1. Angeblich umstrittenes Wahlverfahren.
Seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit wurden alle lettischen Präsidenten nach demselben Wahlverfahren gewählt - lediglich die Wahlperiode wurde von drei auf vier Jahre verlängert. Also auch die bei allen potentiellen Kandidaten als Vorbild genannte Ex-Präsidentin Vīķe-Freiberga wurde genau so gewählt - damals allerdings nutzten die Parteien die Wahl für allerlei politische Abrechnungen untereinander, so dass die politisch bis dahin unbedarfte Psychologin als Kompromiss des Kompromisses im allerletzten Moment hervorgeholt únd aufs Podest gestellt wurde - und gleichzeitig wegen dadurch entstandenen neuen Interessenkoalitionen ein
Ein Präsident, der nicht aus der Hauptstadt kommt: dieses Mehrfamilienhaus in Ogre ist seit einigen Tagen im Fokus des Interesses |
Das in Deutschland praktizierte Wahlverfahren unterscheidet sich übrigens nicht so wesentlich vom lettischen: nur das die in Deutschland im Parlament vertretenen Parteien sich noch ein paar "Vertreter des Volkes" aussuchen dürfen, die aber in der Regel die Proportionen des zu erwartenden Wahlergebnisses nicht verändern.
2.Angeblich bessere Kandidaten
Schon durch die wochenlange Diskussion um die besten Kandidat/innen, offene Fernsehdiskussionen und Internet-Abstimmungen unterschied sich diese Wahl von den vorangegangenen. Dazu passt dann, dass die Vertreter derjenigen, die sich als Abgesandte einer "schweigenden Mehrheit" zu profilieren versuchten, nicht zu einheitlichen Alternativen fanden - vielmehr gab es drei verschiedene. Da ist zunächst die Variante: der wahre Wählerwillen zeigt sich im Internet. Schon bei den zurückliegenden Parlamentswahlen versuchte die "Partei der Regionen" vorwiegend diejenigen anzusprechen, die vermutlich erst bei youtube und Facebook nachschauen, bevor sie mal eine Zeitung lesen. Der Schauspieler Artuss Kaimiņš verlegte gleich eine ganze Fernsehshow ins Internet, und ließ dabei seine Verachtung für den Rest der lettischen Journalisten häufig offen erkennen. Dass Kaimiņš in seiner so inszenierten Talkshow weit häufiger verunglimpfte und hinters Licht führte als zu Wort kommen ließ, gefiel seinen Fans derart, dass Kaimiņš mehr Stimmen als Parteischef Mārtiņš Bondars einsammelte. Doch allem Geschrei im Internet zum Trotz: in absoluten Zahlen waren es eben doch nur 6,66% der Stimmen. Da liegen Vergleiche mit der diesjährigen Kampagne auf "MansPrezidents.lv" nahe: wenn hier 15.000 sich beteiligten und 5.800 davon Bondars bevorzugten, ist das noch sehr weit weg von einem eindeutigen "Willen des Volkes".
Dann war da noch Egils Levits. Seltsam, dass sich ein so gut ausgebildeter und international erfahrener Mensch derart einspannen lässt in eine mehr als merkwürdige Interessenkoaltion aus exil-lettischen Kreisen, die ihn als "einer von uns" ehren, und extrem-nationalistischen Zirkeln in Lettland, von denen er sich vor der Wahl zu krasse Aussagen zu einigen umstrittenen lettischen Themen verführen ließ. Ein Kandidat eines sensiblen, umsichtigen Interessenausgleichs war er nicht - auch wenn während des Wahlgangs vor dem Parlament eine kleine Gruppe Unterstützer ununterbrochen "Levitu, Levitu" riefen.
Drittens: Sergejs Dolgopolovs, Kandidat derjenigen, die sich "Ausgleich + Harmonie" auf die Fahnen schreiben, sich mit diesem ihren Kandidaten aber immer heftige interne Schlachten geliefert haben - solange es wirklich um etwas ging. Ich bin mir relativ sicher, dass die Fraktion hinter der Leitfigur Nils Užakovs ganz andere Kandidaten vorgeschlagen hätte, wenn eine reale Siegchance in Aussicht gestanden hätte. Dolgopolovs, Variante Nummer drei einer angeblichen schweigenden Mehrheit, vor allem der Russischsprachigen. Das Abstimmungsverhalten der "Harmonie"-Delegierten zeigt, dass sie die Präsidentenkür vor allem zur Profilschärfung für die nächsten Wahlkämpfe nutzten: hier konnte keine Tatjana Ždanoka mit ihrer "Russischen Union" als Konkurrentin stören - sonst immer für 5-6% der Wählerzustimmung gut. In allen fünf Wahlgängen stimmten die Harmonisten also fünfmal gegen alle anderen Kandidaten. "Im Interesse derjenigen, die uns gewählt haben", so erklärte es Užakovs - um im gleichen Atemzug dann aber zu betonen, seine Fraktion habe auch mit dem bisherigen Minister Vējonis immer gut zusammengearbeitet. Dolgopolovs also lediglich ein Kandidat, der einen Augenblick lang perfekt zum Partei-Image passte.
Präsident traf Nachfolger: am 4.Mai erhielt Vejonis aus der Hand des Noch- Präsidenten Bērziņš den Dreisterne-Orden |
Das spezielle an dieser Diskussion ist gegenwärtig, dass über das jetzige Verfahren heftiger gestritten wird als über Alternativen - eine Bewegung für eine "Wahl durch das Volk" gab es diesmal nicht. Von verschiedenen Seiten wurde gefordert, die Abgeordneten der Saeima sollten "offen" über die Kandidaten abstimmen, also so dass jeder sieht wer für wen gestimmt hat. Als Hintergrund muss hier vielleicht erklärt werden, dass auch jede/r Kandidat/in für Parlament oder Gemeinderat relativ viel offenbaren muss: sehen wir uns also zum Beispiel mal das Kandidatenprofil von Raimonds Vējonis von 2011 an, so erfahren wir dass er einen Motorroller Marke "Peuqeot Speedfight" fährt, einen Betrag von 41826,15 Lat auf einem Konto der "Citadeles Bank" hatte, und Anteile der lettischen "Krajbanka" und Aktien der "SEB Bank" hielt.
per Handybeweis gegen Volkes Misstrauen? |
4.Angebliche Marionetten
Seit 2011 Präsident Zatlers eine Volksabstimmung veranlasste, um das gesamte Parlament zu entlassen neu zu wählen, folgte ihm sein Volk nur allzu gern. Vergessen waren die Umstände seiner Wahl im Jahr 2007, als Gerüchte besagte, gewisse Parteienvertreter hätten sich im Zoo in Riga getroffen, um zwischen Tigern und Giraffen den Präsidentschaftskandidaten "auszukungeln". Heraus kam Präsident Valdis Zatlers, vor seiner Wahl eigentlich nur als Facharzt bekannt. Auch damals war schon Fraktionschef August Brigmanis, Ex-Kolchosenchef und seit 2000 Vorsitzender der Bauernpartei (Zemnieku savieniba), einer der Strippenzieher. Aber nicht er, sondern der Großsponsor von Bauernpartei und Grünen, Aivars Lembergs, Bürgermeister von Ventspils und bisher mit Glück den vielen Prozessen wegen angeblicher Geldwäsche und Machtmissbrauch (das bezieht sich alles auf die 1990iger Jahre) entkommen, wollte lange Zeit gern selbst lettischer Präsident werden. Es muss dabei aber bedacht werden, dass Lembergs zuvor einer sehr unterschiedlichen Zahl von Politikern verschiedener Parteien Geld zukommen ließ - damals die sogenannten "Stipendiaten Lembergs".
auch an dieses Gesicht muss sich das politische Lettland erst noch gewöhnen: die neue "First Lady" Iveta Vējone |
Wenn aber irgendwer die Strippen zog bei der Wahl von Raimonds Vējonis, dann am ehestenen Regierungschefin Laimdota Straujuma. Denn wer auf die Aufstellung eigener Kandidaten verzichtet, die Kandidaten beider Koalitionsparteien in der Endrunde der Wahl platziert, um dann die Stimmen aus allen drei Koaltionsparteien auf den Sieger zu vereinen, hat zumindest momentan die Zusammenarbeit innerhalb der Regierung gestärkt. Allerdings bestreiten die Vertreter der Nationalen Liste bisher energisch, im fünften Wahlgang für Vejonis gestimmt zu haben - so lässt sich wohl am besten das eigene Image aufrechterhalten plus die Behauptung, Vējonis sei mit Stimmen der russlandfreundlichen "Harmonie" gewählt worden (wer gerade keine Marionette zur Hand hat, ruft einen Puppenspieler ...?). Na gut, auch die ambitionierte Solvīta Āboltina wurde wohl auf diesen Zug gesetzt, behauptet sie doch zu wissen, die Nationalisten seien ob der Wahl von Vejonis derart verärgert dass es im Herbst wohl Neuwahlen geben müsse (Dzīvosim, redzēsim).
Vorläufig die einzige feste Verbindung des neuen Präsidenten zu Deutschland: Schäferhund "Rimini", mit echtem deutschen Stammbaum (Foto: Facebook-Seite Vejonis) |
"Ganz oben auf der Tagesordnung steht für mich die Sicherheit", so äußerte sich der neu gewählte Präsident, ganz im Sinne seiner bisherigen Funktion als Verteidigungsminister.
Das Militär und Lettlands Rolle in der NATO sei zu stärken, ebenso die Grenzsicherung. Danach folgt die Wirtschaft: "ökonomische Sicherheit", so wie Vējonis es ausdrückt.
Wirtschaftswachstum schaffe auch soziale Sicherheit, so seine These. Zusammen mit allen Parteien möchte er sich gern auf das konzentrieren, "was uns eint". Dabei sei er auch bereit, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wenn nötig.
Auf Nachfrage von Journalisten, wie er denn seine Funktion als Co-Vorsitzendem der Lettischen Grünen Partei zu handhaben gedenke - ein Präsident müsse ja parteipolitisch neutral sein - antwortete er: "Es ist klar, dass ich meine Parteifunktionen ruhen lassen werden. Aber das ändert nichts an meiner Überzeugung ein grünes Lettland schaffen zu wollen, und ich möchte weiter daran mitarbeiten Lettland zum grünsten Land der Welt zu machen!"
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