3. Oktober 2010

Lettlands 10. Saeima

Lettland hat gewählt. Das Ergebnis befindet sich im Rahmen des jüngst unternommenen Versuches einer Prognose und weicht davon in einer Form ab, die von vielen Beobachtern als positive Entwicklung gewertet werden könnte. Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zur vorherigen Wahl 2006 trotz aller Enttäuschung über die politische Elite stabil geblieben und das Parteiensystem konsolidiert sich. Eine Fraktion weniger zieht in die Saeima ein. Darüber hinaus ist gelungen, was im post-sozialistischen Europa selten vorkommt: eine Regierung wurde im Amt bestätigt, mehr noch, aus einem Minderheitsbündnis wurde eine Koalition mit stabiler Mehrheit. Bereits 2006 hatte ein Minderheitsbündnis einen Wahlsieg errungen, der jedoch zu gering ausgefallen war, um auf einen weiteren Partner verzichten zu können.

Die größten Abweichen von der Prognose liegen im überraschend starken Abschneiden der Einigkeit, die damit deutlich vor dem Harmoniezentrum liegt, das viele Beobachter als Sieger gesehen hatten. Außerdem ist die russische Fraktion Für die Rechte des Menschen in einem integrierten Lettland überraschend deutlich an der 5%-Hürde gescheitert. Die Union von Grünen und Bauern hat entgegen den kurz vor der Wahl deutlich schlechteren Prognosen entsprechend früherer Vermutung abgeschnitten. Ursächlich dafür ist wohl eine große Zustimmen von Rentnern, denen die Einigkeit nicht viel Gutes versprach und die Tatsache, daß dieser meist gesichtslosen Partei wohl viele Unentschlossene schließlich ihre Stimme gaben.

Bemerkenswert ist, daß erstmals angesichts des Ergebnisses gleich mehrere Bündnisse aus nur zwei Partnern rechnerisch möglich. Auch der Sieg der regierenden Koalition ist so groß ausgefallen, daß die zwei größeren Partner Einigkeit und Union von Grünen und Bauern auf den dritten, kleineren, das Parteienbündnis der Für Vaterland und Freiheit, verzichten könnten.

Die Herausforderung der nächsten Tage besteht nun in den Verhandlungen, denn es sind rechnerisch viele Bündnisse möglich und aus politischen Gründen mitunter denkbar. Die Einigkeit hat mit ihrem Vorsprung von mehreren Prozentpunkten zweifelsohne einen Führungsanspruch, der nach Bekundungen des Präsidenten der letzten Tage aus der Rigaer Burg offensichtlich unterstützt wird. Allein der Präsident hat das Recht einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu berufen. Für eine Fortsetzung der Koalition spricht auch, daß der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Union von Grünen und Bauern dies als den logischsten Schritt bezeichnete und auch die Minister seiner Partei bereits angekündigt haben, ihre Arbeit gerne fortsetzen zu wollen.

Der Schlüssel liegt nun bei der Union von Grünen und Bauern. Diese Partei war in den vergangenen zwanzig Jahren eine der am häufigsten in Regierungskoalitionen vertretenen Parteien. Hinter ihr steht der einflußreiche Bürgermeister von Ventspils, Aivars Lembergs, der als ein wichtiger Oligarch in Lettland gilt. Er könnte auch gemeinsame Sache mit Für ein gutes Lettland von Andris Šķēle und Ainārs Šlesers machen wollen. Letzterer zeigte sich gestern am Wahlabend im Fernsehen deutlich enttäuscht vom schlechten Abschneiden seiner Liste mit nur rund acht Prozent. Ein solches Bündnis könnte aber nur mit Unterstützung des „russischen“ Harmoniezentrums an die Macht kommen, das von den „lettischen“ Parteien seit zwanzig Jahren als Partner abgelehnt wurde. Die gestiegene Popularität dieser Partei hat jedoch bereits im Wahlkampf dazu geführt, daß die „lettischen“ Parteien eine Zusammenarbeit nicht mehr ausgeschlossen haben. Damit bleibt abzuwarten, wem das Harmoniezentrum welches Angebot macht, um den lang gehegten Wunsch nach Machtbeteiligung zu erfüllen und inwieweit die lettischen Partner ihrer Wählerschaft ein solches Bündnis verkaufen können. Sicher ist, daß die um die Neue Zeit herum entstandene Einigkeit aus politischen Kräften besteht, die schon in früheren Regierungskoalitionen auf Ablehnung gestoßen waren.

Außerdem bliebe noch eine Zusammenarbeit des noch nie an der Macht beteiligten Harmoniezentrums mit der Einigkeit, die ob ihrer politischen Kräfte als unbelastet in Korruptionsfragen gilt. Damit wären erstmals sämtliche grauen Eminenzen von der Macht in Lettland entfernt. Die Partner hätten auch zu zweit eine Mehrheit. Im Wege steht einer solchen Koalition neben einer Absage an das siegreiche Bündnis die Frage, wie die Wählerschaft der Einigkeit auf eine Zusammenarbeit mit der „russischen“ Partei reagieren würde. Außerdem dürfte auch innerhalb des Einigkeit Bündnisses Widerstand zu erwarten sein. Die Koalition bräuchte also eine große Mehrheit, um gegen abspringende Abgeordnete immun zu sein. So groß fällt der Sieg der beiden Parteien jedoch nicht aus.

Alle diese Erwägungen wie auch die Tatsache, daß es sich bei allen politischen Kräften, die den Einzug ins Parlament schafften, um Parteienbündnisse handelt, läßt vermuten, daß die Fraktionen, so wie sie sich jetzt konstituieren, kaum eine vier Jahre währende Legislaturperiode bestehen werden. Und damit ist auch vorprogrammiert, daß eine Regierung Dombrovskis mit den bisherigen Partnern als erste nach der Unabhängigkeit vier Jahre regieren kann. Auf der anderen Seite scheint es aber angesichts des Wahlergebnis wenigstens als erst mal seit zwanzig Jahren möglich.

1 Kommentar:

moevenort hat gesagt…

ein nicht ganz unwichtiges Detail wurde bei der Wahlananlyse nicht erwähnt. So schreibt standart.at:

"SS-Veteran ins Parlament gewählt
Rechtsextreme dominieren nun innerhalb des Nationalisten-Bündnisses"

Quelle: http://derstandard.at/1285200030709/SS-Veteran-ins-Parlament-gewaehlt

Außerdem wird erwähnt, dass es sich dabei offensichtlich nicht um den einzigen Abgeordneten mit rechtsextremistischen Weltbild handelt, sondern offenbar eine ganze bisherige und wahrscheinlich auch künftige Regierungspartei immer weiter an den rechten Rand gerückt ist. Leider wird von der politischen Kultur her in den baltischen Staaten darauf oft mit Gleichgültigkeit und nicht mit Widerstand reagiert. In diesem Fall könnte Lettland von der Entwicklung der Zivilgesellschaft und ihrer doch inzwischen ungleich höhrern Sensibilität gegenüber solchen Entwicklungen durchaus etwas lernen.


Quelle: http://derstandard.at/1285200030709/SS-Veteran-ins-Parlament-gewaehlt