28. November 2011

Mein Bankomat und ich

In Lettland setzt sich das Nachdenken darüber fort, welche Folgen der Zusammenbruch der "Latvijas Krājbanka" auf andere Wirtschaftsbereiche haben könnte. Es zeigen sich unterschiedliche Folgen, besonders für viele Privatleute ganz unmittelbar. Wer in diesen vorweihnachtlichen Tagen in Ruhe Geld aus seinem Bankomaten ziehen kann, der kann sich schon glücklich schätzen.

Cash-Problem fürs Fluggeschäft
Da die "Krājbanka" (übersetzt = "Sparbank") auch enge Geschäftsbeziehungen unterhielt mit Anteilseignern bei der Fluggesellschaft "Air Baltic" (Baltijas Aviācijas Sistēmas BAS), könnte dies den Betrieb dieses erst kürzlich umstrukturierten halbstaatlichen Unternehmens (Nachfolger des ehemaligen CEO Berthold Flick wurde Martin Gauss) beeinträchtigen. Es heißt BAS benötige erhebliche Finanzmittel für eine notwendige Kapitalerhöhung. Eine Alternative wäre, wenn der lettische Staat als Hauptaktionär dieses zusätzlich für AirBaltic benötigte Geld selbst einbringt - dem steht die eh schon bestehende Kreditbelastung und der allen Bereichen vorordnete drastische Sparzwang entgegen. Auf eine entsprechende Nachfrage lettischer Journalisten soll Verkehrsminister Ronis geantwortet haben: "Und auch wenn der Gaiziņš zum Vulkan wird, werden wir höchst verantwortungsvoll reagieren." ("IR" 23.11.) Es wird nicht mehr ausgeschlossen, dass sich auch die Zusammensetzung der Anteilseigner demnächst ändern könnte.

Vielleicht sollte man einfach mal
alte Wahlplakate aufhängen, um die
Schnelllebigkeit der öffentlichen Stimmungs-
lagen
zu erinnern: hier ein Poster der
"Saskana" aus dem Herbst 2010:
"Alles wird gut!"
Laufbereitschaft bei Rentnern
Ungefähr 80.000 Menschen in Lettland beziehen Renten oder andere Unterstützungsleistungen über ein Konto bei der "Krājbanka". Diese stellten sich in der vergangenen Woche geduldig in die Warteschlangen an den Bankomaten und hoben ihre täglich erlaubte Höchstsumme von 50 Lat ab. Das dies so verhältnismäßig ruhig abgehen kann setzt voraus, dass die dafür notwendigen Gelder bereitgestellt werden können. Zudem müssen alle diese Betroffenen nun in kurzer Zeit Konten bei anderen Banken eröffnen: so wundert es nicht, dass allein die Swedbank innerhalb von nur zwei Tagen (22./23.11) Zehntausend Neukunden begrüßen durfte. "Es wurde beobachtet, dass die Menschen mit dem Bus aus den Dörfern in die regionalen Zentren fahren, um dort Konten zu eröffnen," so erzählte es Swedbank-Vorstandsmitglied Daniils Ruļovs bei "Delfi.lv".
Interessant auch eine Warnung der lettischen Polizei vor allzu unachtsamem Verhalten beim Bargeld-Abheben ("Gehen Sie lieber zu zweit zum Geldautomat, achten Sie auf ihre Handtaschen").

In den Medien und für die Medien
Es könnten verschiedene Medien in Litauen oder Lettland in Schwierigkeiten geraten, die bisher von Geldern (Geschäftsanteilen) der "Snoras" oder "Krājbanka" abhängig waren; in Litauen "Lietuvas Rytas", in Letttland "Telegraf" und "Radio 101".

Lehren, Studieren, Straßenbahnfahren: mit Hindernissen
Doppelte Probleme für den Rigaer Stadtverkehr:
allein im September wurden 6.000 Fahrgäste ("Hasen")
ohne gültigen Fahrschein erwischt - aber auch die
eingenommenen Gelder scheinen
bei der beauftragten Bank nicht sicher zu sein
Die "Tehnische Universität Riga" (RTU) und die "Universität Lettlands" (LU) haben sich an die lettische Regierung gewandt mit der Bitte eine Zwischenfinanzierung zur Verfügung zu stellen, da bereits eingenommene Studiengebühren sich auf momentan nicht verfübaren "Krājbanka"-Konten befinden würden (Delfi.lv vom 28.11.). 1,9 Millionen Lat müssen wohl der LU und weitere 1,36 Millionen Lat der RTU zur Verfügung gestellt werden (als kurzfristiger Kredit), da sonst dort Löhne und Sozialabgaben nicht gezahlt werden könnten. Hierüber beriet die Regierung heute auf einer Sondersitzung.
Ähnliche Sorgen haben auch verschiedene von einzelnen Gemeinden getragene Unternehmen, unter anderem in Skrunda, Dagda, Ugāle und Priekuli. Die größte Summe, 10 Millionen Lat, soll die Hauptstadt Riga auf "Krājbanka"-Konten liegen haben - nach den Worten von Bürgermeister Ušakovs ein kurzfristige Anlage für 2 Monate. Würde die "Krājbanka" geschlossen, kämen auch die städtischen Verkehrsbetriebe ("Rīgas satiksme") in Schwierigkeiten, denn durch verkaufte Tickets eingenommene 2,3 Millionen Lat sollen über die Pleite-Bank gelaufen sein.

Privates und Geschäftliches
Es ist vorerst unklar, was mit verschiedenen Immobilien geschieht, die sich im Eigentum von "Snoras"_Chef Antonovs befinden: 3 Wohnungen in der Altstadt von Vilnius (Wert zusammen ca. 3 Millionen Litas / 870.000 Euro), eine 600qm-Villa im italienischen Nizza (Wert 5 Mill. Euro), und eine Villa in Jūrmala. Es wurde vermutet, dass dies zusammen mit einer Reihe von Luxusautos (allein verschiedene Spyker, Maybach, Porsche, Mercedes und Cayenne sollen in Riga registriert sein) nicht dem Anspruch von Gläubigern unterliegt, sondern als "persönlicher Bedarf" der Bankeigentümer gerechnet werden wird. So hätte sich dann das Stadtbild gestaltet: die Oma steht am Bankomat für ihre 50 Lat täglich an, andere fahren weiterhin ihre verspiegelten Luxuskarossen durch die Stadt. Das war aber vorerst der lettischen Polizei genug der Schande und stellte am vergangenen Sonntag ganz 14 Luxusautos sicher die dem Ex-Bankeigentümer Antonovs gehören sollen (Bericht DIENA).

Nun schon drei Sägen sieht Ēriks Ošs,
Karikaturist der "Latvijas Avize", am Werk
Uneinigkeit zwischen die beiden baltischen
Nachbarn zu bringen: zu Fragen der Grenzen zur
See und der Energieversorgung kommen nun
noch die Auswirkungen des Bankenbankrotts
Verschwundenes
Wer immer die "Krājbanka" in Zukunft verantwortlich leiten muss, wird daran interessiert sein die angeblich aus der Bilanz verschwundenen Gelder wieder zu bekommen. "Delfi Business" berichtete über Berichte u.a. in der Fernsehsendung "Nekā personīga", wonach bereits im Sommer der Versuch unternommen worden sei, Gelder der "Krājbanka" auf Konten kleinerer, mit Vladimir Antonov in Verbindung stehenden Banken zu überweisen. Leidtragender des Bankenkrachs ist unter anderem der lettische Komponist und Ex-Politiker Raimonds Pauls. 700.000 Lat an Einlagen soll er nach Presseberichten auf "Krājbanka-Konten haben, und nur wenige Tage vor Bekanntwerden der Probleme mit Bankchef Priedītis telefoniert haben um ihn zu fragen, ob seine Geld sicher sei. "Alles vollkommen sicher", soll der Banker geantwortet haben.

Einmal über "Los" gehen ...
Wie beim großen Monopoly dürfen sich ab (morgen, Dienstag 29.11.) alle diejenigen fühlen, die als bisherige "Krājbanka"-Kunden Erstattungsansprüche gegen Bank gelten machen wollen. Die lettische Regierung möchte gern gewährleisten, das alle Einlagen bis zu einer Höhe von 100.000 Lat als abgesichert gelten (und damit ein Erstattungsanspruch besteht). Oder ist es eher eine Aktion, die Menschenschlangen vor den "Krājbanka"-Bankomaten weg zu bekommen? Ausgerechnet der PAREX-Nachfolger "Citadeles Banka" soll nun die Erstattungen auszahlen. Um sie zu erhalten, soll angeblich ein gültiges Paßdokument ausreichen; das Ausfüllen langer Anträge soll den Betroffenen möglichst erspart bleiben. - Heute rudert die "Citadele" schon wieder zurück und verlangt von allen, die Erstattungen erwarten, entweder eine Registrierung über die "Citadele"-Webseite, oder vorheriges Anrufen. Also wird es wieder in Lauferei und Schlangestehen enden. Wer selbst keinen Computer zur privaten Verfügung hat wird aufgerufen eine öffentliche Bibliothek zu besuchen, wo ein Internetzugang möglich sei. Der große Haken dabei: falls in dem Moment, wo der Kunde versucht eine Rückzahlung seiner Einlagen zu vereinbaren, kein Termin mehr frei ist, so kann auch diese Vorab-Reservierung offenbar nicht abgeschlossen werden - ohne konkreten Termin keine Auszahlung. Also gilt doch das Motto: bloß keine Schlangen vor unserer Bank.
Über andere Lösungen denkt gegenwärtig die Gemeindeverwaltung von Kuldiga nach. Da dort die "Citadele"-Bank weder über eine Filiale noch über einen Bankomat verfügt, denkt jetzt die Stadtverwaltung über Hilfen für ehemalige "Krājbanka"-Kunden nach. "Wir erwägen, für ältere Leute oder Menschen mit speziellen Bedürfnissen Busse nach Saldus bereitzustellen", sagte Bürgermeisterin Inga Bērziņa gegenüber der Zeitung DIENA. Auch anderen Gemeinden geht es ähnlich, wie zum Beispiel Jaunpiebalga, wo sich die nächste Citadele-Filiale erst im 25km entfernten Madona befindet.

Übrigens: seit heute morgen sind 35.000 Kundinnen und Kunden des staatlichen Stromversorgers LATVENRGO vorübergehend ohne Strom. Das ist allerdings mal ausnahmsweise nicht dem Bankenkrach zuzuschreiben, sondern sind die Folgen von starkem Sturm und Regen übers vergangene Wochenende. 329 Arbeitsbrigaden mit insgesamt 779 Arbeitern seien ständig im Einsatz um die Schäden zu reparieren, weitere 100 Mitarbeiter seien von Partnerfirmen angefordert worden. Langweilig wird also keinem in Lettland - aber stabil ist wohl doch vorerst nur das Gefühl der Unsicherheit. In diesen Tagen öffnet der Rigaer Weihnachtsmarkt: aber wo für Gäste der Stadt vielleicht romantische Gefühle wachgerufen werden sollen - (vielleicht möchten auch die Werbeagenturen wieder streiten ob nun der Weihnachtsbaum in Estland oder in Lettland erfunden wurde?) - haben viele in Lettland mal wieder ganz andere Sorgen.

1 Kommentar:

GG hat gesagt…

Leider erfährt man in Deutschland nur wenig über den Zustand der EU-"Peripherie". Das kleine Griechenland beherrscht medial alles, dabei geht die Welt auch andernorts gerade aus den Fugen. Die Staaten, die sich diesem EU-Giganten auf tönernen Füssen angeschlossen haben, könnten es bald bereuen.