16. Januar 2019

Als das Gas nach Jelgava kam

Wenn es in Osteuropa Unfälle mit Gasexplosionen gibt, könnte es sein dass auch die Menschen in Lettland genauer hinhören - klingt es doch wieder nach Schluder, Pfusch und Korruption. Es klingt nach Zuständen wie zu Sowjetzeiten. Natürlich ist es bis zu einem gewissen Grad auch ein Vorurteil, denn Gasexplosionen gab es in den vergangenen Wochen zum Beispiel auch in Paris, in Donzdorf bei Göppingen, oder in Wien.

Screenshot aus dem lettischen Fernsehbericht
zur Katastrophe von Jelgava 1969
In den lettischen Medien wurde jetzt an ein Unglück erinnert, dass am 12. Januar vor genau 50 Jahren in Jelgava ereignete: im Keller eines Wohnhauses in der Raiņa ielā 9. Die Folge: 41 Tote, darunter 14 Kinder.

Ein Ereignis, dass auch heute noch vielen Lettinnen und Letten unbekannt ist - damals wurde alles getan, um Stillschweigen zu dem Unglück zu bewahren. 1969 war in den Zeitungen fast nichts darüber zu finden. "Es war ein Sonntag. Am Tag darauf war der erste Schultag nach den Ferien," erzählt Juris Pudelis, der die Ereignisse damals hautnah miterlebt hat (lsm). "Mein jüngerer Bruder Pēteris und der jüngere, Jānis, schliefen im Nachbarzimmer. Die Explosion war gar nicht laut. Ich stand mit meinen Eltern im Türrahmen. Ich erinnere mich an große Staubwolken. Wie Nebel. Es war ein sonniger Wintertag - minus 15 Grad, und dann dieser Staub. Die Brüder waren in den Zimmern, die zusammengebrochen waren."

Es war der 12. Januar 1969 um 10.55 Uhr, als eine Gasexplosion Teile des Hauses in der Raiņa ielā 9 zerstörte. Valdis Āboliņš, Bauaufseher für das Projekt, wohnte im selben Haus, aber seine Wohnung blieb unzerstört. "Ich sah den Fotoapperat auf dem Tisch, ich war Fotoamateur zu der Zeit," erzählt er. "Ich ging auf den Balkon und machte nur 30 Sekunden nach der Explosion das erste Foto." Zwei Stunden vergingen, und einige begannen mit bloßen Händen zu graben, so der Augenzeuge. Zuerst habe man gedacht es seien Betonplatten zusammengebrochen. Und die Soldaten, die dann zur Hilfe geschickt worden seien, hätten ohne Arbeitshandschuhe arbeiten müssen. "Aber mein Vater hat auf seiner Arbeit angerufen, die haben schweres Bergungsgerät geschickt."

Das Haus hatte damals als eines der ersten in der Stadt Gasanschluss bekommen. Zu dieser Zeit war in ganz Lettland die Versorgung mit Gas für die Wohnung erst in den Anfängen - so machte man Fehler. Später stellte man am Unglücksort in Jelgava fest, dass auch die Räume eines benachbarten Kinos schon voller Gas waren - nicht auszudenken, die Explosion hätte sich während einer Vorführung ereignet.

dem heutigen Gebäude ist das Unglück nicht mehr
anzusehen
Den betroffenen Familien wurden damals Wohnungen in einer anderen Straße zu gewiesen. Die Untersuchungen wurden schnell abgeschlossen. Sechs Monate später gab es einen Gerichtsprozess - einem Meister und einem Ingenieur der Baubrigaden wurde die Schuld zugesprochen. Der eine bekam eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, der andere musste sich auf der Arbeit bewähren und bekam ein Jahr einen Lohnabzug von 10%.

Als ein Jahr später am 12. Januar Nachbarn und Hinterbliebene ein Gedenken an das Ereignis vorbereiteten, wurde es von den Behörden verboten. In dieser Zeit brachte das sowjetlettische Fernsehen lieber Berichte vom Aufbau schöner neuer Wohnungen für glückliche Arbeiterfamilien, wie es auch die Dokumentation des lettischen Fernsehens zeigt (lsm). Der erste detaillierte Bericht erschien in den lettischen Medien erst 1995.(Bericht Panorama zum Thema)

Keine Kommentare: