Besser als die Prognosen
Wenig Chancen auf Medaillien - das attestierten die meisten lettischen Medien vor Beginn der olympischen Winterspiele ihren eigenen Athleten. Gunars Jekabsons, Sportjournalist beim lettischen Radio, wird nun stellvertretend für seine Medienkollegen für solche leichtfertig pessimistischen Aussagen büßen: er verlor nach der von Rodler Martins Rubenis errungenen Bronzemedaille eine Wette und wird sich die Haare rot färben müssen....
Lettische Rodellegenden
Ausgerechnet die Rodler! Das werden sich vielleicht die deutschen Fans gedacht haben, die auf Rodel-Oldie Georg Hackl oder seine beiden anderen deutschen Mitrodler gehofft hatten. Martins Rubenis heißt der erste lettische Medailliengewinner bei olympischen Winterspielen seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1990 (Rubenis = lett. "Birkhahn").
"Eine Jahrhundertmedaille!" jubelte die Tageszeitung DIENA. Der Erfolg sei aber folgerichtig, denn in dieser Disziplin habe Lettland nun mal in Sigulda eine internationalen Standards entsprechende Trainingsmöglichkeit, und eine wettbewerbsfähige Bahn. DIENA erinnerte auch an Veras Zozuļa und Ingrida Amontova, die 198o in Lake Placid Medaillen im Rodelwettbewerb gewannen, und damit den Robel-Boom und den Bau der Bob- und Rodelbahn in Sigulda erst möglich gemacht hätten (für Nicht-Letten: das waren die Zeiten von Ingemar Stenmark, oder Ulrich Wehling).
Eine andere Erinnerung galt Alfons Berzins: er führte den Weltcup im Jahr 1940 überlegen an, und sei, wenn nicht der Krieg ausgebrochen wäre, bei Olympia ein Sieganwärter gewesen. "So kam Lettlands Rodelmedaille erst 66 Jahre später," schreibt DIENA.
Rubenis, der coole Typ
Welchen Siegeswillen lettische Sportfans ihrem Rodelhelden zutrauen, macht eine Umfrage des Internetportals TVNET deutlich. Gefragt, welchem Faktor der Medailliengewinn am ehesten zuzuschreiben sei, so sprachen nur 10% der Antworten den Erfolg Rubenis' guter Form zu. 60% dagegen meinten, seinem hervorragenden Selbstvertrauen sei der Erfolg zu verdanken. 20% sahen auch den von Rubenis selbst mit konstruierten Schlitten als Erfolgsgarant. "Ich hätte noch schneller fahren können," sagte der Athlet selbst in einem Interview mit der Tageszeitung Neatkariga Rita Avize (NRA), "aber keiner ist perfekt, auch ich nicht."
Geschichten rund um Geld und Prämien
Nun wird über die Höhe der staatlicherseits zu vergebenden Geldprämie spekuliert. Der Agentur LETA zufolge müssten 30.000 Lat (ca. 43.400 Euro) aus dem Staatssäckel an einen Bronzemedailliengewinner ausgeschüttet werden. Solche Summen, vergeben an Einzelne, lösen im Niedriglohnland Lettland immer noch unweigerlich Diskussionen aus. Während die einen es eher als Schande ansehen, angesichts dieses "historischen Erfolgs" überhaupt über die dem Athleten zustehende Prämie zu diskutieren, verfallen andere in zynische Scherze, aus denen sich ahnen läßt, mit wie wenig Geld in Lettland ein normales Leben bestritten werden muss: "Na, und wenn dann doch unsere Eishockeymannschaft überraschend auch Bronze gewinnt, dann müssen doch jedem Spieler gleichfalls 30.000 Lat ausgezahlt werden, wenn ihr so drauf besteht," mahnt ein Diskutant im DELFI-Diskussionsforum, "und dann ist der Staat bankrott."
Ebenfalls bei DELFI werden auch die Sponsorengeschenke dargestellt, die vom Großsponsor der lettischen Olympiamannschaft (SAMSUNG) an den glücklichen Medailliengewinner übergeben werden: einen Plasma-Fernseher, ein komplettes Heimkino, und ein exklusives Mobiltelefon (SGH-D800), das man flugs zum "Olympiahandy" erkoren hat. SAMSUNG übt sich da übrigens in ungewohnter "baltischer" Solidarität und stattet die estnische und die litauische Olympiamannschaft mit den gleichen Prämien aus. (auch in der Diskussion über diese Prämien kamen die DELFI-Internetdiskutanten übrigens auf die gleiche Idee: was ist, wenn die Eishockeymannschaft doch ....?)
In diese Geschichten von Gewinnern und Verlierern passen auch die Berichte in der lettischen Presse zu erbaulichen Dienstreisen lettischer Politiker nach Turin. "So etwas heisst 'Dienstreise', und bezahlt wird es aus Steuergeldern," spitzt es die Neatkariga Rita Avize (NRA) zu. Säuberlich wird dann aufgezählt: zur Eröffnung der Spiele reiste Staatspräsidentin Vike-Freiberga nebst Mann an, am 15.2. folgte Ministerpräsident Kalvitis, der sich zusammen mit seinem Medienberater in Turin aufhält und plant, alle Spiele der lettischen Eishockeymannschaft zu besuchen. Ina Druviete, Ministerin für Bildung und Wissenschaft, sei aber genau wie die höchsten Repräsentanten als Ehrengast in Turin eingeladen, beeilte sich ihr Büroleiter gegenüber der Presse zu erklären. Vor Ort würden keine weiteren Kosten anfallen. Oskars Spurdziņš, seines Zeichens Finanzminister, gilt als Bob- und Rodelfan, und hat wohl gleich das Ereignis zu erleben ausgewählt, zu dem es Erfolgsprämien aus einer Kasse auszuschütten gilt.
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