Sollten ähnliche Bilder bald der Vergangenheit angehören? Große Party zum Schulanfang, immer zum 1.September |
Vielleicht waren bisher manche Deutsche, die aus dem Urlaub die "langen Sommerferien" im Norden Europas kennen, neidisch. Auch in Lettland ist es in der Regel so: das Schuljahr endet früh im Juni und beginnt einheitlich am 1.September. Dann ist Platz für sonnige Kindersommerlager in leerstehenden Schulen, und für Lehrerinnen und Lehrer Zeit genug für die wichtigen Zusatzjobs im Tourismus.
Nun aber rührt der neue Minister für Bildung und Wissenschaft, Roberts Ķīlis, an diesen lieb gewordenen Gewohnheiten. Ķīlis, Philosoph und Anthropologe, Co-Autor einiger strategischer Studien zu lettischen Zukunftsthemen und bisher als Ökonomieprofessor an der "Stockholm School for Economics" in Riga tätig, kam als Parteiloser in sein neues Amt, gefördert von Ex-Präsident und Parlamentsauflöser Valdis Zatlers. Nun wird er zeigen müssen, ob er Strategien und Theorien auch in die Praxis umsetzen kann.
Zwischen 181 und 184 Schultagen absolvieren Schülerinnen und Schüler, im internationalen Vergleich gesehen, so doziert es Minister Ķīlis es seinen Landsleuten - in Lettland kommen die Eleven mit 169 Tagen davon. Daher müsse das lettische Schuljahr spätestens ab 2013/14 bereits im August beginnen und bis Mittsommer - also der letzten Juniwoche - verlängert werden, so der ministeriale Vorschlag. Und auch über das Einschulungsalter denkt der Minister nach: bisher kommen lettische Kinder mit 7 Jahren in die Grundschule, zukünftig könnte das schon ein Jahr früher der Fall sein. An einem entsprechenden Pilotprojekt nehmen schon heute 22 Schulen teil, und die Kinder lernen offenbar dort auch schon mit 6 Jahren zufriedenstellend.
Bei den Eltern stoßen die Reformpläne offenbar teilweise auf Zustimmung - anders bei den Lehrkräften. "Wenn das Schuljahr verlängert wird, nehme ich meinen Hut und gehe!" - mit dieser Aussage ließen sich einige in der Tageszeitugen DIENA zitieren. Weiterhin wenden die Pädagogen ein: "Wenn schon Verlängerung, dann nur in eine Richtung" (also entweder früher anfangen, oder später aufhören). Da wirken offenbar noch die teilweise kräftigen Lohnkürzungen nach, die 2009/2010 von der Regierung verordnet und kurzfristig durchgesetzt wurden. Wer als Lehrer/in weder von seinem Lohn leben kann, noch (als engagierter Pädagoge) mit der Arbeit fertig wird, wird sicher zu wenig Geduld gegenüber ministerialen Plänen neigen. "Lehrer werden wegen der langen Ferien" bedeutet hier oft, in die Praxis übersetzt, Zeit für andere Jobs zu haben. Und für Schüler/innen in Examensklassen sei es auch heute schon üblich, "līdz Jāņiem" (bis Mittsommer) in die Schule zu gehen.
Die Bildungsreform ist in Lettland eines der heiß diskutiertesten, immer wieder auf die lange Bank geschobenen, und gleichzeitig eher ohne große Schlagzeilen öffentlich vermitttelten Themen. In Zeiten, wo im internationalen Austausch oft einfach nur nach den PISA-Ergebnissen gefragt wird, ist es offenbar schwierig konkrete Details unter den ökonomisch immer noch schwierigen Rahmenbedingungen durchzusetzen.
Lehrerinnen und Lehrer arbeiten in Lettland oft in "Schichten": "Wer eine Schicht übernimmt, verdient gerade mal 255 Lat brutto, 181 Lat netto auf die Hand," erläutert Mittelschullehrerin Laila Štāle der DIENA (181 Lat = ca 270 Euro). "Davon kann keiner leben, und so gibt es Lehrer, die gleich an mehreren Schulen angestellt sind." Der Lehrerberuf sei gesellschaftlich nicht angemessen anerkannt, und wenn es etwas zu kürzen gäbe, dann eben hier. Aber unwidersprochen bleibt, dass auch am Curriculum gearbeitet werden muss. Und auch Zusammenlegungen einiger Schulen bilden ein Diskussionsthema. Immerhin hat Minister Ķīlis zugesagt die Änderungen nur in enger Abstimmung mit den Eltern- wie auch den Lehrervertretern vornehmen zu wollen. Aber eines hat er auch bereits angekündigt: sollte es ihm nicht möglich sein, Reformschritte umzusetzen, sei er auch zum Rücktritt bereit.
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