26. Mai 2017

Nihil-ismus

Am 3.Juni stehen in Lettland regulär Kommunalwahlen an. Die traditionell kleinteilige lettische Parteienlandschaft nimmt es als Gelegenheit, Profil zu schärfen. In der Hauptstadt Riga bedeutet das vor allem: für Nils, oder gegen Nils?

Am häufigsten kritisiert werden gegenwärtig, neben der großen Verschuldung des Stadtsäckels, verschiedene Aspekte der Verkehrpolitik in Riga. So hieß es bisher immer: einer der Gründe, warum der russischstämmige Bürgermeister Nils Ušakovs insbesondere von älteren Leuten wiederholt gewählt worden sei, weil er diesen kostenlose Tickets in den öffentlichen Verkehrsmitteln verspreche. Erstaunlich auch, dass die Stadt bei schwierigen Winterverhältnissen den Autofahrern kurzerhand mal Freifahrttickets genehmigt.
Nun bekommt Ušakovs in der politischen Landschaft auch auf konservativer Seite Gesinnungsgenossen: Jānis Bordāns, Ex-Justizminister (2012-2014, unter Valdis Dombrovskis, als dieser noch Regierungschef war), nun Gründer der "Neuen Konservativen Partei" (Jaunā konservatīvā partija, JKP), will es Tallinn gleichtun und kostenfreien ÖPNV für alle Einwohner Rigas einführen. Sowieso würden nur 1/3 der Einnahmen der Rigaer Städtischen Betriebe ("Rīgas satiksmes”,RS) aus den Ticketverkäufen erzielt, rechnet er vor. Und die Häfte der Verkaufseinnahmen gehen wieder für Produktion, Administration und Bereithaltung der Tickets drauf. Wer also einen Fahrschein kaufe, der bezahle damit zur Hälfte eigentlich die Herstellung des Tickets, und nichts anderes. Bordāns ist in Riga auch Bürgermeisterkandidat, zusammen mit Juta Strīķe, die durch ihre Arbeit beim lettischen Anti-Korruptionsbüro (Korupcijas novēršanas un apkarošanas biroja, KNAB) bekannt wurde.

Kultur-Ikone Andrejs Žagars: der neue
"Pierre Brice" (Gojko Mitić) der lettischen
Politik?
Aber gibt es ernsthaft einen Kandidaten, der oder die eine Wiederwahl Ušakovs gefährden könnte? 2013 erreichte Ušakovs "Saskaņa", zusammen mit Koalitionspartner "Gods kalpot Rīgai" ("Ehre Riga zu dienen" - GKR) überzeugende 58% der Stimmen und 39 von 60 Ratssitze. Gegner, wie der konservative Journalist Otto Ozols, werfen den in der Hauptstadt Regierenden  vor, die Teilung in russische und lettische Bevölkerung zementieren zu wollen.Jedoch klingen die Parolen der Gegner ganz ähnlich, nur anders herum: bitte überall nur Lettisch reden - vom Kindergarten bis zum Wirtschaftsunternehmen.

Immer schick, immer national:
reicht das für's Bürgermeisteramt?
Auf der Liste der Partei "Latvijas atistibai" (für die Entwicklung Lettlands) kandidieren gleich drei prominente Namen: Ex-Basketball-Nationalspielerin Anete Jēkabsone-Žogota, Regisseur und Opernchef Andrejs Žagars, und Mode-Designerin Indra Salceviča. Dass auch Ex-Premier Einārs Repše sich dieser Neugründung angeschlossen hat, stellt die Partei selbst inzwischen lieber in den Hintergrund. Das Parteiprogramm buchstäblich genommen, könnte es sich hier um eine wirtschaftsliberale Partei handeln - aber wer in Lettland glaubt schon an Parteigrogramme? Als Spitzenkandidat seiner Partei für die Europawahlen 2014 bekam Žagars gerade mal 2% der Stimmen.

Wie so oft besteht in der Öffentlichkeit eine goße Kluft zwischen dem sehr schlechten Ansehen fast aller Politiker/innen, und dem Versuch der Parteien, dieses schlechte Image durch populäre Personen "aufzuhübschen". 
Baiba Broka war bereits 2013 Bürgermeisterkandidatin der "Nationalen Vereinigung" ("Nacionālā apvienība, NA), 2014 einige Wochen Justizministerin. "Riga darf nicht wie ein Staat im Staate sein!" Broka wirft Ušakovs vor, seine eigene "Außenpolitik" - vor allem gegenüber Russland - zu machen.

Bliebe noch Vilnis Ķirsis - zwar Kandidat einer bekannten Partei (Vienotība), die allerdings seit dem - auch durch eigene Parteimitglieder mitverursachten Rücktritt der Regierungschefin Straujuma - bei den einen als vergessen, bei anderen verhasst gilt. Mit Wirtschaft, Statistik und Steuerpolitik trifft der erst 36-jährige Ķirsis zudem nicht gerade Lieblingsthemen seiner Wähler - die Partei versucht sich zu helfen, indem sie nicht den Kandidaten, sondern schöne Fotos von Riga in den Vordergrund stellt. Wohlklingende Versprechen wie "10.000 Bäume pflanzen, um die Luftqualität in der Stadt zu verbessern" wird ihm keine Stimmen unter Naturliebhabern bringen, und die überall hervorgehobene Funktion des Spitzenkandidaten als "Granatwerfer" im Studentenbatallion der "Zemessardes" vermutlich auch keine Stimmen unter den Vaterlandsliebhabern.

Dass auch die "Grüne Bauernpartei" (Zaļo un Zemnieku savienība) Probleme mit dem Bekanntheitsgrad ihres Spitzenkandidaten, dem Bienenzüchter Armands Krauze hat, zeigt schon der energische Einwand von Präsident Raimonds Vejonis, doch bitte keine Parteiwerbung unter Verwendung des Präsidenten-Namens zu machen. Man einigte sich darauf, der ZZS zu erlauben sich "Präsidentenpartei" nennen zu dürfen - aber bis zur "Bürgermeisterpartei" wird es zumindest in Riga noch ein weiter Weg sein.

Insgesamt werden sich in Riga zur Kommunalwahl 11 Parteien zur Wahl stellen (siehe: Information des lettischen Wahlamts). Zuletzt wurde mehr über Bürgermeisters Katze berichtet, als über seine Politik. (MDR, Washington Post) Und lang scheint die Liste dessen, was Gegenkandidaten von Ušakovs möglichst im voraus zuverlässig versprechen müssen, um wirklich größeren Wähler/innen-Zuspruch zu bekommen: natürlich keine Flüchtlinge in Lettland reinlassen, keine gleichgeschlechtlichen Ehen zulassen, nur noch Lettisch sprechen, den Einfluß ausländischen Kapitals beim Kauf von Land und Immobilien beschränken, Straßen reparieren und Staus zum Verschwinden bringen, Arzneien und Krankenhäuser bezahlbar machen, ... - die Liste ist lang (hoffentlich habe ich nichts vergessen). Wer könnte das alles erfüllen?

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