26. August 2015

Denkmäler und Schützen

Nach der Fertigstellung der Neuen Nationalbibliothek in Riga, nach Abschluß des EU-Präsidentschaftshalbjahres mit den damit zusammenhängenden Projekten, gibt es jetzt neue Stadtentwicklungspläne, die zur Diskussion stehen - ganz im Sinne des alten Spruches, die Stadt Riga werde niemals fertig sein.
Noch immer wird über die weitere Gestaltung des Platzes um das wiedererrichtete "Schwarzhäupterhaus" herum gestritten; dabei geht es momentan um drei Objekte: einerseits um einen Hotelbau (siehe Blogbeitrag), zweitens um einen Anbau des Okkupationsmuseums (gegen diese Pläne haben sich 20 lettische Architekten ausgesprochen, eine der bekanntesten unter ihnen Zaiga Gaile), und drittens um das zu Sowjetzeiten errichtete Denkmal der "Roten Schützen".

Um bei letzterem anzufangen: Bezüglich der früher als "Beschützer Lenins", den zunächst innerhalb der russischen Armee kämpfenden lettischen Schützenbattaillonen, von denen sich ein großer Teil dann den Bolschewiki anschloß ("rote Schützen"), scheint sich ein Umdenken anzubahnen. Im Ergebnis geht es darum, ob das Denkmal der "roten Schützen" seinen Platz behält - und hier gibt es in der lettischen Presse neuerdings differenziertere Meinungsäußerungen, denn genau 100 Jahre ist es jetzt her, dass im August 1915 diese Einheiten gebildet wurden. "Nicht weiß, nicht rot" seien die "Strēlnieki" gewesen, meint Elita Veidemane in der Tageszeitung "NRA", und zitiert dabei Ilze Krigere, Mitarbeiterin des lettischen "Kriegsmuseums". Am 1.August fanden in Riga offizielle Feierlichkeiten in Gedenken der Schützen statt (youtube) - ohne jegliche bolschewistische Symbole und Fahnen, wie sicherlich fast überflüssig zu erwähnen ist; aber mit feierlichem Umzug, paramilitärischen Spielchen und Rockmusik (siehe Ablaufplan).Plus weißen Blumen als Kennzeichnung der Teilnehmer, nicht etwa roten.

"Als diese Schützenbataillone gebildet wurden, waren diese Jugendlichen alle von der Idee erfasst, ihr Land zu verteidigen," meint Historiker Dagnis Dedumietis in der Zeitung "IR", "es war für sie kein Kampf für ein russisches Imperium, sondern zunächst mal gegen die Oberschicht der Deutschen". Nach den Ereignissen von 1905 und der blutigen Niederschlagens der Aufstände, den vor allem deutschbaltische Gutsherren betrieben, seien diese Gegensätze besonders krass gewesen, betont Dedumietis. Und als diese Schützenbataillione gebildet worden seien, da sei ja Kurland und Semgallen, also weite Teile des heutigen Lettland, von der deutschen Armee bereits besetzt gewesen. Zwar waren die Schützen nicht an der Staatsgründung Lettlands beteiligt gewesen, meint Dedumietis, denn im Herbst 1918 seien diese außerhalb von Lettland gewesen. Aber schon ab 1917 habe jede Einheit eigene Flaggen gehabt, darunter auch die dunkelrot-weiß-rote, die dann später zur Staatsflagge wurde, und die Hymne "Dievs svētī Latviju" ("Gott schütze Lettland") sei schon seit 1915 gesungen worden.

Dass ein anderer Teil dieser Schützen auch an der zwischenzeitlichen Ausrufung einer "lettischen Sowjetrepublik" beteiligt war (Jukums Vācities zum Beispiel), wird im Jahr 2015 mal dezent unterschlagen - oder, es wird schlicht vom "russischen Bürgerkrieg" gesprochen, statt von einer "roten Revolution" (Vācietis wurde dann allerdings auch im Zuge der Stalinistischen Säuberungen 1938 ermordet, das gehört zum Gesamtbild).

Wer gewohnt ist, sich geschichtliche Vorgänge durch Lektüre originaler Quellen zu erschließen, wird vielleicht ob so mancher aktueller Deutungstrends und -moden etwas verwundert sein.Aber wenn es zu einer größeren Akzeptanz verschiedener möglicher Sichtweisen verhilft, vielleicht nützt es auch den gegenwärtigen Debatten um die Stadtentwicklung. Aber die Wirrungen und Windungen der lettischen Geschichte sind differenzierter zu betrachten als bloße Schwarz-Weiß-(oder Rot-Weiß)-Muster.

Keine Kommentare: