1. Dezember 2005

Letten lieben Irland - nun ist es genug, sagen die Iren

Der Traum von der grünen Insel
Eigentlich sind die Iren ja stolz darauf, dass so viele Menschen aus allen Teilen Europas ihre "grüne Insel" als Urlaubsland lieben. In den zurückliegenden Jahren brachte zunächst die EU-Erweiterung vielen Iren Arbeit, auch im europäischen Ausland. Nun aber kommen immer mehr Arbeiter aus den neuen EU-Ländern nach Irland - auch aus Lettland. Und die Iren sind sauer.

Neuerdings sind in Zeitungen und Fernsehen Lettlands nicht mehr die Werbeanzeigen für Arbeit in England und Irland zu sehen. "Das Märchen von der Arbeit in Irland ist zu Ende", titelt der staatliche Fernsehsender LNT. Die Tageszeitung DIENA macht auf mit Fotos (siehe oben) von protestierenden irischen Arbeitern. Was ist passiert?

Dramatische Szenen in irischen Häfen
Im Hafen des irischen Pembroke hatten sich Mitte November vier Schiffsoffiziere an Bord des Fährschiffs "Isle of Innis Moore" verbarrikadiert. Auch ihre Kollegen auf der "Ulysses" im Hafen von Holyhead verweigern die Arbeit. Am 30.11. stimmten auch die Hafenarbeiter in Dublin dafür, die Schiffe der privaten Linie "Irish Ferries" bis auf weiteres nicht mehr abzufertigen, berichtet "Irish News", und zitiert einen Sprecher der irischen Industrie-, Dienstleistungs- und Transportgewerkschaft SIPTU.
Die Reederei will irisches Personal durch billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland ersetzen, und um dies zu ermöglichen, sollen die Schiffe unter fremder Flagge fahren, berichtet EURONEWS. Mitte September war die Entlassung von 543 irischen Arbeitskräften mit dieser Begründung angekündigt worden. Das irische Newsportal ONLINE.IE benennt speziell die Absicht der Fährbetreiber, Arbeiter aus Lettland anheuern zu wollen.
Die "Ulysses", die größte Autofähre der Welt, pendelt zweimal täglich von Irland nach England. Auf insgesamt zwölf Decks bietet die Fähre Platz für 2.000 Passagiere, über 1.300 Pkw oder 240 Lkw. Gut vorstellbar, was passiert, wenn solche Linienverbindungen tagelang bestreikt werden.

Nationaler Protesttag in Dublin angekündigt
Der Streit ist schon weit gediehen: IRISH FERRIES sah sich in einer Pressemitteilung genötigt, die Absicht der Gebrauchs von Tränengas zur Auflösung des Streiks dementieren zu müssen. Vor den Häfen stauen sich die LKW mit Frischware, unter anderem Lachs und Lammfleisch.
Die Betreibergesellschaft wehrt sich gegen die Argumente der irischen Gewerkschaften, die Fährlinien würden erhebliche Gewinne abwerfen. 171 Millionen britische Pfund an Verlusten habe man bei Übernahme der staatlichen B&I ausgleichen müssen. Angesichts der Konkurrenz der Billigflieger und der steigenden Treibstoffpreise sei man zum Handeln gezwungen, so eine Stellungnahme vom 29.November. Die irischen Seefähren würden immer noch 50-60% teurer betrieben als vergleichbare andere Linien, verteidigt sich "Irish Ferries".
Die Gewerkschaften dagegen haben zu einem "nationalen Protesttag" am 9.Dezember in Dublin aufgerufen.

Diskussionen in der lettischen Presse
Solchen Turbulenzen erregen nun auch in Lettland Aufmerksamkeit. Die Nachrichtenagentur LETA zitiert Jazeps Spridzans, Direktor des lettischen Seefahrerregisters, mit der Aussage, gegenwärtig würden 70 Arbeiter aus Lettland auf irischen Fähren Beschäftigung finden. Spridzans dementierte aber, dass lettische Arbeitssuchende irgend etwas mit Niedriglöhnen von angeblich nur.3,60 Euro pro Stunde zu tun haben könnten. "Kein Lette, geschweige denn irgendwelche Philipinos, würden für solch einen Lohn arbeiten," behauptet er, und legte gleichzeitig Vergleichszahlen vor. LETA hatte in einer Meldung aber genau dies bestätigt. Angeheuert würden die lettischen Bewerber von "Dobsona kugniecibas agentura".
Der von der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft ITF empfohlene Mindestlohn sei 1,450 US Dollar pro Monat, so dagegen Spridans, aber ein lettischer Seemann in Irland würde mit 1,700 Dollar entlohnt, Bootsmänner mit USD 2,000 und Stewardessen mit USD 1,558. Inbegriffen in diese in der Regel etwa 2-monatigen Arbeitsverträge seien eine vom Arbeitsgeber gestellte Uniform, freie Verpflegung, sowie Hin- und Rückfahrt nach von Lettland aus. Gegenwärtig läge eine Anfrage nach 110 weiteren Seeleuten aus Lettland vor. Eigentlich müsse der Arbeitskräftebedarf mit Arbeitssuchenden aus der EU gedeckt werden, die lettischen Seeleute täten also nichts Illegales, verteidigte Spridzans das lettische Verhalten. Irish Ferries stünde nun aber vielleicht wegen der Streikaktionen vor erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, prognostizierte er. Karlis Svilpis, Personalmanager von "Baltic Shipmanagement Ltd." in Riga, erwähnte gegenüber LETA auch Anfragen einer Kreuzfahrtgesellschaft, die 150 Seeleute anforderte. "Das konnten wir gar nicht befriedigen," sagte er.

Der lettische Wohlfühlfaktor in Irland
Die irischen Fährschiffgesellschaften könnten nun in schwerer Krise geraten, bedauert auch der lettische Fernsehsender LNT, und zitiert die stellvertretende irische Premierministerin Mary Harney: "Das letzte, was ich sehen will, sind Arbeiter, die ihre Arbeit verlieren, eine Firma, der ihr Geschäft verloren geht, und ein Staat, der auch dabei verliert. Aber genau das passiert jetzt."

"Der Streit um die Fähren könnte die Iren gegen Lettland aufbringen", spekuliert DIENA. Zitiert wird auch das Erfolgsrezept des "keltischen Tigers" Irland, das eben bisher auf einer jährlichen Übereinkunft zwischen Regierung und Gewerkschaften beruhe, so DIENA. Auf See habe aber weder die EU noch die Regierung entsprechenden Einfluß. Eine Lösung des laufenden Konflikts könne aber Modellcharakter für andere Firmen in Irland haben, zitiert DIENA irische Politiker.

Irland ist eines derjenigen EU-Länder, die Arbeitern aus den neuen EU-Staaten ohne Begrenzungen Arbeitserlaubnisse erteilt. DIENA schätzt die Zahl der gegenwärtig in Irland arbeitenden Letten auf 30.000-40.000. Die Tageszeitung "Neatkariga Rita Avize" (NRA) vermutet gar bis zu 100.000 lettische Arbeiter in Großbritannien und Irland. Offiziell seien beim irischen Sozialregister 13 984 Letten verzeichnet, zitiert NRA Angaben der lettischen Botschaft in Dublin. Geschätzt wird aber, dass sich nur etwa jeder Dritte auch offiziell registrieren lässt. Die große Zahl an Letten, die in Irland leben und arbeiten, könne inzwischen auch bereits an den in Irland geborenen Kindern mit lettischer Staatsbürgerschaft abgelesen werden: 2004 seien es noch 30, in den ersten neun Monaten 2005 bereits 107 Kinder.
Die irische Radio- und Fernsehstation RTE zitierte Statistiken, dass die Zahl der Beschäftigten in Irland in den ersten 9 Monaten des Jahres 2005 um 5% (oder 96.200) angestiegen sei. Nach diesen Statistiken arbeiten gegenwärtig 160.000 Menschen in Irland, die aus anderen Ländern kommen. 40.000 seien 2005 neu dazugekommen.

Wie geht es weiter?
Lettische Politiker wie Aussenminister Pabriks rechnen mit weiteren, ähnlichen Auseinandersetzungen auch in anderen Ländern Europas. Aber nicht alle Letten begrüßen die massenweise Arbeitsemigration ins Ausland. Viele machen sich Sorgen um die internationale Konkurrenzfähigkeit Lettlands und die Perpektiven im eigenen Land, wenn so viele Fachkräfte weggehen. "Bald können wir in Irland das lettische Sängerfest veranstalten", meinten Diskutanten in einem Internetforum. Oder sollte man es sehen wie die lettische Politologin Žaneta Ozolina? Sie sagt:: "Europa ist eine soziale Titanic."

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