In Lettland wollten vor einigen Wochen die Nationalkonservativen (NA) im lettischen Parlament allen russischen Staatsbürger/innen die Aufenthaltsgenehmigungen entziehen; der Gesetzesvorschlag wurde schließlich zurückgezogen. Weiterhin gefordert wird es aber für diejenigen, die sich durch Verherrlichung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hervortun. Manche lettische Medien machen sich nun auf die Suche: wie äußern sich denn Russinnen und Russen, die in Lettland leben?
Journalismus ist jetzt illegal
Da ist zum Beispiel Oļesja Šmaguna, die im Rahmen der "Panama-Papers" auch an Untersuchungen von Putins Finanzgeschäften beteiligt war - sie wird in ihrer Heimat Russland inzwischen als "ausländische Agentin" bezeichnet. Der Vater stammt aus der Ukraine, momentan hat sie nur eine kurzfristige Aufenthaltsgenehmigung in Lettland. Im Sommer 21 sei sie zuletzt in Moskau zu einem Besuch der Familie gewesen, meint sie, und vermutlich sei sie nur knapp einer Verhaftung durch den KGB entkommen (IR). "Eigentlich wollte ich nach Russland zurückgehen und über all diese Dinge berichten," meint sie, "aber als ich sah, dass in Russland alle Medien, sogar die sozialen Netzwerke verboten wurden musste ich einsehen, dass dies im Moment unmöglich sein wird. Journalistische Arbeit ist in Russland jetzt offiziell illegal." Gefragt, ob sie es nicht für möglich halte, auch innerhalb Russlands Widerstand zu leisten, sagt sie: "Ja, wir könnten natürlich uns im Namen einer Idee zu Helfen machen - und hinter Gittern landen. Journalisten sind ja auch nur Menschen - und wir haben Kinder."
Aber ein wenig Befriedigung schöpft Šmaguna daraus, dass die Sanktionen gegen Russland auch einige von denen getroffen haben, die auch schon bei ihren Ermittlung zu den "Panama-Papers" eine Rolle spielten. Der Cellist Sergejs Roldugins zum Beispiel, ein enger Freund Putins, an Geldwäsche beteiligt (Süddeutsche / Deutschlandfunk). "Heute fühlen sich viele Russen psychologisch ähnlich wie die Bürger damals in Nazi-Deutschland", meint die Journalistin unter Hinweis auf den eigenen Freundeskreis. "Die Deutschen haben es geschafft, diese Schuld an den Verbrechen im Zweiten Weltkrieg anzuerkennen und zu verarbeiten, und durch Demut zu einer angesehenen Nation zu werden. Auch
Russland wird etwas ähnliches lernen müssen.“ (IR)
Strafe für Protest gegen Krieg
Produzentin, Regisseurin und Kulturjournalistin Jevgēnija Šermeņeva zog vor 5 Jahren nach Lettland, als sie wegen inkorrekter politischer Ansichten aus ihrem Job im Kulturministerium entlassen wurde; inzwischen sei die ehemalige Moskauerin, so ein Bericht bei "lsm", für die lettische Theaterszene bereits "unverzichtbar". Sie arbeitete auch schon mit estnischen und litauischen Theatern zusammen und erhielt jetzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Lettland. "Die Kluft zwischen Menschen in der Ukraine und in Russland wird immer größer", sagte sie kürzlich, "weil die russische Regierung die Spaltung immer weiter treibt. Das, was jetzt in der Ukraine vorgeht, ist ein unverzeihliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und das in einem Land, in dem ich geboren bin und sehr oft gehört habe: vor allem den Frieden wollen wir erhalten. Und genauso unglaublich ist es, wenn Menschen, die mit dem Slogan 'Stoppt den Krieg' demonstrieren gehen, im Gefängnis landen." (lsm) Šermeņeva selbst geriet auch wegen ihres Engagements für die "Open-Society-Stiftung" von Mihail Chodorkowsky ins Visier der russischen Behörden. (Deutschlandfunk)
"Es fällt mir im Moment schwer," sagt sie, "über irgendwelche Probleme der russischen Intelligenz zu sprechen, wenn in der Ukraine Menschen in Kellern unter zerstörten Städten
leben - ohne Heizung, Nahrung, Medizin und sogar Trinkwasser." (IR)
"Staatsfeinde" im Visier
Die russische Schauspielerin Čulpana Hamatova (Tschulpan Nailjewna Chamatowa) und der Theaterkritiker Anton Dolin befinden sich in Riga, nachdem Unbekannte in Russland ein "Z" an ihre Wohungen gemalt hatten, um sie als "Staatsfeinde" zu kennzeichnen. (Satori / Spiegel)
Emīls Sjundjukovs ist IT-Spezialist und lehrt an der Universität Lettlands in Riga, er lebt mit seinen Eltern seit 2003 in Riga und hat hier auch Schule und Universität absolviert. Seinen Worten zufolge würde er gern die lettische Staatsbürgerschaft beantragen, wagt aber gegenwärtig nicht die Botschaft Russlands in Riga zu betreten, um dort seinen Verzicht auf die russische Staatsbürgerschaft dokumentieren zu lassen. Er war auch Teilnehmer der großen Demonstration zur Unterstützung der Ukraine am 5.März. (IR)
"All die kreative Intelligenz, die Wissenschaftler, IT-Experten und normal denkenden
Unternehmer, das ist ein größerer langfristiger Verlust für das Land
als alle westlichen Sanktionen zusammengenommen!" so Jevgēnija Šermeņeva (IR). "Covid war die Generalprobe für eine vollständige Abschottung und Isolierung des Landes. Schon die russischen Impfausweise werden ja international nicht anerkannt. Zur Flucht bleiben dann nur Länder ohne Visumspflicht, wie Thailand, Ägypten, die Türkei, oder Georgien. Aber dorthin müssen Flüchtende dann ohne Geldmittel reisen, denn ihre Kreditkarten können sie nicht mehr benutzen."
Auf Seiten der Politik sehen sich die lettischen Nationalkonservativen im Aufwind: "Die Wahrheit lag auf unserer Seite", meint NA-Abgeordneter Jānis Domburs. "Sie haben uns immer als 'Russophobe' oder 'Faschisten' bezeichnet. Russland werde weder in Lettland noch in einem anderen europäischen Land einmarschieren, wurde gesagt. Doch nun erweist sich, dass ein von Putin regiertes Russland eine Bedrohung für jeden souveränen Staat ist!"
Russisches Selbstverständnis, russische Spaltung
Foto: Mārtiņš Ziders / „Rīgas Vilņi" |
Lettische Medien interpretieren das vor allem als Aufruf, den 9.Mai dieses Jahr nicht als "Siegestag" zu begehen. Manche sagen aber auch: in der russischsprachigen Presse Lettlands habe man solcherlei Aufrufe bisher leider noch nicht lesen können ...
Das lettische Parlament (Saeima) hatte am 7. April beschlossen, den diesjährigen 9.Mai zum Gedenktag an die Opfer der Ukraine zu erklären. An diesem Tag soll die lettische Flagge auf Halbmast gesetzt, aber keinerlei öffentliche Großveranstaltungen organisiert werden. Gegenvorschläge, man könne ja auch den 24. Februar zu einem solchen Gedenktag erklären, lehnte die Parlamentsmehrheit mit 76 gegen 1 Stimme ab.
Wie werden sich diejenigen Russinnen und Russen verhalten, die schon heute klar ablehnen, die russische Agression in der Ukraine zu verurteilen? Die Zeitung "Neatkarīga" hat sich die Verlautberungen der Pro-Putin-Partei "Latvija Krievu Savieniba" (LKS) angeschaut, und zitiert deren Co-Vorsitzenden Miroslavs Mitrofanovs mit den Worten: "An diesem Tag werden viele Menschen unterwegs sein, aber nicht organisiert. Es wird keine Reden oder Veranstaltungen geben. Wir sind im Gespräch mit der Polizei, um zu erreichen das jeder an diesem Tag am Denkmal Blumen niederlegen kann." Dem entgegen stünden allerdings Informationen, die von der Partei an Unterstützer/innen im Internet verbreitet würden, so meint die Zeitung; sicher scheint schon der Auftritt des sogenannten „Unsterblichen Regiments" - also Russlands Darstellung als "Befreiernation", und vorneweg oft die LKS-Politiker/innen.Anfang März hatte die Agentur SKDS die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht. Demnach unterstützen 90% der Befragten die Ukraine - bei denjenigen, die Lettisch in der Familie sprechen (davon sind nur 1% pro Russland). Bei den russischsprachigen Familien dagegen sieht es anders aus: dort unterstützen 21% Russland, 22% die Ukraine; der Rest antwortet "schwer zu sagen" oder "keine Seite von beiden". Werden alle Befragten zusammengenommen, dann unterstützten 8,2% die Sichtweise des Kreml, 65,4% die Ukraine.
1 Kommentar:
Sehr interessant. Danke.
Gibt es ähnliche Umfragen unter estnisch Sprechern und den russisch Sprechern in Estland?
Oder ist die Stimmung in Estland, wo die Staatsbürgerschaft je sehr viel wohlwollender vergeben wurde, auch unter der russisch stämmigen Bevölkerung anders?
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