Als in der deutschen Presse erstmals der Robin Hood von Lettland, der sich selber Neo nennt, erwähnt wurde, war dieses Thema vor Ort eher online aktuell. Inzwischen wird es jedoch kaum jemanden geben, der noch nicht von Neo gehört hat, über den inzwischen sogar das Europamagazin der ARD berichtete.
Trotzdem ein kurzer Rückblick: Zunächst wurde nur über ein Leck in der Datenbank des lettischen Finanzamtes berichtet, später über Nero, der im Internet die Einkommen zahlreicher Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst mit Namen veröffentlicht. Der Name Neo bezieht sich auf den Helden der Matrix-Filme; seine Gruppe nennt er 4ATA. Diese Abkürzung steht für “Ceturtās atmodas tautas armija”, auf deutsch die Volksarmee des vierten Erwachsens. Mit Atmoda, Erwachen, benennen die Letten die nationalen (nicht nationalistischen) Bewegungen, die seit Ende des 19. Jahrhunderts die eigene Identität durch das Entstehen bildender Künste förderten, was schließlich in die staatliche Unabhängigkeit mündete. Ende des 20. Jahrhunderts ging es um die Unabhängigkeit von der Sowjetunion.
Es besteht kein Zweifel, daß die Tätigkeit von Neo juristisch nicht in Ordnung ist, moralisch aber wird sich in Lettland kaum jemand finden, der sein Handeln nicht rechtfertigen würde – eine Parallele zu Deutschland und die Banken-CDs.
Hintergrund ist nicht nur die Enttäuschung über die politische Elite des Landes, sondern die Unverfrorenheit für lettische Verhältnisse exorbitant hoher Gehälter. Dazu einige Ausführungen:
Wenn der Präsident mehr als 3.000 LVL verdient, das sind rund 4.500 Euro, dann kann zur Not auf ein gern auch in Deutschland diskutiertes Argument zurückgegriffen werden, daß kompetente Menschen in die Politik nur mit konkurrenzfähigen Bezügen gelockt werden können. Da ist auch sicher was dran. Wenn aber die Mitarbeiter des Präsidialamtes durchschnittlich 844 LVL erhalten, während zahlreiche Menschen entweder ihren Job verloren haben oder ihnen aber wenigstens das Einkommen teilweise drastisch gekürzt wurde – 20 bis 40% sind nichts Ungewöhnliches im Rahmen der inneren Abwertung, welche die Regierung realisierte, um die Landeswährung nicht überhaupt abwerten zu müssen – dann ist Empörung keine Überraschung.
Zum Vergleich, der offiziell staatlich festgelegte Mindestlohn stieg in den vergangenen Jahren gemeinsam mit den Durchschnittseinkommen schnell und beträgt derzeit 180 LVL, also knapp 300 Euro. Der Durchschnittverdienst im Präsidialamt ist damit mehr als vier Mal so hoch, wobei er ungleich verteilt ist. Die Pressesprecherin erhielt 2.237 LVL.
Wie wenig 300 Euro in Lettland sind, darüber ließe sich trefflich streiten. Gewiß aber ist es mehr als in Deutschland; und von Verhungerten wurde in Lettland nicht berichtet. Trotzdem ist ein Gehalt von mehr als 2.000 LVL so viel Geld, daß es sich im Alltag schwerlich ausgeben läßt, selbst wenn der Betreffende ein Auto besitzt. Die Summe ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß, wenn auch kein Hunger, Armut in Lettland bereits vor der Krise existierte und jetzt viele Menschen betroffen sind, die sich noch vor wenigen Monaten zum Mittelstand zählen durften. Es gibt in Lettland nicht nur Tafeln wie in Deutschland, es gibt Werbekampagnen, halb Lettland nicht hungrig zu Bett gehen zu lassen.
Doch das Präsidialamt ist damit kein Einzelfall, Neo konnte klären, daß die Lieblingszahl im Öffentlichen Dienst 1.000 ist, aber es sind gerne auch fast 2.000. Darüber hinaus wurden viele Mitarbeiter befördert, so daß mancherorts jeder sein eigener Abteilungsleiter war, ohne noch untergebene Mitarbeiter zu leiten. In den letzten Jahren hatten die Regierungen den bürokratischen Apparat im Gegenteil etwa zu Estland ausgebaut. Ein Grund dafür war die Schaffung von Arbeitsplätzen. Im Rahmen der Finanzkrise wurde dieses Rad gehörig in die Gegenrichtung gedreht, Arbeitsplätze wurden gestrichen und ganze Behörden aufgelöst und ihre Zuständigkeiten auf andere verteilt.
Neo als Held zu feiern, wäre sicher falsch. Die Frage, ob die Ermittlungsbehörden “gestohlene” Daten für die Überführung von Tätern verwenden darf, wurde auch in Deutschland breit diskutiert. Aber als Parallele zu Peer Steinbrücks Kavallerie, welche Steueroasen inzwischen sehr unter Druck gesetzt hat, ist die politische Elite jetzt aufgefordert, für mehr Transparenz zu sorgen. Im Herbst sind Parlamentswahlen in Lettland.
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