Gehören die drei Staaten Estland, Lettland und Litauen zusammen? Eine Frage, die aus deutscher Sicht immer wieder aufkommt - besonders bei denen, die diese Region gar nicht kennen. Hartnäckig wird in manchen Wetterberichten immer wieder von "Hochs" oder "Tiefs" "über dem Baltikum" berichtet - und auch dazu wer wohl "die Balten" sein könnten, gibt es sehr verschiedene Vorstellungen.
Ein Bild aus alten Zeiten: die "Baltikum Tourismuszentrale" in der Katherinenstraße in Berlin, hier ein Foto aus dem Jahre 2004 |
Ungeachtet der Schwierigkeiten, Gemeinsamkeiten für alle drei Länder und Völker zu finden, gab es in den unsicheren 90er Jahren vor allem das gemeinsame Gefühl vieler Estland-, Lettland- und Litauen-Sympathisanten, dass nur starke Interessenvertretungen helfen könnten, die weitere Entwicklung im Sinne der unabhängigen baltischen Staaten zu sichern. Nur realisiert wurde es selten: lieber erging man sich in historischen Betrachtungen, dass schon die "baltische Entente" in den 30er Jahren ja nie funktioniert habe, und schon innerhalb der einzelnen Ländern Einigkeit über bestimmte Konzepte oder Strategien zu erhalten eine schwierige Sache sei. Es gab eine einzige Einrichtung in Deutschland, innerhalb derer Estland, Lettland und Litauen in Deutschland gemeinsam auftraten: die Baltikum Tourismuszentrale. Ende Juli 2011 wurde sie nun offiziell geschlossen.
Noch gibt es keine offizielle Pressemitteilungen dazu, keine Ministeransprachen, und auch keine offiziellen Gründe für die Schließung. Sicherlich werden fehlende Finanzen als erste Gründe genannt werden, wenn es um Entschuldigungen, Erklärungen und die Präsentation von angeblich besseren Konzepten gehen wird. Aber schon seit Wochen und Monaten wurde die Einrichtung, die auch im Internet durch eine gut sortierte Internetseite präsent ist, eher behandelt wie eine Titanic von der die Eigentümer längst wissen wann sie den Eisberg treffen wird. Wenn bereits Angestellte entlassen werden und Anfragen unbeantwortet bleiben, hegten einige offenbar noch die Hoffnung eine Weile vom schönen Schein leben zu können.
1999 war es die Lettin Anda Šilde, die mit der organisatorischen Unterstützung des Lettischen Zentrums Münster anfing, erste Schritte zu einer gemeinsamen Vorstellung der baltischen Staaten in Deutschland zu gehen. "Go baltic!" war das erste Motto, und es traf damit genau die Zeit der eifrigen Vorbereitungen in Richtung Beitritt zur Europäischen Union. Estland, Lettland und Litauen erlebten die Zeiten eifrigen Aufbaus und vieler Hoffnungen. 2004 schrieb der Berliner Tagesspiegel von "günstigen Mieten und der Signalwirkung", die mehr und mehr touristische Vertretungen nach Berlin lockten. Auch die "Baltische Tourismuszentrale" war 2003 aus dem (lettisch geprägten) Münster (Šilde: "da waren wir weg vom Fenster") nach Berlin-Charlottenburg gezogen, in die "Drehscheibe zwischen Ost und West" (Šilde). Die Informationsarbeit fuhr noch zweigleisig: die Digitalisierung der Medien und der Kommunikation fasste in Deutschland erst zögernd Fuß, und so wurde sowohl eine Internetpräsenz augebaut wie auch gedruckte Broschüren mit sorgfältig zusammengestellten Listen von Reiseanbietern, Fährverbindungen und Reisetipps vertrieben (Auflage: mehrere Zehntausend). Die Rückbennenung auf "Baltikum" erfolgte damals mit der Begründung, die Deutschen würde es nunmal in dieser Form leichter verstehen. Und auf Messen in ganz Deutschland warb das Šilde-Team - jetzt verstärkt mit Mitarbeiterinnen auch aus Estland und Litauen - zunächst einmal um das deutsche Publikum: die große Mehrheit konnte Eesti, Lietuva, Latvija, Vilnius, Tallinn, Reval, Dorpat oder Libau weder selbständig auf Landkarten finden noch regionale, kulturelle oder geschichtliche Besonderheiten auseinanderhalten.
Nun muss Lettland wieder allein für sich werben: wie hier beim Empfang zu 80Jahre Unabhängigkeit im November 2008 in Berlin |
Manche sagen ja, dieser Zustand habe sich bis heute kaum geändert: die Deutschen glauben an die Existenz eines "Baltikums" - gewissermaßen einer Wundertüte unbekannten Inhalts - das sich vor Ort nicht auffinden läßt. Kein Wunder dagegen, dass es immer wieder Deutsche waren, die sich nach 1990 über die "neu errichteten Grenzen" zwischen Estland, Lettland und Litauen beschwerten und generös vorschlugen, hier könne man doch ähnlich den Benelux-Staaten verfahren (die allerdings inzwischen auch nicht mehr als Einheit angesehen werden). Aber die erste Boomphase des "Baltikum"-Tourismus zwischen 2003 und 2008 hat die "Baltikum Tourismuszentrale" wesentlich mit angeschoben. Immerhin wurde erreicht, dass nun wesentlich mehr Deutsche - auch jüngere - in der Nachbarschaft oder im Bekanntenkreis jemand finden werden, die oder der schon mal da war.
2008 erkannte Anda Šilde wiederum rechtzeitig die Zeichen der Zeit und überließ das Büro in der Berliner Katherinenstraße einem (deutschen) Nachfolger. Das war noch vor der Finanzkrise, aber schon damals war allzu deutlich zu vernehmen, was hauptsächlich den Spaß an der Arbeit verdarb: die Uneinigkeiten der drei Staaten untereinander. Zwar eifern alle drei inzwischen auch einem diffusen Wunschbild einer "nordischen" Identität nach - aber zu gemeinsamen Botschaften in Berlin wird es nicht kommen, das kann wohl sicher angenommen werden.
früher Innovation, jetzt nur noch Nostalgie: gemeinsamer Auftritt auf deutschen Reisemessen |
In wenigen Tagen, am 23.August, wird wieder der Jahrestag des "Baltischen Wegs" - der größten gemeinsamen Aktion von Litauer/innen, Lett/innen und Est/innen gefeiert, die es wohl jemals gab, und die (neben den Sängerfesttraditionen) Weltruhm erlangten. Doch der "Baltische Weg" der drei Staaten in Deutschland ist vorerst zu Ende. In Zukunft wird man wieder darauf gefasst sein müssen, dass Agenturen oder Internetpräsenzen, die angeblich unabhängige Reiseinformationen anpreisen, doch eigentlich viel lieber nur ihr eigenes Produkt verkaufen wollen.
P.S.: in eigentümlicher Überstimmung der Daten - passend zum Thema Lettland-Tourismus - wurde in den letzten Julitagen auch das "Hotel de Rome" in Riga geschlossen, das lange als besonders gelungene Geldanlage deutscher Investoren galt. Hier streiten sich nun Hauseigentümer (eine Kapitalgesellschaft), Hotelbetreiber (eine GmbH) und weitere Anteilseigner im Hintergrund um den Weiterbetrieb (siehe Delfi Bizness vom 10.8.11). Offenbar stehen Touristen nun (trotz gebuchter Zimmer) vorerst vor verschlossenen Türen (ohne dass sich bis heute auf der Homepage des Hotels ein Warnhinweis befinden würde). Wer berichtet in Deutschland darüber, oder berät irritierte Kunden? Ob der Mantel des Schweigens immer noch als Kleidungsstück der Imagewerbung taugt?
2 Kommentare:
Latgale heißt auf deutsch Lettgallen, oder irre ich mich da? In jedem Fall pflege ich ausländischen Gästen zu sagen, daß das Ziel meiner Arbeit unter anderem darin besteht zu klären, daß die baltischen Staaten nicht die baltischen Staaten sind - von dem Umstand, daß die Esten sowieso keine Balten sind einmal ganz abgesehen. Als Vergleich ziehe ich Benelux heran, die sind ja auch nicht gleich, sondern nur benachbart.
Es gibt verschiedene Gebräuchlichkeiten. Zitat aus Henrihs Soms "Entstehung der regionalen Identität Lettgallens (Latgale)": "Der moderne Begriff 'Latgale' wurde von den Trägern des lettgallischen Erwachens Anfang des 20.Jahrhunderts eingeführt."
Es gibt also beides. Der aus dem Lettischen ins Deutsche übersetzte Beitrag von Soms verwendet dann im Folgetext "Latgale". Die meisten wissen, was gemeint sein soll.
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