Es scheinen die Zeiten der Konsolidierung angebrochen zu sein in der baltischen Region. Auch im nördlichen Nachbarland Lettlands übersteht ein Regierungschef eine Wahl - ohne dass die Wahlbeteiligung dramatisch sinken würde.
In Lettland hat die regierende Koalition aus Volkspartei (Tautas Partija), Vaterlandspartei (Tevzemei), Erster Partei / Lettischer Weg (Pirma Partija / Latvijas Cels) und Grünen & Bauern (Zaļo un Zemnieku savienība) inzwischen erfolgreich einen neuen Bürgermeister von Riga installiert - durch ein Mißtrauensvotum, unter geschickter Ausnutzung individuell unterschiedlicher Interessenlagen bei Abgeordneten anderer Parteien. Der "Neue" ist dennoch der Alte - Jānis Birks rückte vom Sessel eines Stellvertreters ins höchste Verwaltungsamt der lettischen Hauptstadt auf.
Stühlerücken auf Lettisch
Stärker als aus deutschen Verhältnissen gewohnt, sortiert so ein neuer Chef auch die untergeordneten Linen neu: die Stadtratsmehrheit wählte auch Ēriks Škapars aus dem Amt des Geschäftsführers der Stadtverwaltung, und hob Andris Grīnbergs, ehemaliger Parteikollege von Bürgermeister Birks und zwischen 1994 und 2001 schon einmal auf diesem Posten (inzwischen parteilos), in seine neue Funktion. Ein Amt, das immerhin 2400 Lat Monatseinkommen bringt (ca. 3600 Euro). Ebenfalls eine "Belohnung" gab es für die lettische sozialdemokratische Arbeiterpartei LSDSP, deren bisher in der Opposition befindlichen Stadtratsabgeordneten bei der entscheidenden Abstimmung gegen den bisherigen Bürgermeister Aksenoks ins Lager dessen Gegner übergelaufen war: mit Jānis Dinēvičs wurde ein LSPSP-Mann ins Bürgermeister-Stellvertreteramt berufen.
Ein wenig wird schon gewitzelt um den beruflichen Werdegang von Birks in Zusammenhang mit seinem jetzigen Amt: als Anästhesist (die lettische Bezeichnung erinnert stark an "Reanimatör") und Mitglied einer natioalkonservativen Partei wundert es ja kaum, dass die Tendenz besteht, alte Verhältnisse wiederzubeleben.
Stadtdirektor Grīnbergs bemüht sich bereits nach Kräften, diesen Eindruck zu bestärken: keinesfalls, so am 6.März gegenüber der lettischen Presse (LETA), werde am 16.März der Platz rund um das Freiheitsdenkmal eingezäunt werden. Ein Zugeständnis gegenüber rechtsgerichteten Gruppen? Einige Jahre lang hat sich der 16.März in Lettland nun eingeschliffen als "Gedenktag" an die lettische SS-Legion, mit unterschiedlichen Vorzeichen. Zuletzt waren es nur noch ritualhafte Reflexhandlngen zweier politradikaler Gruppen gewesen - die ewig wiederholten Parolen, das ganze heutige Lettland als "faschistisch" zu deklarieren, und die ebenso formelhaften wie selbstgerechten Thesen, die lettischen SS-Leute hätten nichts anderes als ein freies Lettland im Sinn gehabt. Voraussichtlich ziemlich vergeblich hatte die lettische Präsidentin Vīķe-Freiberga versucht, klar Stellung zu beziehen, in dem sie den 11.November den Letten als nationalen Gedenktag zu bevorzugen nahelegte (Lāčplēsis-Tag - an dem 1919 Riga erfolgreich verteidigt und damit die lettische Unabhängigkeit abgesichert wurde).
2006 war der 16.März in Riga eher ein Zeichen der staatlichen Hilflosigkeit, denn es wurden angebliche "Bauarbeiten" vorgeschoben, um das gesamte Gelände einige Tage eingezäunt zu lassen. Das erzeugte neuen Ärger: schlichtes Blumen Niederlegen am Freiheitsdenkmal, seit den Tagen der Unabhängigkeitsbewegung in den 80er Jahren eine Art "Sakrileg" für alle Letten, die sich mit ihrem Land und dessen Schicksal verbunden fühlen, wurde an diesem Tag ebenfalls zu einem Hindernislauf.
Den Slogan von den "neue Zeiten" zum alten Eisen?
Was kommt nach dem Reinemachen im Rigaer Stadtrat? Man sollte meinen, so langsam würden die anstehenden Präsidentschaftswahlen die politische Diskussion noch mehr bestimmen. Doch wer sich überhaupt angesichts der als eigensüchtig und nur materiell orientiert verschriehenen Politiker überhaupt für die Ränkespielchen interessiert, regiestriert erstmal eine längere Reihe von Verwerfungen durch die Neuwahl des Bürgermeisters.
Von Aksenoks Partei "Janais Laiks" ("Neue Zeit" - JL) sagten sich drei Stadtratsabgeordnete los und verstärkten damit Gerüchte, diese um den exzentrischen ehemaligen Bankchef Repše versammelte Partei zeige Auflösungs- oder Spaltungserscheinungen. Diesen Eindruck verstärkten zuletzt die führenden Köpfe selbst: Olafs Pulks, JL-Fraktionschef im Stadtrat, hatte schon vor der entscheidenden Abstimmung um das Bürgermeisteramt die These geäussert, er könne sich auch eine andere Person aus seiner Partei als Bürgermeister vorstellen. Der JL-Parlamentsabgeordnete und Ex-Minister Kārlis Šadurskis lancierte der Presse, aus Kreisen der Parteimitglieder würde ein Verlangen nach einem Auswechseln der Parteispitze laut. Kandidat wäre da Ex-Wirtschaftsminister Krišjānis Kariņš, ein ähnlich wie der jetzige estnische Präsident Ilves in den USA geschulter Neoliberaler. Repše seinerseits, nicht faul, schießt zurück und behauptet, seiner Partei drohe der finanzielle Bankrott. Wer kann da Schuld sein? Der gegen Repše's Willen gewählte gegenwärtige Generalsekretär, so Repše selbst. Wer kann die Situation retten? Nur Repše selbst, und seine Vertrauensleute - so verkündt der (Noch-)Parteichef. Wer möchte da Parteimitglied und Abstimmungsmaschine sein?
Eher schlecht stehen auch die Chancen der ehemaligen Aussenministerin Sandra Kalniete (siehe Foto) als Präsidentschaftskandidatin. Schließlich wird der nächste Präsident - oder die nächste Präsidentin - nicht vom Volk, sondern weitgehend von Politikern der verschiedenen Parteien gewählt. Und wer wird schon eine Abgesandte einer so eindeutig auf dem "absteigenden Ast" befindlichen Gruppierung in ein so hohes Amt heben? Parteien, die sich wie die JL als "rechts der Mitte" verstehen, gibt es in Lettland sowieso mehr als genug.
Auch die nächsten wichtigen Themen der lettischen Politik, so zum Beispiel die offenbar jetzt doch bevorstehende Unterzeichnung eines Grenzabkommens mit Russland, werden von der "Glättung" der Interessen nach dem "Putsch" gegen Rigas Bürgermeister abhängen. Ebenso die Präsidentschaftswahlen. Trotz stabiler Regierung lassen sich die lettischen Polit-Egomanen also nicht von ihren Spielchen hinter den Kulissen abbringen.
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