28. Dezember 2011

Lettlands verworrene Wirtschaft

Daß Lettland politisch nicht zur Ruhe kommt, wurde in den vergangenen Monaten mehrfach berichtet. Dabei ist der Bevölkerung im Alltag nicht unbedingt bewußt, welche Schwierigkeiten, mit denen der Einzelne konfrontiert wird, auf welche politischen Versäumnisse zurückzuführen sind. Jüngst machten jedoch konkretere Probleme Schlagzeilen.
Mitte Dezember 2011 waren plötzlich die Schlangen vor den Geldautomaten der schwedischen Swedbank lang. Es hatte sich per SMS das Gerücht verbreitet, die Bank habe Zahlungsschwierigkeiten, was den Run auf die Geräte auslöste und in kurzer Zeit zu Versorgungsengpässen mit Bargeld führte. Zahlreiche Automaten besonders an frequentierten Orten waren leer.
Daß eines der großen schwedischen Geldhäuser tatsächlich in Turbulenzen ist, mag der Verbraucher je nach Kenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge für mehr oder weniger wahrscheinlich halten. Im Baltikum und vor allem in Lettland kann die Reaktion auf das Gerücht nur vor dem Hintergrund der jüngeren Vergangenheit verstanden werden. 1995 brach die Banka Baltija zusammen, wo viele Menschen ihr Geld verloren. 2008 wurde die Parex Bank über ein Wochenende handstreichartig verstaatlicht, nachdem es in Folge der Turbulenzen der Finanzkrise zum Abzug vieler Einlagen gekommen war. Und erst kurz vor dem Gerücht über die Swedbank, hatte die Sparkasse Lettlands (Latvijas Krājbanka) ihre Auszahlungen rationiert und schließlich eingestellt.
Die Ursachen waren verschieden. Die Banka Baltija hatte in den 90ern das Geschäftsmodell der Pyramide umzusetzen versucht, welches auch als Schneeballsystem bekannt ist und viele aus der Jugend von Kettenbriefen her kennen. Bereits damals hätte eine effektive Bankenaufsicht den Krach verhindern können. Doch die Politik verfolgte den Versuch, Lettland zu einem Bankenplatz zu entwickeln. Der Chef der Bank, der russische Jude Alexander Lavents, verschleppte später in den Prozeß durch zahlreiche Krankmeldungen, während ein Untersuchungsausschuß des Parlamentes auch nur wenig Licht in die Angelegenheit der verschwundenen 3 Millionen Lat von Latvenergo bringen konnte. Dieser Skandal schloß sich an den Zusammenbruch der Bank durch deren Liquidation an. Bis heute ist unklar, was damals wirklich geschah.
Die Bedeutung der Parex Bank bestand lange Zeit darin, daß sie als einziges größeres Institut ein urlettisches Unternehmen und keine Tochter ausländischer Geldhäuser war. Gemeinsam mit der Sparkasse genoß sie daher das Privileg, die Konten zahlreicher Behörden und staatlicher Einrichtungen zu führen. Die beiden Chefs, die ebenfalls russischen Juden Walerie Kargin und Wladimir Krasovitsky, hatten nach der Unabhängigkeit 1991 mit einer Wechselstuben-Konzession begonnen. Der Untergang dieses Hauses ist sicher einerseits externen Faktoren im Rahmen der weltweiten Finanzkrise geschuldet. Daß aber die Regierungen in den Jahren nach dem Beitritt zur Europäischen Union der einheimischen Spekulationsblase im Immobiliensektor genauso wenig entgegenwirkte wie dem Boom der privaten Kredite, war eindeutig ein hausgemachtes Problem. Die Bank wurde unter dem Namen Citadele nach Auslagerung einer Bad Bank neu gegründet.
Es sei nebenbei erwähnt, daß die ethnische Identität der genannten Banker in der Bevölkerung bereits existierende entsprechende Ressentiments nicht geschmälert hat.
Daß im Herbst 2011 nun auch die Sparkasse in Schwierigkeiten geriet, war allerdings vorwiegend ein importiertes Problem, zurückzuführen auf einen der wichtigsten Anteilseigner, die litauische Snoras Bank, die wiederum dem Russen Wladimir Antonov mit mehr als zwei Dritteln und dem Litauer Raimondas Baranauskas als Hauptanteilseigner gehört. Ersterer war zwischenzeitlich auch als potentieller Retter des angeschlagenen schwedischen Automobilherstellers Saab in Erscheinung getreten. Beiden wurde in Litauen Bilanzfälschung vorgeworfen, die Bank handstreichartig verstaatlicht. Die Krise dieses Geldhauses, aus der die beiden Eigentümer viel Geld abgezogen hatten, so der Vorwurf, führte über die damit verbundenen Probleme der Sparkasse in Lettland zu internationalen Verwicklungen zwischen den Regierungen: Wer ist für was verantwortlich, reagiert wie und wer soll angesichts knapper Kassen für Garantiesummen aufkommen? Bei denen über die europäisch üblichen Summen von 100.000 Euro in Lettland 100.000 Lat im Gespräch waren.
Das alles führte zu einem Kuddelmuddel: Anfangs durfte jeder Kontoinhaber bei der Sparkasse nur noch 50 Lat pro Tag abheben mit der Folge langer Schlangen vor den Geldautomaten. Später beauftragte der Staat die aus der gestrauchelten Parex Bank entstandene Citadele mit der Auszahlung. Diese wiederum Anmeldungen verlangte von den Kunden der Sparkasse, sich im Internet oder wenigstens telefonisch anzumelden, damit es keine Schlangen vor ihren Filialen gäbe. Doch auch das führte zu Problemen, da die Citadele nicht in allen kleineren und größeren Orten über Filialen oder auch nur Geldautomaten verfügt, nicht einmal etwa in der Kreisstadt Kuldīga, deren Bürgermeisterin über die Bereitstellung von Bussen nach Saldus nachdachte. Da bei der Sparkasse viele öffentliche Institutionen Konten führten, gerieten Hochschulen wie auch der öffentliche Nahverkehr in Riga in Liquiditätsprobleme, anstehende Gehälter und Sozialabgaben zu überweisen.
In den Sog dieser Schwierigkeiten geriet außerdem auch die lettische Fluglinie air baltic. Im Herbst mußten verschiedene Flüge gestrichen werden, weil die Finanztransaktionen nicht mehr reibungslos abgewickelt werden konnten. Dies war zwar nicht direkt verbunden mit den diversen Schlagzeilen rund um die air baltic in den Monaten und Jahren zuvor, wurde aber selbstverständlich vor diesem Hintergrund gesehen. Chef der Fluggesellschaft war seit langer Zeit der deutsche Bertold Flick, ein Sproß aus jener Industriellenfamilie, die vielen Deutschen noch aus dem Parteienfinanzierungsskandal der 80er Jahre bekannt sein dürfte. Flick war Mitte der 90er Jahre als Berater bei der Gründung der Airline nach Lettland gekommen, um 2002 zu ihrem Vorstandschef zu avancieren. Dieser Zeitraum fällt zusammen mit der Amtszeit des umtriebigen langjährigen Verkehrsminister Ainārs Šlesers, der Riga zu einem großen Luftkreuz ausbauen wollte, was fraglos in Teilen wenigstens für den baltischen Raum gelungen ist.
Flick war im Laufe der Jahre gewiß ebenfalls sehr umtriebig, hatte neben der Fluggesellschaft mit Logo in der gleichen hellgrünen Farbe unter Verwendung des Begriffes baltic ein Taxiunternehmen gegründet, was zunächst auf heftigen Widerstand der Konkurrenz stieß, und jüngst auch überall in der Stadt Riga Fahrradständer mit ausleihbaren Fahrrädern installiert. In diesem Zusammenhang war es zu einem Konflikt mit der Regierung über das Logo gekommen. Die halbstaatliche Fluglinie air baltic hatte unter Flicks Führung das Logo zeitweilig an die Flick gehörende Firma Baltijas Aviācijas Sistēmas BAS verkauft, die neben dem staatlichen Anteil von über 50% fast die gesamte zweite Hälfte der Anteile an air baltic gehört. Die BAS ihrerseits war erst 2008 an ihre Anteile gelangt, als die skandinavische Fluggesellschaft SAS aus dem Unternehmen aussteigen und Verkehrsminister Šlesers den Anteil für den Staat nicht übernehmen wollte. Die BAS begründete, man habe so der Fluggesellschaft aus einem finanziellen Engpaß geholfen, ein Rückkauf sei jederzeit möglich. Später wurde dann ein Angebot unterbreitet, durch das der Staat seine Aktienmehrheit verloren hätte. Der Verkauf wurde auf politischen Druck schließlich rückabgewickelt.
Daß Berührungspunkte von Wirtschaft und Politik ebenso unumgänglich wie nicht immer einfach sind, ist auch aus anderen Ländern bekannt. Die politischen Turbulenzen in Lettland während der vergangenen zwei Jahrzehnte stehen gewiß in Wechselwirkung mit wirtschaftlichen Interessen, dabei ist nicht immer alles transparent, manches läßt sich nur vermuten. Über die Versäumnisse der lettischen Politik ist viel berichtet worden. Dennoch, im Dezember verabschiedete das Parlament beinahe 20 Jahre später als die Nachbarrepubliken das System einer Steuerklärung. Ein folgender Rechtsstreit mit dem Flughafen Riga unter anderem wegen der Konditionen für den Billigflieger Ryanair führten schließlich zu einem Kompromiß, der mit dem Rücktritt Flicks endete.

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