26. Januar 2013

Arztbesuche auf Attest

Die Zeitschrift "IR" stellte kürzlich einige interessante Änderungen des lettischen Gesundheitswesens zur Diskussion. Zu Zeiten, wo in Deutschland gerade die Praxisgebühr abgeschafft würde, führte auch das lettische Gesundheitsministerium einen neuen Kriterienkatalog zur Beurteilung der Arbeit lettischer Arztpraxen ein. Diese neuen Kriterien legen offenbar eine bessere Bezahlung derjenigen Ärzte fest, die bei ihren Patienten häufiger einen Gesundheits-Check vornehmen, die Kinder der Familie häufiger impfen, und aktiver Vorsorge betreiben bei Risikogruppen für Herzkrankheiten, Diabetes und Asthma. Viel hilft viel? Vielleicht hilft zunächst ein Blick aufs lettische System der Gesundheitsversorgung.

Wenn nur der Weg zum Arzt nicht so weit wäre ...
Gesundheitsministerin Circene bei der Eröffnung
der Kampagne "2013 - Jahr des gesunden Herzens"
Den Vorstellungen des lettischen Gesundheitsministeriums zufolge soll sich jeder Einwohner möglichst bei einem "Familienarzt" seines Wohnorts oder seiner Region anmelden. Dieser Arzt muss vom Ministerium lizensiert sein und schließt dann mit seinen Patienten ein Versorgungsabkommen. Mehr als 2000 Patienten und 900 Kinder darf aber kein Arzt zur Registrierung annehmen. Auch ein Wechsel des "Familienarztes" (was in Deutschland wohl "Hausarzt" genannt werden würde) ist möglich, allerdings geschieht das auch wieder schriftlich: der bisherige Arzt löscht die Daten aus seiner Kartei, der neue Arzt nimmt sie auf, beide schicken diese Informationen an die zuständige Stelle im Ministerium. Gegenwärtig sind in Lettland 1371 solcher Familienärzte registriert - das sind theoretisch ein Arzt auf 1450 Einwohner. 577 dieser Ärzte haben ihre Praxis in Riga. Im Mittel gibt es 1500-1600 Klienten pro Praxis, nur 174 haben weniger als 1000 Klienten zu betreuen, bei 198 Ärzten sind es mehr als 2000 (Zahlen aus "IR" 9.1.13).

Zu den Kosten: Registrierung oder Wechsel des Arztes sind kostenfrei. Sofern der Patient nicht aus besonderen Gründen Kostenerleichterungen genießt, kostet ein Arztbesuch 1 Lat (ca. 1,43 Euro). Einmal im Jahr darf eine kostenlose Gesundheitsvorsorge in Anspruch genommen werden, falls man den Arzt nicht schon wegen einer Krankheit aufgesucht hat. Die während der Vorsorge vorzunehmenden Untersuchungen werden vom Ministerium im Detail genau festgelegt. Der "Familienarzt" - der laut den Bestimmungen nicht ablehen kann, wenn sein Patient weitere Kinder oder seinen Ehepartner zusätzlich anmeldet - macht auch Hausbesuche: für Kinder bis 18 Jahren, Behinderte und Hauspflegefälle sogar kostenlos, auch der Tod wird kostenlos festgestellt. Die doppelte Gebühr - 2 Lat - kostet dagegen der Hausbesuch für über 80Jährige und auch Grippeerkrankte.Für alle besonderen Untersuchungen gibt es eine klare Preisliste, die auch pauschal die Kosten eines Krankenhausaufenthaltes festlegt: 9,50 Euro (13,60 Euro) ab dem zweiten Tag. Es gibt aber Höchstgrenzen: die Gesamtkosten des Krankenhausaufenthalts sollen pro Patient 250 Lat nicht überschreiten (400 Lat pro Kalenderjahr). Kostenbefreit sind wiederum Kinder bis 18 Jahre, Behinderte, Schwangere, Tuberkulosekranke, von bestimmten Epedemien Betroffene, psychisch Kranke, sozial Benachteiligte, Organspender, im Rahmen regelmäßiger Impfkampagnen Behandelte, und einige mehr. Alle anderen zahlen - oder haben eine Versicherung dafür abgeschlossen.

Die neuen, zum 1.Januar erweiterten Vorgaben des Ministeriums sollen den Patienten nun erweiterten Vorsorgeschutz bieten - von der Krebsvorsorge bis zum Bluthochdruck, letzteres ist auch in Lettland eine der häufigsten Todesursachen. Die Frage bleibt aber, ob dafür auch erhöhte Zuzahlungen nötig werden - was sich besonders in den ländlichen Regionen sehr viele sich nicht werden leisten können. Die Ärzte wehren sich dagegen, dass dieses Problem dann ihnen überlassen würde, wenn sie ihre Patienten häufiger zur Untersuchung bitten würden. Oder eben den Patienten, denen schon das Busticket zu teuer wird um zum Arzt zu fahren. Das Ministerium möchte gern, dass 65% aller bei einem Arzt registrierten Patienten pro Jahr auch einmal zur Vorsorgeuntersuchung gebeten werden. Nur 36% aller Ärzte haben bisher überhaupt Arztkollegen oder anderes medizinisch ausgebildetes Personal in der eigenen Praxis angestellt, die dann bei der Bewältigung des Zusatzaufwands helfen könnten. Die neuen Regelungen würden es erfordern 98% aller Kinder pro Jahr mindestens einmal zu impfen, wofür auch keine Kosten vom Patienten zurückgefordert werden dürfen.

Erst in den entsprechenden Internetforen zu diesem Thema wird auf eine andere aktuelle Frage hingewiesen: wer gibt eigentlich in Lettland Tipps für gesunde Lebensweise, so dass es weniger zu chronischen Krankheiten kommt? Zusehr schlängelt sich die Diskussion entlang an der Grenze des Bezahlbaren. Und auch über die Inhalte des Schulunterrichts wird in diesem Zusammenhang noch kaum geredet.

Info: Regeln für den FamilienarztPreisliste (Info des Gesundheitsministeriums, lettisch) Kosten im Krankenhaus (englisch)
Infoseite des Ministeriums zu den neuen Qualitätskriterien für Familienärzte (lett.)

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