger Energie eingeführt worden war, zuletzt aber stark umstritten war.

Der 1964 in den USA als Kind lettischer Eltern geborene Krišjanis Kariņš promovierte 1996 an der University of Pennsylvania im Fachbereich Sprachwissenschaften. In der politischen Szene Lettlands tauchte er zuerst 2002 als einer der Mitgründer der Partei "Jaunais Laiks" JL ("Neue Zeit") auf. Im selben Jahr kandidierte er für die JL bei den Parlamentswahlen und wurde auch gewählt. Schon damals war er für ein Ministeramt im Gespräch. Als Regierungschef Einars Repše 2004 zurücktrat nominierte seine Partei Kariņš für dieses Amt - statt dessen bekam damals Indulis Emsis (Grüne) das Vertrauen zur Regierungsbildung, auch durch die Unterstützung der damals einflußreichen Tautas Partija ("Volkspartei"). Als die Regierung Emsis schon Ende 2004 wieder auseinanderbrach, schlug die JL erneut Kariņš vor, und erneut erfolglos. Er wurde aber Wirtschaftsminister in der Regierung Aigars Kalvītis. Als "Jaunais Laiks" 2006 aus der Regierung Kalvītis austrat, trat auch Kariņš zurück. 2009 kandidierte Kariņš auf der Liste der "Jaunais Laiks" zum Europaparlament und wurde auch gewählt (dort Mitglied der Fraktion der EVP). 2014 errang er erneut einen Sitz im EP, diesmal auf der Liste der "Vienotība" ("Einigkeit"), einem Zusammenschluß unter Beteiligung auch der JL. Bei den Parlamentswahlen 2018 kandidierte Kariņš für die "Jaunā Vienotība", einem Zusammenschluß aus Resten der "Vienotība", "Kuldīgas novadam" ("für den Kreis Kuldiga"), "Tukuma pilsētai un novadam" ("Für Stadt und Kreis Tukums"), "Valmierai un Vidzemei" ("Für Valmiera und Vidzeme"), "Jēkabpils reģionālo partija" ("Regionalpartei Jēkabpils") und der "Latgales partija" ("Lagale Partei").

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