3. Februar 2006

Wechselspiel zweier starker Frauen

Bekannt waren sie sowieso, die beiden interessantesten Persönlichkeiten der lettischen Politik. Sandra Kalniete war Aussenministerin der Republik Lettland, dann Kandidatin zur EU-Kommissarin, und schließlich ist die Tochter einer von den Sowjetbehörden in der Stalinzeit nach Sibirien verbannten Lettin auch Buchautorin.
Vaira Vike-Freiberga prägt als Präsidentin ihres Landes wesentlich das Image Lettlands in der Welt. Fast durchweg in positiver Art und Weise, muss man zugeben. Nun ist sie als eine von sechs ernsthaften Kandidaten für die Nachfolge Kofi Annans als UN-Generalsekretär genannt. Kalniete und Vike-Freiberga - werden sie also bald den Platz tauschen im obersten Amt der lettischen Republik?

Sandra Kalniete tat kürzlich etwas, dessen sie sich in ihrer bisherigen politischen Karriere immer enthalten hatte: sie trat ín eine Partei ein. Am 30.Januar konnte die rechtskonservative "Jaunais laiks" (Neue Zeit) den Beitritt des neuen Mitglieds verkünden. "Zur Zeit ist das Wohlergehen Lettlands das wichtigste Anliegen, und die kommenten vier Jahre werden entscheidend sein für die Zukunft unseres Landes", sagte Kalniete anläßlich einer Presseveranstaltung zum Anlaß ihres Rückkehrs in die aktive Politik.
Für die lettische Presse gilt Kalniete aber - neben ihrer Funktion als Wahlkampf-"Lokomotive" für die lettischen Parlamentswahlen im kommenden Herbst - auch als Präsidentschaftskandidatin. Beinahe ließe sich sogar sagen, Kalniete wolle sich nun selbst auf den Präsidentenstuhl setzen: die lettischen Parteien sind es im wesentlichen, welche sich bei der Präsidentinnen-Wahl auf eine Kandidatin einigen müssen, und je überzeugender ein Wahlsieg bei den Parlamentswahlen ausfallen würde, desto überzeugender die Unterstützung für die Präsidentschaftskandidatin.

Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt setzte also "Jaunais Laiks" nach dem Abgang des oft unkalkulierbaren Einars Repse (Rücktritt als Verteidigungsminister) auf ein neues, starkes Zugpferd im Wahlkampf, und Kalniete gilt als starke Kandidatin für die Nachfolge von Vaira Vike-Freiberga. Wie wird sich zum Beispiel der Koalitionspartner, die "Tautas Partija" (Volkspartei) von Regierungschef Kalvitis in dieser Frage verhalten? Medien wie "Neatkariga Rita Avize" (NRA) nennen auch den gegenwärtigen Aussenminister Pabriks als möglichen Präsidentschaftskandidaten. Aus gleicher Quelle ist zu vernehmen, dass es vielleicht auch zu einem "Revancekampf" kommen könnte, sollte die Partei der Grünen und Bauern erneute die Parlamentspräsidentin Ingrida Udre auch als Präsidentschaftskandidatin nominieren. Vor zwei Jahren noch hatte ein kurzzeitig im Amt befindlicher grüner lettischer Ministerpräsident die als EU-Kommissarin vorgesehene Kalniete zu Gunsten von Udre verdrängt - eine Entscheidung, die für einigen Wirbel sorgte. Aus dem Konflikt ging schließlich ein Mann, Andris Piebalgs, als lettischer EU-Kommissar hervor.

Als Präsidentschaftskandidaten werden inzwischen auch weitere Männer der lettischen Politikszene genannt, aber sie alle scheinen gegen eine starke Sandra Kalniete keine guten Chancen zu haben: die drei Europaparlamentarier Guntars Krasts, Ģirts Valdis Kristovskis und Georgs Andrejevs, ja sogar EU-Energiekommissar Piebalgs Name wurde auch für diesen Posten ins Spiel gebracht. Der gegenwärtige Direktor des lettischen Instituts und ehemalige lettische Botschafter in den USA, Ojars Kalnins, wird ebenso genannt wie die beiden Juristen Egils Levits un Anita Usacka. Kreisen ausserhalb der Parteienszene wird die Benennung der Schriftstellerin Mara Zalite zugetraut.

Der weitere Verlauf der Karriere der jetzigen Präsidentin, Vaira Vike-Freiberga, wird sich voraussichtlich im kommenden Juli entscheiden, so vermutet zum Beispiel der lettische Politologe Ojars Skudra. Dann werden sich die G-8-Staaten in St.Petersburg versammeln, und dort werde erkennbar sein, ob China und Russland sich zu einer Unterstützung der Kandidatur Vike-Freibergas als Nachfolgerin von UN-Generalsekretär Kofi Annan durchringen können.

Zu einem interessanten Zusammentreffen kam es beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos: drei potentielle Kandidaten für das Amt des UN-Generalsekrärs (offizielle "Bewerbungen" gelten als unfein) trafen anläßlich einer Podiumsdiskussion aufeinander (ausser Vike-Freiberga auch Ban Ki-Moon aus Südkorea und Jayanthan Dhanapala aus Sri Lanka). Um die Zukunft der Vereinten Nationen, deren Refermierung dringend ansteht, müsse sich auch sein Nachfolger keine Sorgen machen, so Annan selbst. "Ich verstehe, einige der auf diesem Podium vertretenen Personen hätten Interesse an dem Posten," so Annan vor versammelter Presse mit augenzwinkender Geste. (LETA)

Jedenfalls hat die internationale Presse längst begonnen darüber zu spekulieren, wer das Rennen machen könnte. Die Londoner TIMES sieht "die UN unter Druck, eine Frau zu wählen," wobei aber auch Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aus Burma und Gro Harlem Brundlandt aus Norwegen genannt werden. Ähnliche Forderungen werden auch im deutschen Nord-Süd-Forum diskutiert.
"Die USA wollen einen zahmen Osteuropäer", befürchtet dagegen die
Berliner Zeitung, und spielen damit auf US-amerikanische Interessen an.
"So oder so," äusserte sich aus lettischer Sicht der politische Kommentator der Zeitung DIENA, Aivars Ozolins. "Ob nun Vike-Freiberga den Posten bei der UN bekommt oder nicht, sie hat aber bereits jetzt die Möglichkeiten lettischer Politik auf internationaler Bühne erheblich erweitert."

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