Riga leistet sich immer noch prestigeträchtige Schaukämpfe in der parlamentarischen Arena des Stadtrats. Offenbar denken sich einige der Beteiligten: besser eine Mücke zum Elefanten machen als umgekehrt. Da es kaum noch "Herzenssachen" im politischen Alltagsgeschäft gibt - meist geht es schlicht um Geld, Macht und Einfluß - zauberte man ein Thema aus der Westentasche, das nun wieder Lettinnen und Letten von Alsunga bis Kanada zu emotionalen Äußerungen zur Sache bewegt.
Dabei geht es um das Alltagsgeschäft von städtischer Politik: um die Änderung eines Straßennamens.
Zigfrīds Anna Meierovics wurde am 6.2.1887 als Sohn eines jüdischen Arztes in Durbe geboren - damals noch Teil der so- genannten "baltischen Ostsee- provinzen" des russischen Zarenreiches. Aufgrund des Todes seiner Mutter, und einer schweren (psychischen) Krankheit seines Vaters von seinem Onkel erzogen, der Lehrer war, arbeitete er vor dem 1.Weltkrieg zunächst als Versicherungsfachmann, Buchhalter und bei Kreditgesellschaften (den 2.Vornamen "Anna" gab ihm übrigens sein Vater, in Gedenken an die verstorbene Mutter). Im Krieg in verschiedenen Aufgaben auf russischer Seite tätig (teilweise für nach Osten geflohene lettische Kriegsflüchtlinge zuständig), kehrte er 1917 nach Riga zurück. 1919 nahm er an der Verteidigung Rigas gegen die "Bermondt-Truppen" teil - da war er schon der erste Außenminister der jungen lettischen Republik geworden. Er blieb es bis 1921. Zweimal war er danach noch selbst Regierungschef. Er starb plötzlich durch einen Autounfall am 22.August 1925.
90 Jahre Lettland - Suche nach SymbolenNach dem plötzlichen Tod von Außenminister Meierovics wurde 1929 der Basteja Boulevard nach ihm benannt - bis 1940, der Besetzung durch die Rote Armee (und bis heute). Sowjetische Anklänge hat der bisherige Name nicht - allerdings rechnen manche die Umbenennung 1929 auch zu den Bemühungen, allzu viele Anklänge an die ehemals deutsch gesprägte Stadt wegzuradieren (das Wort "bastejs" ist eher dem deutschen Wort "Bastei" nachempfunden, in lettischen Wörterbüchern wird man eher "bastion" für die gleiche Bedeutung finden).
Nun jährt sich bald der 90-Jahrestag der Ausrufung der unabhängigen lettischen Republik am 18.11.1918. Am 21.Juli 2008 stimmten nun die Abgeordneten des Stadtrats Riga mit 34 Ja-Stimmen (11 Nein, 8 Enthaltungen). Innerhalb von drei Monaten soll die Umbenennung nun vollzogen werden - allerdings dürfen für eine gewisse Zeit noch beide Bezeichnungen verwendet werden (z.b. für die Postzustellung). Prominenter Befürworter dieser Initiative war Staatspräsident Valdis Zalters - einige Pressevertreter zitieren etwas ironisch, dass er dieses Thema sogar zu einem der "wichtigsten Ereignisse des Jahres" aus seiner Sicht habe machen wollen (so viel zum Thema Symbolik ...).
Vielsagend, dass wieder einmal die Idee der Straßenumbenennung mit dem Nacheifern nach dem nördlichen Nachbarn begründet wird: "Kürzlich wurde bekannt," schrieb das lettische Außenministerium schon vor einigen Wochen in einer Stellungnahme, "dass die Esten den Flughafen Tallinn nach ihrem ehemaligen Präsidenten Lennart Meri benennen wollen." In Lettland dagegen sei die Erinnerung an die ehemaligen Staatsmänner nicht so stark ausgeprägt, bedauert es der heutige Amtsnachfolger Māris Riekstiņš. Wohl gäbe es inzwischen Denkmäler zu Ehren der ehemaligen Staatspräsidenten Kārlis Ulmanis und Jānis Čakste, Straßenbenennungen zu Ehren des Schriftstellers und Folkloristen Krišjānis Valdemārs wie auch des "Vaters der Dainas", Krišjānis Barons. Aber: wenn in Paris eines de Gaulle oder Napoleon gedacht werde, in Wien Metternich, und in Berlin Bismark - dann müsse es auch als ebenso angebracht gelten, wenn Lettland seines ersten Außenministers gedenke.
Diskussion um Kosten und Sinnhaftigkeit
Es gibt einflußreiche Befürworter der Umbenennung. Dazu gehört die weltweite "Vereinigung der freien Letten" (Pasaules brīvo latviešu apvienība PBLA), deren Vorsitzender in den Jahren 1990-93 Gunārs Meierovics war, der Sohn des ehemaligen Außenministers. Bürgermeister Jānis Birks dagegen konnte sich eher für einen "Meierovics-Flughafen" in Riga erwärmen, steht damit aber bisher allein. Eine Umfrage der Agentur SKDS unter den Einwohnern Rigas dagegen zeigte, dass nicht weniger als 79,2% der Befragten GEGEN die Umbenennung sich aussprachen (NRA 16.7.08). Bemerkenswert dabei, dass der Anteil der Umbenennungs-Gegner unter denjenigen mit lettischer Staatsbürgerschaft mit 84,6% sogar noch höher war. Etwas mehr Zustimmung soll es lediglich bei den über 55-Jährigen sowie bei staatlich Angestellten gegeben haben.
Ein gewisser Gewöhnungsfaktor an den "Bastei-Boulevard" mag also auch eine Rolle spielen. Treffen sich doch auch die Liebespaare gern am "Basteiberg", Geschäftsleute schufen inzwischen eine "Bastei-Passage", und auch die Gedenksteine an die bei den Januarunruhen 1991 zu Tode gekommenen (so der Filmemacher Andris Slapiņš) sind hier in unmittelbarer Nähe zu finden.
Wer sich für die genauen historischen Details interessiert, muss aber schon beachtliche Kenntnisse über die sehr bewegten zeitgeschichtlichen Epochen hinweg haben. Argumente der Umbenennungsgegner unter den Stadtratsabgeordneten etwa, der "Basteja Boulevard" habe einen so schön poetischen Namen, und "viele Dichter schon zu ihren Werken angeregt", zählen sicher in diese Kathegorie.
Andere betonen akribisch die Entwicklung dieses Straßen- abschnitts. Pēteris Bolšaitis, Vorstands- mitglied beim lettischen Okkupa- tions- museum, zählte in einem Beitrag für die Tageszeitung DIENA (15.4.08) einige der Fakten auf:
Um das Jahr 1858 sei der Name Bastei-Boulevard nach dem Niederreißen der Stadtmauern geschaffen worden. In den 20er Jahren wurde es dann teils zum Aspāzijas Boulevard, der andere Teil zum Meierovica-Boulevard. 1941 wurde die Bezeichnung zunächst zum "Sowjet-Boulevard", um dann doch ganze neun Jahre lang "Aspāzijas Boulevard" zu heißen. Offenbar erinnerte das dann aus bolschewistischer Sicht zu sehr an "die Vergangenheit Lettland", und der Name "Sowjet-Boulevard" kehrte zurück bis zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit Lettlands bourgeoise- und der erneuten Teilung in "Basteja-" und "Aspāzijas-Boulevard". Ein Argument, dass Straßennamen doch viel weniger "historisch" sind als von Zeitgenossen oft angenommen.
Übrigens muss die nun erfolgte Umbenennung noch eine technische Klippe überwinden. Bisher besagen die städtischen Bestimmung, dass Straßennamen nicht mehr als 30 Stellen haben dürfen. Im Falle einer Bezeichnung "Zigfrīda Annas Meierovica bulvāris" wären dies 34.
Was die deutsche Geschichtsschreibung angeht, so sollte nicht vergessen werden, dass die erste (provisorische) Niederlassung der Deutschen Botschaft in Riga (nach Wiedererlangung der lett. Unabhängigkeit) Anfang der 90er Jahre ebenfalls in dieser Straße ihren Sitz hatte: in einem Haus des bisherigen Basteja Bulvāris.
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